Zum Hauptinhalt

Mehr Memes für die politische Kommunikation? Ein Blick in unsere memetische Debattenkultur

von David Denne

Im Frühjahr 2020 stand die Welt still. „Ich war zu der Zeit im Urlaub, der durch die Corona-Maßnahmen sehr eingeschränkt wurde“, erinnert sich Florian. Er betreibt den Instagram-Account hauptstadt.memes , auf dem täglich Memes mit politischem Fokus gepostet werden. „Die Langeweile zwang mich zum Äußersten und ich erstellte den Meme-Account.“ Mit Erfolg: Denn fast 220.000 Menschen folgen Florian inzwischen. „Einige schillernde Persönlichkeiten unserer Politiklandschaft, vornehmlich aus dem Bierzeltland Bayern, bieten oft so gutes Bild- und Videomaterial, dass sich diese Memes wie von allein erstellen lassen“, sagt Florian. Wer tagesaktuelle Themen aufgreifen möchte, kommt laut Florian nur schwer an politischen Themen vorbei.

Ein Meme kann eigentlich alles sein: Ein Bild, Video, Text, Sound und vieles mehr. „Das Besondere ist, dass die ursprünglichen Inhalte aus dem Kontext gerissen und in neue Kontexte übertragen werden“, sagt Dirk von Gehlen. Er ist nicht nur Director Think Tank beim SZ Institut in München, sondern u.a. auch Journalist, Autor des Buchs „Meme: Digitale Bildkulturen“ und bekennender Meme-Fan. Auf seinem Instagram-Kanal kommemetare erklärt von Gehlen zudem aktuelle Memes und ihre Herkunft. In diesen neuen Kontexten kommentieren sie dann bildhaft bestimmte Sachverhalte. „Das hat oft eine wahnsinnig lustige Wirkung“, so von Gehlen. Im Lachen über Memes finden Menschen Gemeinsamkeiten. „Das hat etwas sehr Schönes und Verbindendes und ist auch eine Form von freier Meinungsäußerung“, findet der Journalist. Es ist wenig überraschend, dass Memes deshalb beinahe in allen digitalen Räumen ihren Platz finden.

Memes lösen also emotionale Reaktionen aus – im Optimalfall: Freude. Dr. Verena Straub weiß aber, dass Memes nicht nur über Humor funktionieren. Dr. Straub forscht an der TU Dresden zu Bildprotesten in den Sozialen Medien und hat beispielweise die iranischen „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste analysiert. „Hier haben sich Menschen als Geste der Solidarisierung ihre Haare abgeschnitten“, erklärt Straub. Es war nicht Humor im Mittelpunkt, sondern geteilte Gefühle von Wut, Trauer und Empörung. „Memes besitzen also einiges an Mobilisierungspotenzial und können politisch wirksam werden“, sagt Straub. Auf diese Weise könnten Sie durchaus neue Formen des Aktivismus ermöglichen.

Wie wirken Memes in der politischen Kommunikation?

Memes sind also nicht nur lustig, sondern können zum Beispiel auch traurig oder verstörend sein. Vor allem können sie aber politisch sein. Doch durch welche Mechanismen werden sie politisch? „Am besten kann man das über Dialekt und Aussprache erklären“, sagt Dirk von Gehlen. „Je nach Herkunft gibt es immer andere Aussprachen für Wörter. Wenn ich in einem Dialekt spreche, gehöre ich einer Gruppe an“, erklärt er. Und bei Memes sei das ähnlich. Ein erstelltes oder geteiltes Meme kann die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ausdrücken. „Ich glaube, dass Menschen Memes verwenden, um sich zugehörig und sicher zu fühlen in einer Welt, die immer komplexer wird und in der es einfache Wahrheiten nicht mehr gibt.“

„Ob ein Meme politisch ist oder nicht, entscheidet die Brille, durch welche man das Meme betrachtet.“

Florian von hauptstadt.memes

Memes schaffen Zugehörigkeitsgefühle und damit auch Identitäten. Für Gesellschaften ist das oftmals ein verbindender Kitt. Allerdings leben wir in einer Welt mit immer mehr, fragmentierten Öffentlichkeiten. Und da kann das identitätsstiftende Element von Memes Probleme für politische Debatten bringen. Dirk von Gehlen beschreibt das mit dem Begriff der memetischen Muster. „Dann wird nicht mehr konsensual nach einem Kompromiss gesucht, sondern ich verwende das Meme als Selbstbestätigung“, erklärt er. Memes können in diesem Fall wie Schlagworte in einer politischen Diskussion wirken. „Das Wort ‚Lügenpresse‘ funktioniert ähnlich“, sagt von Gehlen. Das Schlagwort mache direkt die politische Haltung klar. Allgemein sagt von Gehlen: „Das Politische ist nicht mehr privat, sondern wir haben nahezu einen Zwang uns politisch zu positionieren.“ Die Folge: Ein Meme ist kein unverfänglicher Spaß mehr, sondern wird schnell zu einer politischen Haltung.

Diese Personalisierung des Politischen kann dazu führen, dass marginalisierte Gruppen sich endlich äußern können. Sie kann aber auch zu mehr Polarisierung führen. „Wenn meine politische Meinung Teil meiner Identität ist, kann ich sie natürlich nicht so einfach ändern“, sagt von Gehlen. Meinung und Mensch werden nicht mehr getrennt. „Ich sehe da ein problematisches Muster. Denn der Wert von Demokratie liegt auch darin, dass wir unsere Meinung ändern dürfen und sie nicht Bestandteil unserer Person ist“, so von Gehlen. Gleichzeitig verkürzen und vereinfachen Memes Inhalte, um möglichst viel Aufmerksamkeit zu erhalten. Die teils empörten Reaktionen von User*innen und Medien auf kontroverse Memes wird mit einkalkuliert und verstärkt die Wirkung. „Das ist eine sich selbsterfüllende Prophezeiung“, sagt von Gehlen und wünscht sich in der Gesellschaft und bei Medienvertreter*innen etwas mehr Medien- und Meme-Kompetenz.

Aber was ist dafür nötig, dass Memes den demokratischen Diskurs trotzdem anregen? „Ich habe manchmal das Gefühl, dass nicht die Memes das Problem sind“, sagt von Gehlen. Vielmehr seien die Emotionen, die inzwischen stark in politische Diskussionen eingezogen sind, das große Problem. „Ich würde mir wünschen, dass die Leute nicht immer so reflexhaft auf etwas reagieren, sondern einfach mal eine Pause machen.“ Er fasst das unter dem Begriff „Entpörung“ zusammen: „Die Welt geht auch nicht unter, nur weil ich mich mal nicht zu 100 Prozent durchgesetzt habe. Weil aber das nicht der Fall ist, entsteht ein Gefühl von Dringlichkeit. So entsteht natürlich ein massiver Druck, der dann wiederrum zu Überforderung führt.“

Der Kampf um die Deutungshoheit von Memes

Memes können eine große politische Macht entfalten. Kein Wunder also, dass Memes genutzt werden, um Stimmungen zu machen. „Kurz nach der Invasion in die Ukraine fielen mehrere pro-russische TikTok-Trends auf, die innerhalb weniger Tage in erstaunlicher Uniformität verbreitet wurden“, erzählt Dr. Verena Straub. Diese Trends entstanden jedoch nicht organisch. „Untersuchungen haben gezeigt, dass es sich dabei um organisierte Kampagnen handelte, die von Putin-nahen Organisationen gelenkt und bezahlt wurden.“ In diesem Fall ging das aber schnell nach hinten los. „Ukrainische TikToker*innen eigneten sich eins dieser Tanz-Memes an und brachen es ironisch“, sagt Dr. Straub. Sie parodierten die Videos und verdrängten innerhalb weniger Tage die pro-russischen Videos. „Dieser Fall ist ein Paradebeispiel für die Konflikthaftigkeit und Unplanbarkeit von Memes“, so Dr. Straub.

Ähnliches passierte auch dem „Let’s Go Brandon“-Meme. Die politisch Rechte in den USA nutzte das Meme als Beleidigung gegen US-Präsident Joe Biden. Doch Anhänger der politisch Linken deuteten das Meme um. Nach einigen politischen Erfolgen von Biden entstand, in Anspielung an das rechte Meme, „Dark Brandon“. Dark Brandon ist das der User*innen geschaffene Alter Ego Bidens mit Augen aus roten Lasern, das seinen Gegner*innen immer einen Schritt voraus ist. Das Team von Biden machte sich das Meme zunutze und setzt es bis heute aktiv in der Kommunikation und im Wahlkampf ein – zum Beispiel indem Biden auf TikTok für eine Tasse mit seinem Dark-Brandon-Konterfei wirbt.

Das vielleicht eingängigste Meme ist aber vermutlich „Pepe the Frog“. Der eigentlich unpolitische Cartoon-Frosch wurde auf dem Imageboard 4chan von den User*innen gekapert und zu einem Symbol für rassistisches Gedankengut und im weiteren Verlauf ein Symbol für die Unterstützung von Donald Trump. Inzwischen ist Pepe auch international ein Symbol für rechte Gruppierungen. Dass Memes aber unplanbar sind, zeigt, dass Pepe 2019 von den pro-demokratischen Protestierenden in Hongkong als Symbol wurde – obwohl diese sich von rechtsextremen Gedankengut abgrenzten.

Memes im Politischen bedeuten also immer auch einen Kampf um die Deutungshoheit. Denn sie können unter Umständen Stimmungen aus dem digitalen Raum ins „Real Life“ übertragen, Identitäten schaffen und Menschen mobilisieren. Das sind alles Faktoren, die in politischen Debatten den Unterschied machen können. „Ich denke schon, dass Memes bestimmte gesellschaftliche Themen stärker in den Fokus rücken können“, sagt Dr. Straub. „Die Schnelllebigkeit von Memes im Netz führt aber eben auch dazu, dass politische Themen von neuen ersetzt und verdrängt werden“, so Straub weiter. Die Frage bleibt aber offen: Wenn der Kampf um die Deutungshoheit von Symbolen und Memes wichtiger wird als die inhaltliche Auseinandersetzung zu Themen – ist das nicht eher ein Problem für politische und gesellschaftliche Diskurse?

Politische Informationen in Meme-Form

Memes und eine memetische Debattenkultur können demokratische Prozesse erschweren – aber sie bergen auch große Chancen für eine offene Gesellschaft. Denn Sie sind ein Mittel zur Meinungsäußerung und Partizipation. „Das politische Potenzial von Memes zeigt sich vielleicht am deutlichsten in Gesellschaften, in denen politische Partizipation von den jeweils Herrschenden sehr beschränkt wird“, sagt Dr. Straub. So gebe es beispielsweise in China das Meme des „Tank Man“ – also das Foto eines Mannes, der sich während des Massakers am Tian’anmen Platz 1989 vor einen Konvoi von Panzern stellte und ihre Abfahrt blockierte. Die Verbreitung des Bilds ist bis heute in China verboten. „Trotz aller Restriktionen verbreiten chinesische Nutzer*innen das Bild in zahlreichen Photoshop-Montagen“, erzählt Dr. Straub. Der „Tank Man“ sei ein deutliches Beispiel, wie Memes politische Partizipation ermöglichen können.

Gleichzeitig dienen Memes vielen Menschen auch als Informationsquelle, wie Florian von hauptstadt.memes erklärt: „Meine Follower berichten mir sehr oft, dass sie von bestimmten politischen Themen zuerst durch hauptstadt.memes erfahren.“ Informationsquellen, die zu ideologisch oder parteiisch gefärbt sind, können memetische Muster weiter anfachen. „Das rechte Lager hat früh genug die Relevanz der Plattformen erkannt und dadurch einen geradezu uneinholbaren Reichweitenvorsprung erhalten“, sagt Florian. Das zeigt sich gerade aktuell an den Diskussionen zur Stärke der AfD auf TikTok. „Die AfD hat auf Social Media mehr Einfluss als alle anderen Parteien zusammen. Das macht mir persönlich Angst.“ Durch ihren identitätsstiftenden und vereinfachenden Charakter können Memes von populistischen oder extremistischen Gruppen zu mehr Radikalisierung und einer Verrohung des Diskurses oder zur Abwertung bestimmter Bevölkerungsgruppen führen. Das merkt auch Florian in den Kommentarspalten: „Leider muss ich zunehmend feststellen, dass die Zahl hetzerischer Kommentare immer mehr zunimmt. Auch der Ton in direkten Nachrichten wird rauer. Natürlich nehme ich den gratis Algorithmus-Push durch die Kommentare gern mit. Wenn die Beleidigungen ausufern, bleibt einem aber nichts anderes übrig, als die Kommentarfunktion der beleidigenden Accounts einzuschränken.“

Memes im demokratischen Diskurs

Wie können Memes den demokratischen Diskurs anregen? „Ich habe manchmal das Gefühl, dass nicht die Memes das Problem sind“, sagt von Gehlen. Vielmehr seien die Emotionen, die inzwischen stark in politische Diskussionen eingezogen sind, das große Problem. „Ich würde mir wünschen, dass die Leute nicht immer so reflexhaft auf etwas reagieren, sondern einfach mal eine Pause machen“, sagt von Gehlen. Er fasst das unter dem Begriff „Entpörung“ zusammen: „Die Welt geht auch nicht unter, nur weil ich mich mal nicht zu 100 Prozent durchgesetzt habe. Weil aber das nicht der Fall ist, entsteht ein Gefühl von Dringlichkeit. Das führt zu einem massiven Druck und letztlich zu Überforderung.“

Wer Memes und ihre Wirkung auf politische Debatten verstehen will, muss sich also auch mit Gefühlen und Emotionen auseinandersetzen. Und mit Aufmerksamkeit. „Wir sollten Aufmerksamkeit als politische Kategorie verstehen“, sagt von Gehlen. Viele wollen mit Memes Aufmerksamkeit erzeugen und auf bestimmte Themen lenken. „Die Art und Weise, wie wir unsere Aufmerksamkeit verschenken, entscheidet stark darüber, wie sich Dinge weiterentwickeln“, so von Gehlen. Es gehe also darum, nicht auf jede Troll-Provokation oder Versuchen von „politischen Clickbaiting“ einzugehen. Das zu verstehen, ist wichtig für Dirk von Gehlen: „Wir müssen die Mechanik von memetischen Mustern  verstehen. Denn wir alle, egal welcher politischer Farbe, unterliegen dieser Mechanik.“

Vielleicht sollten wir Memes zudem aber auch wieder mehr als das verstehen, was sie sind: Ein Kommunikationsmedium, um Menschen zu verbinden und nicht um sie in ideologische Schubladen zu stecken. „In allererster Linie sollten Memes Spaß machen und keinen Beitrag zur politischen Meinungsbildung leisten“, findet Florian von hauptstadt.memes. Memes können vieles: Sie können Probleme auf den Punkt bringen oder Widersprüche deutlich machen. Sie können Menschen dazu anregen, sich zu informieren. Sie können unter den richtigen Rahmenbedingungen den gesellschaftlichen und politischen Diskurs prägen. Aber sie können es uns nicht ersparen, direkt in gesellschaftliche und politische Aushandlungsprozesse zu gehen. Sie sind ein Hilfsmittel, um in diesen Aushandlungsprozessen miteinander zu verhandeln.

Entdecken

  • Uns folgen