Herr Schwarze, zur Vorbereitung auf dieses Interview habe ich ChatGPT befragt. Hilfreich fand ich diesen Vorschlag für die Einstiegsfrage: Können Sie eine spezifische Situation oder Geschichte aus Ihrem Arbeitsalltag nennen, die ohne den Einsatz von Künstlicher Intelligenz anders verlaufen wäre?
Mich haben die Möglichkeiten von KI im Journalismus von der ersten Begegnung an fasziniert. Um meine Entdeckungen aus diesem Bereich mit anderen zu teilen, habe ich meinen Newsletter im Januar 2023 wiederbelebt. Neben dem Newsletter berichte ich auch auf LinkedIn über meine Funde. Daraufhin haben sich erste Redaktionen und Verlage gemeldet. Der Bedarf an Austausch und Beratung zu KI ist riesig. Bisheriger Höhepunkt dieser Entwicklung war eine Anfrage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seit September 2023 stelle ich dort in einem Newsletter die Rubrik „Prompt der Woche“ mit praktischen Anwendungen neue Entwicklungen aus der KI-Welt vor.
Was sind Ihre Eindrücke aus der Beratung in den Redaktionen?
Natürlich sind Journalist*innen skeptisch – Dinge zu hinterfragen gehört zur DNA ihres Berufs. Der Hauptgrund für die Skepsis: Trotz der beeindruckenden Einsatzmöglichkeiten ist KI nicht fehlerfrei. ChatGPT etwa erfindet Fakten hinzu. Wenn es schlecht läuft, sichert sie die noch mit fiktiven Quellenangaben ab. Für seriösen Journalismus ist das nicht brauchbar. Klar, dass die Anfangsfaszination bei vielen schnell wieder erloschen ist.
Trotz der beeindruckenden Einsatzmöglichkeiten ist KI nicht fehlerfrei. ChatGPT etwa erfindet Fakten hinzu. Wenn es schlecht läuft, sichert sie die noch mit fiktiven Quellenangaben ab. Für seriösen Journalismus ist das nicht brauchbar.
Wie kann sich KI im Journalismus trotzdem lohnen?
Alles hängt von einem guten Prompt ab. Entscheidend ist, der Software so wenig Spielraum wie möglich zu lassen. Ein Beispiel: Ich betreue einen wöchentlichen, spezialisierten Newsletter für einen Kunden in Rheinland-Pfalz. Dafür lasse ich mir relevante Pressemitteilungen mithilfe von KI zusammenfassen. So benötige ich im Schnitt statt dreieinhalb nur noch zwei Stunden für den Newsletter. Mein Standard-Prompt schreibt der Software nicht nur die Textlänge und das Format genau vor, sondern auch die Rolle, in die sie sich bei der Aufgabe hineinversetzen soll: eine penible Journalistin. Das entbindet mich aber natürlich nicht davon, die Ergebnisse einem Faktencheck zu unterziehen.
Die ersparte Zeit könnten Redakteur*innen mit kreativen Aufgaben füllen, die bisher im Tagesgeschäft oft zu kurz kommen. Was aber entgegnen Sie denjenigen, die durch die Zeitersparnis ihren Arbeitsplatz bedroht sehen?
Die Bedrohung ist real. Wenn Verlage Möglichkeiten haben, um Geld zu sparen, werden sie die auch nutzen. Wenn 95 Prozent der KI-generierten Überschriften und Teaser brauchbar sind, können sich menschliche Redakteur*innen zwar immer noch kreativere Optionen ausdenken. Sie sind aber besser beraten, ihre Zeit in Aufgaben zu investieren, die auch in Zukunft keine KI übernehmen kann. So wie zum Beispiel die investigative Recherche der Süddeutschen Zeitung zur Vergangenheit des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger.
KI basiert auf Trainingsdaten. Welche Quellen dafür genutzt werden, ist wenig transparent. Der Deutsche Journalisten-Verband fordert eine Vergütung für Journalist*innen, wenn Softwareanbieter ihre Texte und Bilder zur Verbesserung von KI nutzen. Wie schätzen Sie die Chancen ein?
Ich finde das grundsätzlich sinnvoll und unterstützenswert. Forderungen nach einem schärferen Urheberrecht sind aber seit Beginn des Internets nahezu immer auf verlorenem Posten. Mich erinnert das ein wenig an den Streit zwischen deutschen Verlagen und Google um das Leistungsschutzrecht. Das Gesetz gibt es seit 2013, die Umsetzung aber stockt. Auch bei der Regulierung von KI im Journalismus erwarte ich von der Politik leider wenig Unterstützung.
Was können Journalist*innen selbst tun, um den Einsatz von KI aktiv mitzugestalten?
Verlage und Redaktionen sollten sich bewusst machen, dass sie mit ihren Inhalten auf Schätzen sitzen. Diese Schätze können sie für eigene KI-Anwendungen nutzen. Zum Beispiel, indem Stadt- und Regionalzeitungen KIs mit Hintergrundinfos zu einer Stadt anbieten – also eine Berlin-KI oder eine Köln-KI. In Zukunft wird es KI für immer spezifischere Zwecke geben. So wie die Wolf-Schneider-KI der Reporterfabrik. Die verbessert Texte auf Grundlage der Sprachregeln des Journalisten und Sprachkritikers Wolf Schneider. Federführend an der Entwicklung mitgewirkt hat der Ex-SPIEGEL-Redakteur Cordt Schnibben. Ich durfte die KI mittesten. Ob bei der Entwicklung von eigenen KIs oder beim Feilen an Prompts – an vielen Stellen ist journalistisches Fachwissen und präzises Sprachgefühl gefragt. Wichtig ist nur, keine Berührungsängste zu haben. Schon jetzt bauen CMS-Hersteller KI in Redaktionssysteme ein, um Vorschläge für Überschriften, Zwischenzeilen, Teaser und begleitende Social-Media-Veröffentlichungen zu machen. Das letzte Wort aber hat hoffentlich weiterhin stets ein Mensch.
Über Marcus Schwarze
Marcus Schwarze ist freier Journalist, „Promptpraktikant“ und Berater Digitales in Koblenz. Journalismus lernte er bei der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“, später war er Digitalchef bei der „Rhein-Zeitung“ in Koblenz. Seit 2018 berät er Behörden und Verlage bei digitalen Schritten, aber auch bei der Öffentlichkeitsarbeit für den Wiederaufbau im Ahrtal. Thematisch spezialisierte er sich zuletzt auf künstliche Intelligenz. Über einen wöchentlichen „Prompt der Woche“ berichtet er in einem Newsletter für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Für seinen eigenen Newsletter schreibt er unter newsletter.schwarze.info.
Für sein Porträtfoto waren drei KI-Anwendungen im Einsatz: Faceapp, um einen CEO-Modus aus mehreren hochgeladenen Schnappschüssen zu generieren. Canva für den makellos freien Hintergrund im gewünschten Grauton. Und Photoshop, um aus dem ursprünglich hochformatigen Bild ein quadratisches zu machen, Photoshop ergänzte dann die Schultern.