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Von der Pandemie in den Wahlkampf: Herausforderungen des digitalen politischen Wettbewerbs

von Tobias Kreutzer

Wer findet die überzeugendste Zukunftserzählung?

Über eine Woche lang hielten Armin Laschet und Markus Söder im April Parteibasis und Republik mit ihrem Streit um die Kanzlerkandidatur gleichermaßen in Atem. Corona? Nur noch ein Nebenschauplatz. Der ausgiebige Showdown des CDU-Vorsitzenden und des bayrischen Ministerpräsidenten war das bis dato deutlichste Signal dafür, dass die Bundespolitik in Gedanken schon längst im September angekommen ist.

Dabei wird niemand die Pandemie am Wahltag vergessen haben. Fast noch wahlentscheidender als das Krisenmanagement der Regierungsparteien wird dabei sein, welche Partei auch kommunikativ aus der Krise gelernt hat. Wer mobilisiert Mitglieder*innen und Wähler*innen auf Distanz, wer begeistert diese auch ohne Marktplatzauftritte und Händeschütteln in der Vorstadt?  

Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte prognostiziert: „Für das Superwahljahr 2021 stellen sich naheliegende Herausforderungen bei der Mobilisierung. Im Moment hoffen wir, im September eine geimpfte Republik wählend zu erleben. Die Corona-Brille haben wir uns dann zwar noch nicht ganz abgesetzt, dennoch spielen Perspektiven eine größere Rolle als vertane Chancen.“ Korte sieht diejenigen Parteien und Kandidat*innen im Vorteil, denen es gelingt, die größten und überzeugendsten Zukunftserzählungen zu finden und zu vermitteln. Der offensichtlich gewordene Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung wird dabei gleichzeitig Inhalt und Form der politischen Erzählung prägen. Korte hält es für überlebensnotwendig, „demokratische Spielregeln und Praktiken in neue Formate der Distanz und des Abstands zu übersetzen.“ Heißt: Der politische Diskurs sollte auch im Digitalen für alle offen gehalten werden.

Übersetzen und erzählen

Wie das konkret aussehen kann, zeigte die CDU bereits im Januar mit der erstaunlich reibungslosen Durchführung eines komplett digitalen Parteitages: Den überwiegend älteren und nicht unbedingt digitalaffinen Delegierten bot man dabei eine niedrigschwellige Beteiligungsplattform und ein intuitives Voting-System. Rückfragen konnten sie parallel zur live gestreamten Abstimmung jederzeit an eine Hotline richten. Mehrfach war zuvor die Hoffnung auf ein zumindest teilweise vor Ort stattfindendes Event geplatzt.

Bei der SPD stellt man den Querdenker-Chats auf der Messenger-Plattform Telegram einen eigenen Kanal entgegen, der „direktere und persönlichere Kommunikation“ verspricht. Und um die Lücke zu schließen, die durch die weggefallenen lokalen Stadtteilveranstaltungen und Austauschformate entstanden ist, hat die Bertelsmann-Stiftung kürzlich „eine Handreichung zur Durchführung digitaler Bürgerdialoge“ erstellt. Hier zeigt sich einerseits der angesichts von 32 Millionen aktiven WhatsApp-Nutzer*innen in Deutschland anhaltende Trend zur „Messengerisierung“ der politischen Kommunikation. Andererseits deuten entstehende Leitfäden und Standards darauf hin, dass der digitale Dialog auch nach Corona nicht wieder komplett von der Bildfläche verschwinden wird.

Was die politische Kommunikation in die Breite angeht, macht sich auch ein kleiner Politisierungstrend im privaten Fernsehen bemerkbar: So verkündeten die Grünen die Kanzlerinnenkandidatur von Annalena Baerbock live bei ProSieben. Ebendort stellte sich Armin Laschet wenige Wochen später dem generationsübergreifenden Moderator*innengespann aus Louis Klamroth und Linda Zervakis. Vielleicht die ersten Anzeichen dafür, dass die Corona-Pandemie die Parteien zu einer neuen Ernsthaftigkeit im Umgang mit der vielbeschworenen „jungen Zielgruppe“ bewegt. 

Weniger Glorie, mehr Gehalt

Damit digitale Formate und Darstellungsformen weiter zur breiten Masse durchdringen, muss nach eineinhalb Jahren Distanz und großer Bildschirmmüdigkeit aber auch der Inhalt stimmen. Es braucht eine Erzählung, die über die Held*innenberichterstattung des vergangenen Jahres hinausgeht. Es braucht mehr Zukunftsperspektive und Motivation. „Weniger Glorie, mehr Gehalt“ ist gefragt, sagt die ehemalige Piraten-Geschäftsführerin und aktuelle Digitalstrategin bei Bündnis 90/Die Grünen Marina Weisband.  

Spontanität, Mut und Witz können in der politischen Kommunikation viele Menschen erreichen und bewegen – das hat das zurückliegende Jahr gezeigt: Mit Budgetaufstockungen und Anzeigenschaltungen in sehr jungen sozialen Netzwerken wie TikTok sowie mit halbironischen Faulenzer-Helden-Videos hat die Bundesregierung kommunikativ Neuland betreten und von sich reden gemacht. Um aber nachhaltig auch im Digitalen Unmittelbarkeit zu schaffen, müssen Botschaften und Erzählungen stimmen. Auf diese Kombination wird es künftig ankommen.

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