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Die Zeit läuft: Wie wichtig ist TikTok in der politischen Kommunikation?

von David Denne

Manipulations- und Spionagetool der chinesischen Regierung. Zensur von Folter und Genoziden. Werbung für Selbstmord, Selbstverstümmelung und Essstörungen. Drogenschmuggel. Die Liste der Vorwürfe gegenüber TikTok ist lang – fast so lang wie gegen einen kürzlich angeklagten ehemaligen US-Präsidenten. TikTok-CEO Shou Zi Chow musste im US-Kongress aussagen. Über fünf Stunden ging es vor allem um eine Frage: Ist TikTok eine Gefahr für die nationale Sicherheit? Die Antworten sind auch für uns in Deutschland, und vor allem für gesellschaftspolitische Akteur*innen, wichtig. Schließlich nutzen alleine in Deutschland 19 Millionen, vor allem jüngere, Menschen TikTok. Doch was sind eigentlich die genauen Ängste vor der App mit den lustigen Videos? 

Pekings verlängerter Arm?

Ein Gesetz, mit dem die Regierung die Daten eines jeden Unternehmens anfordern kann – klingt nicht gut, oder? Genau das gibt es aber in China. Und das ist das Problem von TikTok. Denn TikTok gehört zum chinesischen Unternehmen Bytedance. Die Angst der Kritiker*innen ist, dass TikTok Daten an die chinesische Regierung abtreten muss. Das könnte die Plattform zu einem Spionage-Tool für die Kommunistische Partei machen. TikTok-Chef Chow verneint, dass jemals Daten an die chinesische Regierung geflossen sind und TikTok diese auch nicht rausgeben würde. Es ist von außen allerdings kaum nachvollziehbar, ob das nicht trotzdem passieren könnte. Als im Dezember 2022 bekannt wurde, dass zwei Journalistinnen ausspioniert wurden, kamen zusätzliche Zweifel auf. Mit „Project Texas“ versucht TikTok der chinesischen Einflussnahme vorzubeugen. TikTok baut große Rechenzentren in den USA und in Europa auf, in denen die Daten gesichert sein sollen.  

Neben Spionage wird TikTok auch vorgeworfen, ein willkommenes Propaganda-Tool für die chinesische Regierung zu sein. Videos auf TikTok werden auf Grundlage eines Algorithmus ausgespielt, der auf persönlichen Interessen beruht. So sehen die Inhalte auf TikTok für jeden anders aus. Wie der Algorithmus genau funktioniert, ist aber nicht klar. Die Befürchtung der Kritiker*innen ist, dass die chinesische Regierung über TikTok gezielt politische Propaganda verbreiten kann und damit die nationale Sicherheit in den USA, Deutschland oder anderen Ländern destabilisiert. Der Vorwurf ist nicht ganz unbegründet. Mit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine konnten russische Bürger*innen auf TikTok beispielsweise keine Videos mehr aus dem Ausland sehen. Und in den USA haben Forscher*innen herausgefunden, dass TikTok im Midterm-Wahlkampf viele Anzeigen zugelassen hat, die Falschinformationen verbreitet haben.  

In den USA geht es um ein generelles Verbot der App. Wie das ablaufen würde, ist jedoch nicht klar. Umgehen könnte TikTok das Verbot vermutlich, wenn sie die chinesischen Miteigentümer abstoßen. Dem würde sich die chinesische Regierung aber vermutlich entgegenstellen. In Deutschland ist ein generelles Verbot eher unwahrscheinlich. Denn in der Europäischen Union werden Social-Media-Plattformen deutlich strenger reguliert als in den USA. Trotzdem gibt es, laut einer Tagesspiegel-Recherche, in allen Bundes-Ressorts ein TikTok-Verbot. Nur das Bundesgesundheitsministerium betreibt einen TikTok-Account, allerdings komplett über eine externe Agentur gesteuert. Aber ist es sinnvoll, wenn sich gesellschaftspolitische Akteur*innen von TikTok zurückziehen, obwohl dort ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung aktiv ist? 

Kommunikation ist da, wo Menschen sind 

Social-Media-Plattformen sind öffentliche Räume zum gesellschaftlichen Austausch – so sehr es mit Blick auf Hasskommentare und Hetze manchmal schmerzt. Solange TikTok für die User*innen offen ist, wird dort auch Diskurs stattfinden. Für gesellschaftspolitischen Akteur*innen kann es perspektivisch gefährlich werden, sich aus diesem Raum bewusst auszusperren. Die Mehrheit der TikTok-User*innen gehört zur „Gen Z“ – eine oftmals nur schwer zu erreichende, aber für die politische Kommunikation wichtige Zielgruppe. Ein Verzicht auf TikTok könnte diese Menschen nicht nur von den eigenen Informationen abschneiden. Ein TikTok-Verzicht gesellschaftspolitischer Akteur*innen würde extremistischen Kräften diesen öffentlichen Raum „kampflos“ überlassen. Desinformation und Propaganda könnten Überhand gewinnen und die User*innen beeinflussen. Im Zeitalter von „fake news“ und „Deepfakes“ gilt es für gesellschaftspolitische Akteur*innen gesicherte Informationen zur Verfügung zu stellen, Desinformationen zu entlarven und für einen respektvollen Umgang einzustehen. Das alles funktioniert nicht, wenn man sich selbst von der Plattform ausschließt. Ohne ein generelles Verbot werden Menschen TikTok nutzen – ob wir wollen oder nicht.  

Deshalb erinnert aktuell vieles an die Anfangszeit von Facebook und Co. vor etwa 15 Jahren. Auch damals herrschte Unsicherheit, ob Kommunikation auf den Plattformen wirklich nötig ist. Heute betreibt allein die Bundesregierung über 400 Social-Media-Accounts. Für die berechtigten Sicherheitsbedenken sollten Lösungen gefunden werden, zum Beispiel indem Smartphones mit TikTok-Accounts von externen Dienstleistern verwaltet werden und keinen Zugang zu sensiblen Informationen bekommen. Und wer trotz allem nicht auf TikTok aktiv sein will, sollte diese Entscheidung begründen können. Denn die Debatte um TikTok ist zerfahren. Es kommt die Frage auf, was TikTok von Facebook, Instagram oder Twitter genau unterscheidet. Und die Beobachtung, dass genau diese amerikanischen Plattformen am meisten von einem Verbot profitieren. TikTok-Sprecherin Brook Oberwetter nannte das potenzielle Verbot „etwas mehr als politisches Theater“. Die Anhörung von TikTok-Chef Chew machte auch diese Sichtweise nachvollziehbar. Er musste seltsame Fragen beantworten und zum Beispiel erklären, dass TikTok auf die Smartphone-Kamera und WLAN zugreift (wie sollen die Videos auch sonst aufgenommen bzw. online angeschaut werden?). Es ist wenig überraschend, dass das für viel Häme gegenüber den Abgeordneten sorgte. Akzeptanz für ein TikTok-Verbot wird es nur geben, wenn die Öffentlichkeit gute Gründe dafür bekommt. Bis dahin sollten gesellschaftspolitische Akteur*innen überlegen, ob sie TikTok nicht doch irgendwie sicher in ihre Kommunikation einbauen und das große Potenzial der Plattform, zum Beispiel für politische Bildung, nutzbar machen können.  

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