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(Politische) Kommunikation – wie praktisch ist die Theorie? Ein Blick ins Lehrbuch

von Romy Winter

Agentur und Hochschule – ich kenne beide Welten gut. Als Dozentin merke ich immer wieder: Viele Studierende empfinden die Theorien und Modelle, die ihnen vermittelt werden, als abstrakt, unnötig komplex und fern von der Realität. Gehört, gelesen, in der Hausarbeit zitiert – und dann getrost wieder vergessen. Doch geben wir ihnen eine Chance: Vielleicht sind sie mehr als das Mittel zum Erhalt von Credit Points. Denn sie schärfen das Bewusstsein für die komplexen Dimensionen und Wirkungsweisen von Kommunikation. So zumindest mein Eindruck aus der anderen Perspektive – der der Kommunikationsberaterin.

Wortkarge Botschaften

„Ja. Könnte ich. Das war’s“, so die Reaktion von Bundeskanzler Olaf Scholz als Rosalia Romaniec, Leiterin des Deutsche Welle-Hauptstadtstudios, ihn im Anschluss an den G7-Gipfel fragte, ob er konkretisieren könne, auf welche Sicherheitsgarantien für die Ukraine sich die Staaten nach dem Krieg geeinigt hätten. Das Ergebnis: Tagelange Diskussionen in sozialen Online-Netzwerken und Talkshows. Die einen interpretierten seine Antwort als norddeutschen Humor, die anderen als Arroganz und fehlende Kompetenz. Diese Reaktionen zeigen: An Paul Watzlawicks alter Weisheit ist was dran: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“

Aber was war eigentlich Scholz’ Ziel hinter dem Versuch der Nicht-Kommunikation? War es die Durchsetzung eigener Interessen, statt eines Austauschs von Argumenten und der Suche nach Konsens? Dann wäre seine Aussage nach Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns dem strategischen Handeln zuzuordnen. Dieses ist auf zweckrationales Handeln und Machtbeziehungen ausgerichtet, während das verständigungsorientierte Handeln auf kommunikative Rationalität und die Erzielung von Einverständnis durch argumentative Prozesse abzielt. In seinem Hauptwerk beschäftigt der mittlerweile 94-jährige Philosoph sich mit dem normativen Konzept der „idealen Sprechsituation“. Hier findet Kommunikation komplett frei von äußeren Zwängen, Machtungleichgewichten und Manipulation statt. Sie verfolgt demnach ausschließlich die Zielsetzung der Verständigung. Klingt utopisch, ist es in seiner Absolutheit auch. Und doch ist das kommunikative Handeln eine Voraussetzung für die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft. Denn es bietet die Möglichkeit, kollektive Entscheidungen auf der Basis gemeinsamer Werte zu treffen. Habermas bezeichnet das als „Deliberative Politik“.

Politische Kommunikation als Zweiwegekommunikation

Damit Argumente ausgetauscht und Werte verhandelt werden können, bedarf es einer gewissen Wechselseitigkeit politischer Kommunikation. Es gibt unterschiedliche Wege, wie Bürger*innen von „der Politik“ kommunikativ eingebunden werden können – sei es in strategischer oder rein verständigungsorientierter Absicht. Die öffentlichkeitswirksamste Form eines solchen Austauschs ist in der Regel in Wahlkampfphasen zu beobachten: „In Artikel 1 des Grundgesetztes steht, ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar.‘ Jetzt habe ich es in einem Jahr […] im Krankenhaus und in Altenheimen erlebt, dass diese Würde tagtäglich in Deutschland tausendfach verletzt wird.“ Mit dieser Aussage leitete ein Auszubildender seine Frage zu Angela Merkels Lösungsansätzen für die Pflegebranche ein.

Der Rahmen: Die ARD-Wahlarena 2017. In entsprechenden TV-Shows, aber auch auf den Marktplätzen Deutschlands oder in Social-Media-Livestreams stellen sich Spitzenkandidat*innen den Fragen potenzieller Wähler*innen. Mit diesen Maßnahmen bedienen sie sich einer Form politischer PR, die James E. Grunig und Todd Hunt in ihrem PR-Modell der 1980er Jahre als Zweiwegekommunikation eingeordnet und als besonders effektiv hervorgehoben haben. Demgegenüber stehen die Publicity als reine Aufmerksamkeitsgenerierung sowie die einseitige Informationsvermittlung. Diese verlieren an Wirksamkeit, je kritischer die Bürger*innen werden und je mehr sie die Interaktivität, die mit neuen digitalen Medien niedrigschwellig erreicht werden kann, einfordern.

Bei der an Bedeutung gewinnenden Zweiwegekommunikation unterscheiden die Autoren zwei Formen: Die asymmetrischen Zweiwegekommunikation hat zwar einen Rückkanal, die Kommunikatorinnen verfolgen aber nicht das Ziel, einen Konsens zu finden, sondern zu überzeugen – was häufig aus den Antworten von Politiker*innen in Dialogformaten im Kontext von Wahlkämpfen hervorgeht. Sie passen ihre Position bzw. ihr Verhalten nicht an das im Austausch generierte Feedback an. Bei der symmetrischen Zweiwegekommunikation geht es wiederum um einen echten Dialog. Hier ist die Bereitschaft seitens der Kommunikatorinnen gegeben, das Feedback in Handlungen umzusetzen und eigene Positionen zu hinterfragen. Letzterer schreibt Grunig auf der Grundlage seiner „Excellence-Studie“ eine besonders hohe Effektivität zu. Demnach haben politische Akteurinnen ein Interesse daran, den Anteil symmetrischer Zweiwegekommunikation in ihrem Kommunikationsmix zu maximieren und den Wert des Austauschs mit den Bürger*innen anzuerkennen.

„Gesellschaft ist nicht ohne Kommunikation zu denken, aber auch Kommunikation nicht ohne Gesellschaft.“

Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Suhrkamp.

Die Leitcodes der Zielgruppe

Aber wer sind eigentlich diese „Bürger*innen“? Wie lernt man seine Zielgruppe kennen? Wenn Parteien kommunikativ an ihre Stammwählerschaft herantreten, kennen sie deren Werte und Interessen. Möchten Kommunikationsverantwortliche jedoch in einen Dialog mit einer Zielgruppe außerhalb der eigenen Bubble treten, Unterstützer*innen anderer Parteien überzeugen oder Independents für sich gewinnen, lohnt sich ein Blick durch die systemtheoretische Brille: Niklas Luhmann betrachtet die Gesellschaft als eine Ansammlung von autonomen sozialen Systemen, die durch Kommunikation miteinander verbunden sind. Das im Rahmen der Kommunikationskonzeption Interessante an Luhmanns Theorie sind die Leitcodes. Hierunter versteht Luhmann die grundlegenden Regelsysteme oder Symbole, die die Kommunikation in einem sozialen System steuern. Beispiele für Leitcodes sind Geld, Macht, Nachhaltigkeit oder soziale Gerechtigkeit. In einem System, dessen Leitcode Macht ist, bringt es nichts, mit Nachhaltigkeit zu argumentieren. Wo Geld im Vordergrund steht, kann soziale Gerechtigkeit nicht der kommunikative Hebel sein. Vereinfacht gesagt: Durch das Verständnis und die Anwendung der richtigen Leitcodes können Kommunikator*innen ihre Botschaften besser an die Zielgruppe anpassen und die Kommunikation damit effektiver gestalten.

Die Sache mit der öffentlichen Meinung

„Eigentlich wollen wir alle erreichen“, das hören wir als Kommunikationsberater*innen häufig. Besonders, wenn es um die Entwicklung von Kampagnen geht. Die meisten Briefings haben keine spitze Zielgruppe im Blick, sondern geben die „breite Öffentlichkeit” als eine von mehreren Zielgruppen vor. Was sagt uns die Theorie zu dieser nur schwer über einen Kamm zu scherenden Zielgruppe „breite Öffentlichkeit“? Jürgen Gerhards und Friedhelm Neidhardt beschäftigten sich Ende des 20. Jahrhunderts intensiv mit den Strukturen und Mechanismen von Öffentlichkeit. Ihren Ausführungen können Verantwortliche für politische Kommunikation eine wichtige Erkenntnis zum Thema öffentliche Meinung entnehmen: Sie entsteht nicht dadurch, dass die Individualmeinungen aller Bürger*innen statistisch korrekt addiert werden. Vielmehr handelt es sich um ein abstraktes Produkt, das entsteht, wenn Menschen sich in der Öffentlichkeit austauschen.

Diese sogenannte öffentliche Meinung, die durch Umfragen oder Social Listening erfasst wird, kann sich grundsätzlich von der durch die Medien veröffentlichten Meinung unterscheiden. Hier spielen Aspekte wie die Gewichtung nach Nachrichtenfaktoren und das Problem der sogenannten „False Balance“ rein: Die Tatsache, dass Journalist*innen die Themen auswählen, die bei ihren Rezipient*innen auf das größte Interesse stoßen sowie, dass sie sich darum bemühen, unterschiedlichen Meinungen in Diskussionen Raum zu geben, kann dazu führen, dass die öffentliche Meinung nicht in Gänze oder leicht verzerrt in den Medien abgebildet wird. Individualmeinungen, öffentliche Meinung, veröffentlichte Meinung – trennscharfe Definitionen sind an dieser Stelle kein akademischer Luxus, sondern essenziell, wenn die Interessen aller Bürger*innen berücksichtigt werden sollen. Denn sie schaffen Bewusstsein dafür, dass manche Stimmen lauter sind als andere.

Hillary Clinton war 2016 in allen Umfragen vorne. Und trotzdem hat Donald Trump die Präsidentschaftswahl am Ende gewonnen. Dieses Beispiel verdeutlicht die blinden Flecken der öffentlichen Meinung, um die es auch in der Theorie der Schweigespirale geht. Diese geht auf Elisabeth Noelle-Neumann, die Gründerin und langjährigen Leiterin des Instituts für Demoskopie Allensbach, zurück und besagt, dass Menschen in einer Gesellschaft dazu neigen, ihre Ansichten zurückzuhalten, wenn sie glauben, dass diese nicht der Mehrheitsmeinung entsprechen. Dies geschieht aus Angst vor sozialer Isolation und führt langfristig zur Unterdrückung abweichender und zur Stärkung vorherrschender Meinungen. Die Theorie verdeutlicht, wie schwer es ist, das tatsächliche Stimmungsbild im Land zu erfassen. Mit dem entsprechenden Bewusstsein verlassen sich Praktiker*innen der politischen Kommunikation nicht auf das medial vermittelte Stimmungsbild, sondern bemühen sich um eine Nähe zu den Bürger*innen. Mit dem Ziel, Themen so zu wählen und Botschaften so zu formulieren, dass sie die Menschen damit auch wirklich erreichen.

Dimensionen einer Botschaft

Stichwort Botschaften „Wir werden einander viel verzeihen müssen“, diese Aussage des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn aus der Hochphase der Corona-Pandemie kann auf unterschiedlichen Ebenen verstanden werden: Dahinter verbirgt sich nicht nur eine Analyse der Situation (Sachinformation) und ein Aufzeigen der Wechselseitigkeit (Beziehungshinweis), sondern auch eine Aufforderung zum Verzeihen (Appell) sowie ein Eingeständnis möglicher eigener Fehler (Selbstkundgabe). Auf diese Mehrdimensionalität weist Friedemann Schulz von Thun in seinem Vier-Seiten-Modell hin. Bei der Formulierung von Aussagen – sei es für einen Social-Media-Post, als Vorbereitung für einen TV-Auftritt oder Bürgerdialog, für eine klassische Pressemitteilung oder für einen Werbespot – gilt es anhand dieser Ebenen zu überprüfen, ob die Aussage wirklich die gewünschte Botschaft vermittelt.

„Ein und dieselbe Nachricht enthält viele Botschaften; ob er will oder nicht – der Sender sendet immer gleichzeitig auf allen vier Seiten.“

Schulz von Thun, Friedemann (2013): Miteinander reden: 1 Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation. Rowohlt Verlag:.

Im Falle der Krise

War eine Formulierung dann doch mal ungünstig oder sind politische Akteur*innen durch Aussagen anderer mit einer Krisensituation konfrontiert, lohnt sich vor der ersten Reaktion ein Gedanke an Timothy Coombs „Situational Crisis Communication Theory“. Der Kommunikationswissenschaftler plädiert dafür, die Wahl der rhetorischen Strategie von drei Faktoren abhängig zu machen: Der eigenen Krisenhistorie, der Krisenschuld und der Reputationsbedrohung, die von der Situation ausgeht. Wenn die Verantwortlichkeit seitens der Kommunikator*innen sowie der zu erwartende Reputationsschaden gering sind, spricht Coombs von einer Opferkrise. Hierbei handelt es sich um die einzige Krisenart, im Rahmen derer auf Strategien der Zurückweisung zurückgegriffen werden kann. Dazu gehören die beispielsweise bei Donald Trump beliebten Strategien des Gegenangriffs, der Leugnung der Krise oder des Anprangerns eines Sündenbocks.

Bei Unfallkrisen, welche durch unbeabsichtigtes Fehlverhalten entstehen, sind wiederum Strategien der Milderung empfehlenswert. Darunter fallen Ausreden und Rechtfertigungen wie sie Karl Theodor zu Guttenberg – fälschlicherweise – 2011 im Rahmen seiner Plagiatsaffäre wählte. Fälschlicherweise, weil es sich hier nicht um eine Unfallkrise handelte. Da die Verantwortlichkeit bei ihm lag, ist der Fall nach Coombs der Kategorie der Absichtskrisen zuzuordnen. Aufgrund der großen zu erwartenden Reputationsschäden, sollten hier Strategien des Zugeständnisses angewendet werden. Ein Beispiel aus der Corona-Krise ist Angela Merkels Entschuldigung im Kontext der gescheiterten „Osterruhe“. Coombs Theorie ist ein Hilfsmittel, um Krisenkommunikation zu strukturieren, zu planen und zu konzipieren. Denn sie ermöglicht es Praktiker*innen politischer Kommunikation, Krisen zu differenzieren und individuell passende rhetorische Strategien zu wählen.  

„Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie.” Mit dieser Aussage lagen der deutsche Philosoph, Immanuel Kant, sowie der Psychologe und Mitbegründer der Sozialpsychologie, Kurt Lewin, gar nicht so falsch. Denn sie schärft das Bewusstsein von Praktiker*innen und hilft ihnen, Wirklichkeit zu dechiffrieren.

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