Zum Hauptinhalt

Trolldompteure unter sich: Wie moderieren Medienhäuser ihre Kommentarspalten?

von Julia Sprügel

Filterblase hin oder her: Wo deutsche Online-Medien noch Kommentare zulassen, treffen Meinungen und Menschen aufeinander, deren Wege sich im Alltag wohl nur selten kreuzen. Eine Chance für den Zusammenhalt in einer Gesellschaft, der ein gemeinsamer Nenner verloren gegangen zu sein scheint – und in der verschiedene Gruppierungen oft mehr übereinander als miteinander sprechen. Trotzdem haben sich einige Medien dazu entschieden, die Kommentarfunktion stark einzuschränken oder gar ganz abzuschalten. Grund ist für viele der schiere Aufwand, der mit der Moderation von Online-Debatten verbunden ist: Schließlich muss meist jeder einzelne Eintrag geprüft werden, bevor er es in die Kommentarspalte schafft. Und Mal für Mal gilt es zu entscheiden, was erlaubt ist und was nicht.

Frank Porzky, Redakteur Leserdialog und Social Media bei der SZ

Für das Team der Süddeutschen Zeitung gab es einen weiteren Grund, nur noch einzelne Online-Artikel für Kommentare freizugeben, erklärt Frank Porzky, Redakteur Leserdialog und Social Media in seinem Statement. 

„Einer der Gründe, warum auf SZ.de nicht mehr unter jedem Artikel Kommentare möglich sind, ist die Redundanz: Wir wollen nicht, dass dieselben Menschen unter verschiedenen Artikeln zu einem Thema mit denselben Menschen dieselben Argumente austauschen. Sowohl Leserinnen und Leser als auch die Redaktion profitieren, wenn die Diskussion zu einem Thema fokussiert und gebündelt an einem Ort beziehungsweise unter einem Beitrag stattfindet. Daher nutzen wir keine klassische Kommentarfunktion unter jedem Artikel, sondern bündeln die Debatte unter etwa drei bis fünf aktuellen Diskussionsartikeln zu den großen Themen des Tages. Jeder Artikel aus dem Ressort „Meinung“ kann debattiert werden, sodass neben den Kommentaren der SZ-Redaktion die Meinungen der Leserinnen und Leser stehen. Selbstverständlich werden diese Diskussionen vom Leserdialog-Team gründlich (vor-)moderiert: Kein Kommentar kommt auf SZ.de, der nicht auf die Einhaltung unserer Netiquette geprüft wurde. 

Neben der Debatte auf SZ.de ist uns der Austausch auf Social Media sehr wichtig. Über Twitter, Facebook und Instagram erreicht uns jeden Tag viel Feedback zu unseren Artikeln. Nicht alles ist sachlich und konstruktiv – selbstverständlich müssen wir uns auch mit Hate Speech auseinandersetzen – aber dennoch bekommen wir viele wertvolle Hinweise und Ideen über diese Kanäle. 

Generell profitieren Medienhäuser stark von der Mitgestaltung durch ihre Leserinnen und Leser. Das heißt nicht, dass Zeitungen jetzt einfach schreiben sollen, was gut ankommt – aber zu wissen, was die Leserinnen und Leser interessiert, hat für beide Seiten Vorteile. So zeigen sich in Online-Debatten und User-Kommentaren Themen, die intensiver behandelt werden könnten, oder ganz neue Geschichten, die es zu recherchieren gilt. Das stärkt die Bindung zwischen Zeitung und Leserinnen und Lesern."

Marc Leonhard, Redakteur bei tagesschau.de und Teamleiter des Bereichs Multimedia

Auch auf tagesschau.de wird jeder Kommentar vorab gelesen und geprüft. Zudem gibt es für die Userinnen und User einen eigenen Bereich, in dem Kommentare gebündelt werden: meta.tagesschau.de. Auch hier geht es zum Teil heiß her, berichtet Marc Leonhard, Redakteur bei tagesschau.de und Teamleiter des Bereichs Multimedia, zu dem auch das Moderationsteam von meta gehört.

„Im Redaktionsalltag ist es leider nicht immer leicht, eine offene Debatte über kontroverse Nachrichtenthemen zuzulassen. Wir sehen dies aber als Teil unseres öffentlich-rechtlichen Auftrags, um eine Diskussion außerhalb der jeweils eigenen Filterblase zu ermöglichen. Diese kontroverse Debatte hat bei tagesschau.de eine lange Tradition. In den vergangenen Jahren mussten wir aber beobachten, dass Debatten zu bestimmten Themen sehr viel kontroverser und hitziger geführt werden. Vereinzelt vermuten wir, dass es Kampagnen gab und gibt, bestimmte Themen ‚zu kapern‘. Die Arbeit unseres Moderationsteams ist dadurch nicht einfacher geworden. Und deshalb gehört zur Wahrheit, dass heute weniger Meldungen bei uns kommentierbar sind als noch vor einigen Jahren. Wir bedauern dies, aber der quantitative wie qualitative Arbeitsaufwand ist stetig gewachsen. 

Durch die Prüfung jedes einzelnen Kommentars können wir Beiträge, die gegen die Richtlinien verstoßen, vorab heraussortieren. Das hilft, die Debatte zu versachlichen. Zum Beispiel versuchen wir, zu verhindern, dass die Diskussion in eine komplett andere Richtung gelenkt wird. Sie wären überrascht, welche Themen in Debatten über Migration und Flüchtlinge abdriften können. Gleichzeitig dürfen sich die Userinnen und User nicht gegängelt fühlen. Die Moderation ist sehr oft ein Balanceakt.

Für viele Userinnen und User ist meta der schnellste Weg, um (angebliche) Fehler zu melden. Das reicht von simplen Rechtschreibfehlern bis zu sachlichen Fehlern. Gerade Menschen aus Wissenschaft und Ingenieurwesen melden sich hier gern zu Wort. Durch das Internet bekommen die klassischen Medien auf jeden Fall sehr viel schneller direkte Reaktionen des Publikums. Zunächst lassen sich im Digitalen sofort Page Impressions beziehungsweise Klicks zählen. Kommerzielle Seiten sind darauf sehr viel stärker ausgerichtet als wir Öffentlich-Rechtlichen, aber auch wir erkennen, welche Themen die Userinnen und User besonders nachfragen. Und bei besonders gut geklickten Themen denkt vermutlich jede Redaktion nach, welche Aspekte man zusätzlich beleuchten könnte. Das ist in meinen Augen eine Form der Mitgestaltung – selbst wenn die Redaktion von ARD-aktuell schlussendlich unabhängig entscheidet, was wann wie ins Programm kommt.

Foto. Ein Hand aus Holz greift um einen Kaktus.
„Sich produktiv an Online-Debatten zu beteiligen, erfordert viel Zeit, Ruhe und Gelassenheit." © Charles/Unsplash

Ob die Kommentarspalte der Ort ist, wo Filterblasen platzen, ist für Leonhard nicht ganz gesichert: „Zu einem gewissen Anteil stecken wir alle in unseren Filterblasen fest. Dennoch glaube ich an die Kraft der Fakten – sonst wäre ich auch falsch in meinem Beruf. Durch die Debatte bei meta.tagesschau.de wird niemand seine Meinung um 180 Grad drehen, aber eine Meinung, die auf fehlenden Fakten fußt, kann sich graduell ändern. Und ich halte die wenigsten realen Menschen – Trolle und Bots also ausgenommen – für so starrsinnig, dass sie Argumente und Fakten aus Prinzip gänzlich ignorieren.“

Selbst liest der tagesschau-Redakteur nicht jeden Kommentar unter seinen Artikeln. Für ihn ist vieles erwartbar, auch wenn sich schon mal Anstöße für neue Recherchen ergaben. Frank Porzky dagegen verfolgt Online-Debatten gern und oft: „Egal ob auf SZ.de, anderen Nachrichtenseiten, Instagram oder YouTube – mein Blick geht sehr schnell in den Kommentarbereich. Ich muss jedoch gestehen, dass ich in meiner Freizeit selbst kaum noch kommentiere. Sich produktiv an Online-Debatten zu beteiligen, das erfordert viel Zeit, Ruhe und Gelassenheit. Einmal einen Kommentar absetzen und dann nicht mehr reinschauen – das kann und will ich nicht.“ 

Entdecken

  • Uns folgen