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Die Unerreichbaren erreichen: Erfolgsgeschichten aus der Praxis

von Anne Schmidt

Den passenden Ort finden – die Pausentaste

Während andere sich mit Freund*innen treffen oder zum Sport gehen, müssen sie oft passen: Knapp eine halbe Million Kinder und Jugendliche pflegen in Deutschland Angehörige, ob Oma, Vater oder Schwester. Das kostet viel Zeit und Energie – und kann einsam machen. Das Projekt Pausentaste des Bundesfamilienministeriums startete deshalb über TikTok den Dialog.

Mit rasant steigenden Nutzungszahlen – rund 10 Millionen waren es zuletzt in Deutschland – boomt TikTok bei der jungen Zielgruppe. Von den Nutzer*innen sind 69 Prozent zwischen 16 und 24 Jahren alt, eine Alterspanne, die auch gut zur Pausentaste passt. Niko Kappe, Lehrer, Journalist und besser bekannt als @nikothec versteht sie. Dafür sprechen knapp eine Million Follower.

Für die Pausentaste teilte er Einblicke in die Pflege seines demenzkranken und inzwischen verstorbenen Vaters. Das Video sowie weiterer Content erhielten binnen weniger Tage über eine Million Views. Ebenfalls stark geklickt: der halbstündige Livestream mit Franziska Giffey. Dass die damalige Bundesfamilienministerin sich den von @nikothec gesammelten Fragen der Community stellte, kam gut an. Etwa 45.000 Nutzer*innen schauten zu. Das zeigt: Wer die passenden Angebote zur Zielgruppe bringt, erreicht sie auch.

Gut gefragt – die Hilfen für Schwangere

Wichtig ist außerdem, die richtigen Fragen zu stellen. „Ich bin schwanger, was soll ich tun?“ Das Video des Bundesfamilienministeriums zu den Hilfen für Schwangere mit Influencerin Lisa Sophie Laurent trug einen zugegeben provokanten Titel. Doch die Zielgruppe reagierte begeistert: „Das nützlichste Video der Welt, wie ich finde. Auch wenn's mich nicht betrifft“, schrieb jemand in der Kommentarspalte. Insgesamt erntete der Beitrag bis Juni 2021 auf YouTube 280 Kommentare. Viele davon mit einem persönlichen Bezug zum Thema.

Darüber hinaus begleitete ein Mix an Maßnahmen die Kommunikation, im geschützten Umfeld wie etwa in Wartezimmern gynäkologischer Praxen und online in mehrsprachigen Ads bei Google. Das Ergebnis: Heute gibt es eine gute und solide Bekanntheit des Projekts in der Zielgruppe, wie eine wissenschaftliche Evaluation zeigt.

Türen entschlossen öffnen – der Zuschlag zum Kindergeld

„Zu viel Papierkram“, „Lohnt sich nicht“, „Habe ich noch nie gehört“ – den Zuschlag zum Kindergeld, kurz KiZ, sah die Zielgruppe zum Start der Kampagne eher kritisch. Dabei haben in Deutschland über zwei Millionen Kinder, bei deren Familien das Geld knapp ist, einen Anspruch auf die Leistung. Damit mehr Kinder vom KiZ profitieren, vereinfachte das Bundesfamilienministerium die Antragsstellung und ging auch in der Kommunikation neue Wege.

Ein animierter Adler, der frech über den Bildschirm hopst, grelle Typografie. Das soll Behördenkommunikation sein? Ja, denn das Ziel der Kampagne war es, bei einer schwer erreichbaren Zielgruppe mit ungewohnten Mitteln für Aufmerksamkeit zu sorgen. Die grelle Aufmachung diente dabei als Türöffner. Geschaltet wurden die Spots vor allem online. Anzeigen im Gaming- und Entertainment-Umfeld sorgten ebenfalls für Überraschungseffekte. Insgesamt erreichte der Kinderzuschlag im Sommer 2021 rund 900.000 Kinder. Das sind dreimal mehr als im Januar 2020.

Das haben wir gelernt

Ein Pauschalrezept, um die Unerreichbaren zu erreichen, haben auch wir nicht. Aber der Erfolg der drei Projekte zeigt: Um zu schwer erreichbaren Zielgruppen vorzudringen, braucht es kommunikative Türöffner: die passende Plattform, überzeugende Influencer*innen oder ein ungewohntes Design. Mit den richtigen Fragen im Gepäck kann dann ein digitaler Dialog entstehen. Und aus dem lässt sich einiges lernen über die Wünsche, Ängste und Sorgen der Zielgruppen. Man muss sie nur hören.

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