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Wie fühlt sich Zeit im Angesicht des Todes an? Im Gespräch mit Palliativpflegerinnen

Podcast von Sabine Lorenz

Auf ihrem Instagram-Kanal elsa.palliative.care berichten die Palliativpflegerinnen Sara Loy und Michaela Bayer über ihren Berufsalltag. Sie klären über den Tod auf und plädieren für einen individuellen Umgang mit Trauer.

Transkript

INTRO: Wer die Gesellschaft verändern will, muss sie erreichen. Aber wie geht das eigentlich? Und was muss sich ändern? In diesem Podcast sprechen wir über Ideen und Themen, die uns inspirieren und die etwas bewegen. Jede Staffel neu, mal mit Gästen im Dialog und mal ganz anders. Das ist sprich!, der Podcast von neues handeln.

Sabine Lorenz: Hallo und herzlich Willkommen zur dritten Staffel von sprich!. Mein Name ist Sabine Lorenz. Ich beschäftige mich in dieser Staffel mit dem Thema Zeit. Heute spreche ich mit Michaela Bayer und Sara Loy. Hallo! Schön, dass ihr da seid und euch heute Zeit für unser Gespräch nehmt. Ihr arbeitet beide als Gesundheits- und Krankenpflegerin auf der Palliativstation des LMU-Klinikums in München.

Nebenbei betreibt ihr gemeinsam den sehr erfolgreichen Instagram-Kanal elsa.palliative.care und habt dort inzwischen über 30.000 Followerinnen und Follower. Auf eurem Kanal setzt ihr euch auf eine sehr leichte Weise mit dem oft schweren Thema Palliativpflege auseinander. Viele wissen, glaube ich, gar nicht genau, was sich dahinter verbirgt. Vielleicht könntet ihr das noch mal kurz erläutern. Was ist denn euer Job genau als Palliativ-Pflegerinnen?

Michaela Bayer: Also die Palliativpflege ist eine Pflege für Menschen, die an einer lebenslimitierenden Erkrankung leiden und die kommen zu uns auf die Station mit verschiedenen Hintergründen sage ich mal, also viele kommen schon zu uns, um einfach die Symptome zu verbessern. Also Schmerzen, zum Beispiel Atemnot, Übelkeit, Erbrechen und auch Ängste. Einige können auch vielleicht dann wieder nach Hause gehen mit einem spezialisierten ambulanten Palliativ-Team sozusagen und manche gehen ins Hospiz.

Aber ein großer Teil ist auch die Sterbebegleitung. Also ich würde schätzen, so 70 80 % unserer Patientinnen und Patienten verstirbt auch auf unserer Station. Und da ist es natürlich auch unsere Aufgabe, die Patienten und deren Zu- und Angehörige gut zu begleiten.

Sabine Lorenz: Habt ihr das Gefühl, dass dadurch, dass ihr ja täglich mit der Endlichkeit des Lebens und mit dem Sterben konfrontiert werdet, sich euer ganz persönlicher Umgang mit Zeit verändert hat? Geht ihr bewusster mit eurer Zeit beispielsweise um?

Michaela Bayer: Also ich vermute mal, also ich glaube, dass ich schon anders damit umgehe. Allerdings bin ich schon immer ein Mensch gewesen, der sehr viel trödelt und immer auch ein bisschen unpünktlich ist. Und so weiter. Aber mir ist es, glaube ich, auch sehr viel bewusster geworden, wie ich meine Zeit nutze. Und es ist vor allem so, dass wenn ich jetzt zum Beispiel mal nichts mache und man sagt ja immer, mal chillt, ich langweile mich nicht dabei, sondern ich genieße das dann wirklich, dass ich mich entspanne und die Zeit nutze, nichts zu tun.

Also weil das eben ganz oft halt so ist, dass man nicht nichts tun kann, weil man immer ein schlechtes Gewissen hat, wenn man noch 1000 Sachen zu tun hätte und so. Und diese Zeit mit Nichtstun zu verbringen, das ist eigentlich ganz schön, aber nur, wenn man das auch zulässt, dass man das genießen darf.

Sabine Lorenz: Ja, total. Das kann ich super nachvollziehen. Wir sind ja oft sehr damit beschäftigt, uns unsere Zeit immer wieder zu füllen mit irgendwelchen Tätigkeiten, weil dieses Nichtstun und Ausruhen dann wirklich schwer fällt oder es fühlt sich falsch an, wir sind es oft gar nicht mehr gewohnt, dass man das auch braucht und es wichtig ist.

Sara Loy: Genau. Bei mir ist es so, dass ich das für mich die Zeit auch wahnsinnig wichtig geworden ist. Also ich sag, ich möchte nichts mehr aufschieben, dass ich sage, ich mache das in fünf Jahren oder in zehn Jahren. Wenn ich will, dass es für mich jetzt realisierbar ist, dann versuche ich das jetzt gleich zu machen. Irgendwelche Urlaube, die mir besonders wichtig sind. Und sagen, das mache ich, wenn ich in Rente bin, das würde ich nicht mehr tun. Wenn es für mich jetzt machbar ist, dann mach ich das.

Sabine Lorenz: Und ist das was, was dich auch gleichzeitig unter Druck setzt, so ein bisschen?

Sara Loy: Manchmal schon. Also es gab eine Zeit lang vor allem mit Corona, dass mich das sehr unter Druck gesetzt hat, weil ich dann auch das Gefühl hatte, mir wurden Jahre genommen, genau zwei Jahre, die ich hätte reisen können. Und da habe ich aber auch mich noch mal reflektiert und mir Gedanken drüber gemacht, dass ich denke, das ist okay. Also das passiert jetzt. Und ja, ich kann mich da auch entspannen. Es sind ja nur zwei Jahre und ich kann ja trotzdem noch viel machen.

Sabine Lorenz: Was habt ihr das Gefühl, wie eure Patienten damit umgehen? Und Patientinnen, die jetzt zu euch kommen und wirklich wissen, sie haben eventuell nur noch ein paar Tage zu leben? Beschäftigt Sie das noch sehr? Wenn Sie zu euch auf die Station kommen, machen Sie sich viele Gedanken dazu und teilen die auch mit euch, wie Sie diese Tage jetzt verbringen möchten?

Michaela Bayer: Also manchmal schon. Manchmal hat man schon den Eindruck, dass die Patientinnen und Patienten da sich viele Gedanken drüber machen und dann auch möglichst viel noch, ich sage jetzt mal in diese Tage reinstopfen wollen oder vielleicht auch nachholen. Auch gerade wenn sie von anderen Stationen kommen, wo vielleicht nicht so viel Besuch möglich war oder so, vor allem während Corona war das ganz arg, dass das halt viele dann gesagt haben, sie wollen jetzt auf jeden Fall noch den und den und den sehen.

Und ansonsten ist es eigentlich meistens so, dass sie erstaunlich gut damit umgehen. Also finde ich immer sehr erstaunlich. Es kommt dabei auch immer drauf an, wo die in ihrer Krankheitsverarbeitung stehen. Also manche Patientinnen und Patienten kommen zu uns und haben in der Früh das erste Mal gehört, sie sind nicht mehr heilbar und kommen dann mittags gleich auf die Palliativstation und merken selber, ihnen geht es ganz auch schlecht und dann überrollt die das natürlich und dann ist oft gar nicht mehr so viel möglich.

Aber die meisten, habe ich immer den Eindruck, gehen irgendwie erstaunlich gut damit um und wünschen sich dann auch keine Sachen, die dann überhaupt nicht realisierbar sind, sondern tatsächlich so Sachen wie 'Ich möchte gern den und den noch sehen' und 'vielleicht bringt ihr mir das zum Essen mit, weil ich das gerne gegessen habe' oder so, aber es ist nichts wie 'Ich muss jetzt unbedingt noch mal ans Meer fahren'.

Klar, solche Wünsche gibt's, aber die sind halt oft schwer realisierbar. Aber die Patientinnen und Patienten von uns sind meistens dann mit Kleinigkeiten schon zufrieden und genießen das auch so richtig.

Sabine Lorenz: Also habt ihr das Gefühl, dass ihr diese Wünsche oder Prioritäten, die die Patienten noch mitbringen, auch erfüllen könnt?

Michaela Bayer: Ja, in der Regel schon. Und wenn es jetzt tatsächlich größere Sachen sind, da glaube ich, kann man an dieser Stelle gerne "Werbung machen" in Anführungsstrichen. Es gibt was, das heißt Wünschewagen. Und das ist praktisch wie so ein Krankenwagen, wo man tatsächlich noch mal wegfahren kann. Also das ist organisiert. Da kommt dann auch jemand mit. Das sind ehrenamtliche Helfer dabei, bei Bedarf auch medizinische Begleitung. Und die Kosten werden übernommen. Das ist auf Spendenbasis alles. Und da gibt es dann tatsächlich die Möglichkeit, noch mal zum Beispiel habe ich letztens gesehen, waren die bei einem Fußballspiel noch mal, weil der gerne von seinem Lieblingsverein gerne noch das Spiel gesehen hätte und hat dann irgendwie die Ehefrau eingepackt und dann sind die zu dem Spiel gefahren und genau solche Sachen oder noch mal ans Meer, tatsächlich oder so. Aber in der Regel sind es kleine Wünsche.

Sabine Lorenz: Wie ist das dann mit den Angehörigen? Das hatte ich mich gefragt. Bringen auch die Angehörigen Wünsche mit? Für die ist das ja total überfordernd kann ich mir vorstellen, zu wissen, dass sie jetzt nur noch wenige Tage mit ihrem geliebten Menschen verbringen können. Haben die dann noch mal ganz andere Vorstellungen? Teilweise auch als die Sterbenden zum Beispiel?

Sara Loy: Ich finde, es deckt sich oft gleich mit den Patienten, die wir betreuen, dass das auch ganz normale Dinge sind wie Zeit miteinander verbringen. Vielleicht auf unserem Balkon draußen die Sonne genießen, überlegen, ob man vielleicht noch mal was kochen kann, was man mitbringt, was die Angehörigen dann mitbringen. Für die Patienten. Sicher, da gibt es auch Wünsche, vielleicht noch mal nach Hause zu fahren, gemeinsam. Aber prinzipiell ist es tatsächlich Zeit miteinander zu verbringen.

Sabine Lorenz: Und schafft ihr es da, die Privatsphäre dafür zu geben und zu ermöglichen, dass dieses Miteinander Zeit verbringen bei euch dann möglich ist? Es ist ja auch immer noch mal was anderes, ob man diese Zeit zu Hause in seiner gewohnten Umgebung für sich gemeinsam hat oder dann halt auch auf einer Station in einem Krankenhaus.

Sara Loy: Ja, ich denke, das kriegen wir wirklich gut hin. Also man muss offen kommunizieren. Also wenn Angehörige sagen Oh, es ist heute so viel los gewesen am Vormittag, wir sind gar nicht so wirklich zur Ruhe gekommen, dann sagen wir ganz oft Kein Problem, sagen Sie uns einfach Bescheid. Wir können ein Schild draußen vor das Zimmer hängen "Bitte nicht stören". Und wenn es für sie wieder in Ordnung ist, wenn sie sagen, okay, wir können jetzt die Zeit nachholen und es ist wieder okay, wenn jemand ins Zimmer kommt, dann nehmen sie das Schild einfach weg und dann wissen wir Bescheid. Sicher, es gibt Stunden oder gewisse Zeitspannen, da müssen wir rein, vielleicht mit Medikamenten, aber das kann man davor immer alles super absprechen und abklären. Da besteht die Möglichkeit schon, Privatsphäre zu wahren.

Michaela Bayer: Und ich glaube, man muss auch dazu sagen, dass wir nur Einzelzimmer haben. Also alle unsere Patienten sind alleine im Zimmer oder halt eben nur mit den Angehörigen noch und und das ist auch schon wahnsinnig viel wert.

Sabine Lorenz: Und das heißt, ihr kommt gar nicht so oft in den Konflikt, dass die Patienten und Patientinnen sich das eine wünschen, aber aus medizinischer Sicht halt was anderes wichtig oder nötig ist, sondern das geht sich ganz gut aus, so wie sich das anhört?

Michaela Bayer: Ja, meistens schon. Es gibt schon so Sachen, die sollten schon zeitnah erfolgen, also wie zum Beispiel eben die Medikamentengabe oder so, dass die schon relativ regelmäßig ist. Aber bei uns ist es und das ist das, was ich wahnsinnig schön finde und schätze, dass wir sehr, sehr bedürfnisorientiert handeln. Also dass zum Beispiel, wenn jemand ausschlafen möchte, dann wecken wir den vielleicht schon um acht, 8:30, dass der oder die ihre Tabletten nimmt oder so, aber dann darf er oder sie auch wieder weiterschlafen, weil das halt respektiert wird.

Also ich denk mir das immer an meinem Beispiel. Ich bin eine wahnsinnige Nachteule, die Sara auch, wenn man mich jeden Morgen um 6:30 weckt, um sieben kommt die Visite und um acht muss ich Medikamente nehmen, so stelle ich mir keinen schönen Lebensabend für mich vor. Jeder ist da halt individuell und das finde ich so schön, dass das respektiert wird.

Und genau das sind so Kleinigkeiten, eben wie Ausschlafen lassen oder wie was möchte jemand essen? Wir haben zum Beispiel auch eine Küche auf Station, da können Angehörige auch selber was kochen zum Beispiel oder mitgebrachte Sachen erhitzen und so, das geht wirklich. Ja, das wirklich nur das gemacht wird, was der Mensch jetzt gerade möchte und braucht.

Sabine Lorenz: Total schön, wenn das so funktioniert. Ich glaube, jeder, der schon mal im Krankenhaus war, kennt ja diese Routinen, die es dort einfach gibt und die natürlich aus bestimmten Gründen und Effizienzgründen auch einfach geben muss. Logischerweise total toll, wenn das so funktioniert, dass das in so einer Abteilung dann anders gehandhabt werden kann und dass dieses Thema, was sich nun mal ja auch an keinen Zeitplan und auch an keinen Schichtplan hält, entsprechend so angegangen werden kann.

Das ist eine Frage, die ich auch noch mal hatte und eigentlich später stellen wollte, aber die jetzt ganz gut passt. Wie geht ihr denn damit um? Auch was eure Arbeitszeiten betrifft? Also wenn man jetzt gerade in so einem Sterbebegleitungsprozess ist und dann ist aber Feierabend beispielsweise. Wie geht ihr denn damit dann um? Also wechselt dann tatsächlich die betreuende Pflegerin oder findet dieses Sterben, das wirkliche Sterben an sich, tatsächlich sowieso ohne euch statt, sondern eher mit Angehörigen dabei? Wie läuft das ab?

Sara Loy: Also dieses Sterben ist auch ganz individuell. Also das muss man auch vorweg sagen, jemand möchte lieber alleine sterben. Das gibt es auch. Es ist dann ein anderes Szenario ist, als wenn derjenige lieber mit den Angehörigen sterben möchte. Wir sind dabei, wir sind zusammen mit den Angehörigen dabei, da gibt es ganz viele Möglichkeiten. Und sollte das wirklich vorkommen, dass wir gerade im Zimmer sind, mit den Angehörigen besprechen wir begleiten uns, derjenige ist im Sterbeprozess und wir haben das Gefühl, okay, das dauert nicht mehr lange, das kann man immer noch mal so ein bisschen abschätzen.

Sind es vielleicht fünf Minuten, ist es vielleicht doch noch ne halbe bis eine Stunde oder auch doch noch länger? Und das entscheiden wir dann auch, glaube ich eher aus dem Bauchgefühl und ganz individuell bleibe ich jetzt noch da und bleibe die fünf Minuten länger. Aber es ist eben passend zur Situation, dass ich dann länger bleibe. Oder ich sage okay, hier ist es jetzt und es dauert vielleicht noch eine halbe Stunde oder es dauert länger. Dann sage ich das den Angehörigen und gebe Bescheid, dass sich die Übergabe vielleicht noch erst mache. Dann komme ich wieder und schaue noch mal danach rein. Oder meine Kollegen lösen mich ab, vielleicht von der nächsten Schicht. Also das ist mehr situativ, mehr Bauchgefühl, wie wir das machen. Und ich finde, dass es trotzdem aber auch immer passt.

Michaela Bayer: Ja, genau. Ich sehe das genauso wie die Sara. Ich glaube, niemand von uns würde, wenn man jetzt grad drin ist und es absehbar ist, dass es jetzt passiert, würde jetzt keiner von uns, glaube ich, raus stürzen und sagen, Nee, also ich habe jetzt Feierabend, aber manchmal ist es gar nicht so ganz ersichtlich. Und dann ist es auch oft so, dass wenn Angehörige da sind, wir dann eine Zeit dabei sind und dann halt sagen, jetzt kann sich vielleicht noch das verändern und das und das und und die dann im Zimmer in Anführungsstrichen alleine lassen und das haut dann eigentlich ganz gut hin.

Also ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass es irgendwie intuitiv, dann irgendwie immer passend ist. Wichtig ist einfach die Kommunikation mit den Angehörigen und dass es auch noch mal nachfragen, ob das für sie in Ordnung, dass ich jetzt kurz rausgehe. Ich würde eine Übergabe machen und dann komme ich wieder. Und da habe ich auch noch nie einen Widerspruch gehört. Und wenn Sie mich darum bitten würden, dann würde ich auch da bleiben. Dann würde man da auch eine Lösung finden.

Sabine Lorenz: Was habt ihr das Gefühl, was wichtig ist, damit die Sterbenden, aber auch die Angehörigen loslassen können? In dem Moment? Also ich habe das jetzt schon öfter gehört. Ich war noch nie dabei, als ein Mensch gestorben ist in dem Moment tatsächlich. Aber von Freunden, die krank waren. Auch da weiß ich, dass die so auf einen bestimmten Moment dann gewartet haben, beispielsweise eine Freundin von mir ist gestorben, als alle das Zimmer verlassen hatten. Davor wirkt das dann so, als ob sie das gar nicht konnte, sondern sie hat diese Ruhe für sich gebraucht. Aber kann man das irgendwie verallgemeinern, was wichtig ist für Menschen, um auch seine Ruhe gehen zu können und dem Leben Tschüss sagen zu können?

Sara Loy: Also ich habe schon das Gefühl, dass viele Menschen sich irgendwie den Zeitpunkt so ein bisschen aussuchen, also dass es das tatsächlich gibt, dass Menschen erst sterben, wenn zum Beispiel eine bestimmte Person da ist. Also zum Beispiel der Enkelsohn, der gerade im Ausland ist, der kommt dann noch mal her und dann, zehn Minuten später, ist die Person verstorben oder dass es auch so ist, dass die ganze Zeit Angehörige da sind, also wirklich rund um die Uhr, und dann sagen sie, wir gehen jetzt mal kurz nach vorne, kommen in der Viertelstunde wieder und dann ist es genau in der Zeit passiert. Also man kann schon den Eindruck gewinnen manchmal, dass die Menschen sich das so ein bisschen aussuchen. Grundsätzlich glaube ich, dass es den Patientinnen und Patienten leichter fällt, loslassen zu können, wenn sie tatsächlich das schon mitbekommen haben, auch wie sie sich verändern und verschlechtern.

Also manchmal ist es so, dass so lange gekämpft wird und und dagegen vorgegangen wird, noch kränker zu werden und zu sterben, dass die total überrollt werden von ihrer körperlichen Situation und dann gar nicht loslassen können, weil sie einfach noch nicht an dem Punkt angekommen sind, wo ihr Körper vielleicht gerade ist und da hab ich dann den Eindruck, dass das denen vielleicht nicht so leicht fällt.

Michaela Bayer: Oder bei Angehörigen zum Beispiel. Es gibt Angehörige, die sagen zwar die ganze Zeit, du darfst loslassen, du darfst loslassen, aber sie vermitteln mit ihrer Mimik und Gestik was ganz anderes in dem, dass sie dem Patienten nicht einfach zum Beispiel nur die Hand halten, sondern die ganze Zeit so fast schon aggressiv irgendwie streicheln und weinen ganz arg. Ich finde, weinen ist wichtig, das gehört dazu und das darf und soll auch im Zimmer stattfinden. Aber manche signalisieren halt damit so bisschen "bleib hier" und sagen aber "du darfst gehen". Diese Ambivalenz, habe ich das Gefühl, dieses Widersprüchliche, dass das schon auch die Patienten merken und dann genau vielleicht auch so bissl verwirrt sind dadurch.

Also da glaube ich, oder habe ich den Eindruck, dass solche Menschen oder Patienten, die solche Angehörigen haben, dann vielleicht eher sterben können, wenn gerade keiner da ist. Einfach den Moment nutzen. Aber es ist immer komplett individuell. Also ich glaube, wir sind auch schon ein paar Mal überrascht worden, wo wir gesagt haben, der oder die stirbt bestimmt, wenn der Ehemann dabei ist oder so, weil der war immer da und die waren so eine Symbiose und dann ist es genau nicht so!

Ja, es ist immer ganz, ganz, ganz individuell.

Sabine Lorenz: Wenn du das so erzählst, dann frage ich mich gerade auch, ob euer Job denn auch viel Trauerbegleitung ist. Also bei Sterbebegleitung ist ja das eine, wenn es um die Patienten geht, aber die Angehörigen sind ja auch dann sehr viel bei euch vor Ort. Übernehmt ihr das so mit ein bisschen oder gibt es dann auch psychologische Betreuung, die euch das abnimmt?

Michaela Bayer: Also wir haben auf Station Psychologen, die tätig sind und wir haben auch Seelsorger und man muss auch sagen, es fällt schon viel Trauerbegleitung an, aber nicht erst nach dem Sterben, sondern schon vorher. Auch schon für die Patienten bedeutet das ja oft Trauer, das Loslassen-müssen von ihrem Leben und Loslassen-müssen von so vielen, also von ihren Angehörigen, von der sozialen Rolle, die man bisher erfüllt hat, von den körperlichen Funktionen. Das ist auch schon alles Trauer und bei den Angehörigen genauso. Und da muss man sagen, dass tatsächlich eigentlich jede Berufsgruppe von uns da ziemlich involviert ist. Also jeder hat da, glaube ich, so bisschen seine eigene Aufgabe, weil oft ist es so, dass zum Beispiel wir als Pflegekräfte ganz oft auf einmal damit konfrontiert sind mit der Trauer der Patientinnen und Patienten, zum Beispiel bei der Körperpflege. Wenn die Menschen dann merken, das kann ich nicht mehr und das kann ich nicht mehr. Und dann beginnt ein Gespräch darüber, wie stark man nachgelassen hat. Und so weiter. Also da kann es der Pflege auch passieren, dass man dann einfach schon im Alltag sozusagen schon eine Trauerbegleitung macht und ich glaube, dass die Menschen, die bei uns auf Station arbeiten, die sind alle sehr, sehr empathisch. Ich glaube, sonst könnte man das gar nicht und und ich glaube, wir machen alle irgendwie Trauerbegleitung sowieso schon. Dann haben wir eben noch die Unterstützung von Psychologinnen oder Psychologen und Seelsorgern. Und ich muss noch dazu sagen, dass eine Kollegin und ich auch tatsächlich ausgebildete Trauerbegleiterinnen sind. Also ich für mich finde das Thema einfach wahnsinnig wichtig im Alltag, aber auch für die Menschen, die dann ja weiterleben müssen, die Angehörigen, nachdem ihr geliebter Mensch gestorben ist.

Und das ist mir ganz wichtig. Deswegen habe ich dann noch eine Ausbildung gemacht und ich glaube, ich merke schon auch, dass sie mir manchmal ein bisschen hilft. Also ich glaube, ich oder wir alle gehen eh schon gut damit um, aber manchmal merke ich, dass ich vielleicht dann noch mehr weiß, was ich sagen kann. Einfach weil ich das wirklich gelernt habe.

Sabine Lorenz: Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Wie ist das denn für euch, dann abzuschalten vom Job? Das sagt man bei anderen Jobs so klassischerweise, jetzt muss man abschalten. Stelle ich mir schwieriger vor in eurem Fall.

Sara Loy: Ich denke, dass es wie in jedem anderen Job auch so. Natürlich man darf es nicht unterschätzen. Die psychische Arbeit ist enorm, das kostet auch viel Energie und die muss man sich auch zurückholen. Aber jeder hat sich ja wirklich freiwillig dazu entschieden, bei uns auf Station zu arbeiten und ist sich bewusst, was das bedeutet. Und wir arbeiten wirklich, wirklich sehr, sehr gerne bei uns auf Station.

Ich sage es immer wieder, wenn ich gefragt werde und Michaela hat auch das gleiche Konzept: Das ist wirklich unsere Arbeitskleidung und ein gewisser Schutzmantel für uns. Wenn wir in dieser Kleidung sind, sind wir einfach professionell, die Pflegekräfte. Und wenn wir das einfach ablegen, die Arbeitskleidung nach Ende des Dienstes, werfen wir eigentlich alles auch ab.

Also ich kenne es noch aus der Ausbildung. In der Arbeitskleidung habe ich mich immer irgendwie geschützt gefühlt und ich hatte dann den Einsatz in der Psychiatrie und da war es eben so, dass man zivil gearbeitet hat und da ist es mir viel schwerer gefallen, diesen Cut zu machen zwischen Arbeit und Privatleben, auch wenn die natürlich andere Kleidung angezogen hatte, die ich jetzt vielleicht nicht so privat angezogen habe, aber trotzdem ist es mir viel schwerer gefallen und deshalb sehe ich die Arbeitskleidung so ein bisschen als Schutzmantel.

Aber dennoch ist es wichtig, noch mal einen anderen Ausgleich zu haben. Und auch wenn ich das nicht so gerne mache, hilft Sport wirklich sehr, sehr gut. Also mir hilft Wandern wirklich sehr viel. Und das Auspowern, in der Natur sein, irgendwie runterzukommen und auch mit Freunden treffen und Urlaube geben mir wahnsinnig viel zurück.

Sabine Lorenz: Wandern ist auch ein sehr schöner Sport. Ich finde nichts ausgleichender, als Berge zu sehen. Da wohnt ihr ja auch am richtigen Ort, ihr habt das schön nah.

Sara Loy: Ja. Ja, das stimmt.

Sabine Lorenz: Jetzt haben wir viel über eure Arbeit noch mal gesprochen. Mich würde dann noch einmal interessieren, Kurz dann zurück zu gehen: Die Patienten und Patientinnen, die jetzt im Sterben sind, teilen die mit euch teilweise auch Dinge, die sie bereuen? Vielleicht in ihrem Leben oder womit sie besonders zufrieden sind? Oder würden die noch mal gerne Zeit anders verteilen? Führt ihr solche Gespräche?

Michaela Bayer: Also ich bin immer erstaunt, dass wir solche Gespräche gar nicht so oft führen. Aber es kommt schon vor und es sind meistens nicht die Sachen, die gemacht wurden, die bereut werden, sondern die Sachen, die nicht gemacht wurden. Also tatsächlich, was die Sara vorher schon gesagt hat, so was wie Ich habe immer gesagt, wenn ich mal in der Rente bin, dann gehe ich reisen und dann erfüllen wir uns irgendeinen Wunsch oder dieses und jenes und dann kommst du gar nicht zur Rente, oder dann ist man grad in der Rente und dann kommt die Erkrankung und und dann passiert es nicht mehr. Und warum habe ich das nicht früher gemacht? Das ist, glaube ich, so das meiste, was was bereut wird die Sachen, die man nicht gemacht hat und und ich habe das auch so übernommen, glaube ich oder wir beide, hat Sara ja vorher auch schon gesagt und das ist auch genau das, was was wir damit verhindern wollen, also wirklich die Sachen, die wir machen wollen, jetzt zu machen, auch wenn es manchmal stressig ist, weil man dann halt denkt, man muss jetzt alles machen und vergisst, dass es ein Morgen gibt. Aber dass irgendwas bereut wurde, was man gemacht hat und ausprobiert hat, habe ich glaube ich noch nie mitbekommen.

Sara Loy: Also ich habe auch nur Gespräche geführt, als die Patienten gesagt haben, hätte ich nur mal eher gemacht, die Sachen hätte ich nicht wirklich, wie Michaela gesagt hat, oder was ich dann auch vernommen habe: Ich hätte nicht warten sollen mit der Reise. Ich hätte einfach gleich machen sollen und nicht bis zur Rente warten. Das ist das Häufigste, was ich erlebt habe, das ist, was mir auch im Gedächtnis geblieben ist. Dieses "ich hätte nicht bis zur Rente warten sollen".

Sabine Lorenz: Das heißt, wir können eigentlich so mitnehmen, dass es ja irgendwie darum geht, seine Wünsche zu erfüllen, ohne sich vermutlich aber wieder auch diesen Druck zu machen, also diesen Mittelweg zu finden, aus Dinge anzugehen, die einem wichtig sind, aber mit einer gewissen Ruhe vielleicht eher in den nächsten drei Jahren anzugehen als in den nächsten 60 Jahren. Aber dann vielleicht auch Fehler zu machen, wenn ihr sagt, es hat keiner gesagt, er hätte bereut, dass er was gemacht hat. Aber dann heißt es ja auch einfach mal machen und man bereut gar nicht so sehr, dass man Fehler macht eigentlich.

Sara Loy: Genau, genauso viele sind ja auch nicht irgendwas Schlimmes. Man lernt daraus, man wächst daran und dann weiß man, dass es fürs nächste Mal einfach auch besser. Also ich hatte das auch schon mal, also ich dachte mir auch okay, mit Corona, ich hätte noch viel mehr davor machen sollen, aber eigentlich hat es alles so gepasst wie es war.

Also ich hab wunderschöne Jahre gehabt, wo ich viel gereist bin und da muss man sich dann auch noch mal irgendwie überlegen und nachdenken, hey, das war voll okay, das war voll genug, mehr ging gar nicht. Ja, da muss man einfach auch realistisch bleiben. Und ja, ich glaube, das ist auch ganz wichtig, realistisch zu bleiben, dass nicht mehr geht, die Möglichkeiten, seine Möglichkeiten zu realisieren. Und auch nicht dann jetzt deswegen total kopflos handeln, also sagen, Ich will noch eine Weltreise machen, kündige meinen Job und verkauf Haus und was weiß ich alles und schmeiße das ganze Geld auf den Kopf und komm nach einem Jahr vielleicht schon sehr glücklich zurück. Aber steht dann halt am Ende der Existenz. Das ist dann natürlich auch nicht sinnvoll. Aber grundsätzlich glaube ich, sollte man sich vielleicht mehr trauen und auch zutrauen.

Ich glaube, man ist oft wahnsinnig angstbesetzt. Was könnte alles passieren und auch viel zu sehr, Was denken die anderen von mir? Und ja, man lebt zu wenig im Moment, glaube ich.

Sabine Lorenz: Mit einer Achtsamkeit dann auch für sich selbst und seine eigenen Wünsche, aber auch dafür, wie gut es einem vielleicht geht. Diese gewisse Dankbarkeit für alles, was man auch eigentlich schon sehen durfte und erleben durfte und so, dass man sich dann bewusst für die Dinge vielleicht entscheiden kann, die man in seiner Zeit noch erleben möchte. Und das ist vermutlich eine große Kunst, die uns allen auch allgemein in westlichen Gesellschaften recht schwerfällt, aus der Fülle der Möglichkeiten das rauszusuchen, was für uns genau das Richtige ist.

Sara Loy: Ja, da muss man immer wieder überlegen, was tut mir gut? Also tut mir irgendwie das Reisen gut? Tut mir das jetzt gut, dass ich mir irgendwie eine neue Anschaffung für meine mach, wenn ich daran mehr Freude habe? Also man muss sich das wirklich einfach selber überlegen und für sich alleine überlegen: Was ist mir wichtig, was tut mir gut und nicht, okay, andere machen das und das muss ich das auch machen, damit es mir besser geht, sondern wirklich einfach bei sich bleiben und sagen, nee, ich möchte lieber daheimbleiben oder ich möchte lieber einfach nur in die Berge gehen und ich brauche keine Weltreise. Deshalb einfach bei sich bleiben und auf sich hören.

Sabine Lorenz: Und glaubt ihr, wenn wir jetzt so in unserer Gesellschaft dem Thema Sterben und Tod und auch der Endlichkeit des Lebens mehr Raum gewähren würden, dass wir dann alle darauf basierend auch einen anderen Umgang mit unserer Lebenszeit entwickeln würden?

Michaela Bayer: Absolut. Also ich glaube, ich kann nur für mich sprechen, aber ich glaube, ich habe so viel rausgenommen aus der Zeit, wo ich jetzt auf der Palliativstation arbeite und bin das so daran gewachsen. Grundsätzlich glaube ich, es würde keinem schaden, sich da mal Gedanken darüber zu machen. Und das ist auch das, was wir, glaube ich, mit unserem Instagram-Kanal machen möchten, es ist einfach jeder irgendwann mit dem Tod konfrontiert, spätestens mit dem eigenen vielleicht schon vorher mit dem Tod von anderen und und wenn man da gar nicht hinschaut, dann dann ist es wirklich schwierig für einen und und ich habe das Gefühl, dass ich durch die Arbeit, ich sag mal am Tod oder mit dem Tod oder wie man es nennen möchte, viel näher am Leben bin, weil ich alles viel mehr wertschätze und dann viel mehr überhaupt wahrnehmen kann. Also im Vergleich zu manchen Menschen, die in meinem Alter sind, habe ich manchmal das Gefühl, die gehen so blind durchs Leben. Das macht mich richtig traurig und gleichzeitig sehr glücklich, dass es bei mir anders ist.

Es kann sein, die Sara und ich, wir arbeiten jetzt beide, Sara schon ein paar Monate länger als ich, über sieben Jahre auf der Station und wir waren sehr jung, auch als wir angefangen haben. Also ich war 21, die Sara ist nur wenig älter als ich. Wir sind beide wahnsinnig jung gewesen. Klar, vielleicht waren wir auch einfach noch sehr jung und sind jetzt in den sieben Jahren gereift.

Aber gleichzeitig glaube ich, dass das die Arbeit da ganz viel auch mit reingeschoben hat und und ich persönlich, also wir kriegen glaube ich auch ganz oft die Frage, ob es nicht ganz schlimm ist, diese Arbeit für uns und ob wir nicht irgendwie immer traurig sind, weil wir immer mit solchen Schicksalen konfrontiert sind und ich glaube, also in jedem Leben gibt es mal Phasen, wo es schwieriger ist, grundsätzlich, aber ich glaube, durch die Arbeit, ist man einfach näher am Leben und viel dankbarer, oft auch für das, was man halt hat und also ich nehme mich da wahnsinnig viel mit.

Sabine Lorenz: Habt ihr eine Idee, wie wir das angehen könnten, dass in unserer Gesellschaft mehr Raum für diese Themen da ist?

Sara Loy: Ja, also ich denke auch- der Tod muss gefühlt auch momentan in den Terminkalender passen bei jemanden, also ich finde es persönlich irgendwie ganz schlimm, als mein Opa gestorben ist, dass meine Mama irgendwie nur einen Tag Urlaub bekommen hat vom Staat, nicht so zum trauern, zum alles erledigen und auch dass man das man nicht trauern darf, nicht öffentlich. Und das muss immer gut reinpassen. Es darf nicht unangenehm sein. Und das fand ich, das muss sich irgendwie verändern. Dass man sich krankschreiben darf, dass man offen trauern darf, dass es einem nicht gut gehen kann in der Arbeit.

Michaela Bayer: Es ist ja genau so, dass man halt funktionieren musste. Also das ist so das, was erwartet wird. Man muss funktionieren, egal in welcher Lebenslage, auch wenn man gerade jemand verloren hat.

Das wolltest du, glaube ich, damit sagen, oder? Und es ist einfach wahnsinnig schwierig, weil es gibt schon Menschen, die einen unterstützen beim Verlust, aber es ist meistens so und das nehme ich auch mit aus der Arbeit, auch als Trauerbegleiterin. Ich bin zusätzlich auch noch Trauerrednerin und da kriege ich das ganz oft mit. Ich bin praktisch bei vielen Beerdigungen. Auch dass viele Angehörige sagen, ja, nach der Beerdigung meldet sich keiner mehr, weil man denkt, danach muss gut sein. Also so, derjenige ist doch jetzt unter der Erde, so ungefähr, dann muss man doch wieder funktionieren und das ist einfach nicht so, also man kann schon und es ist wichtig, dass man dann wieder in den Alltag findet und so, und das mal, dass man sich wieder da daran gewöhnt, zu funktionieren.

Aber das haut nicht immer hin, dass ist einfach nicht möglich und dass ist auch viel zu wenig, viel zu wenig in der Gesellschaft. Und grundsätzlich der Tod, wir merken das ganz oft, ist so negativ behaftet. Also auch wenn wir gefragt werden, was wir arbeiten und dann sagen wir, was wir arbeiten. Da heißt es meistens, oh Gott, wie schrecklich! Oder, wie kannst du nur, das ist doch schlimm und und so! Und das finde ich ganz schade, weil für mich ist es der schönste Beruf auf der Welt und und ich lerne so viel davon, dass ich das ganz schade finde. Wenn jemand dann sagt, dass es doch schrecklich. Meistens fehlt es an Aufklärung. Ich glaube, bei uns ist es beiden so, bei unserer Familie und bei Freunden. Dadurch, dass die das dann auch so mitbekommen haben und auch viel dann doch Instagram und so, dass es sich total verändert hat, dass die jetzt alle sagen, boah krass und ich sagen viele sagen immer noch, das könnte ich nicht. Aber es muss ja auch nicht jeder können. Und viele wissen jetzt einfach viel mehr, was wir da tun und wie wertvoll das ist.

Und ich glaube, wir haben auch beide schon von Freunden gehört, dass sie total dankbar sind dadurch das, dass wir das machen, dass sie viel auch für ihr Leben so lernen, anhand von uns. Das natürlich wahnsinnig schön.

Sabine Lorenz: Ja, und dann ist es natürlich super hilfreich, wenn ihr beispielsweise da öffentlich darüber sprecht. Und damit mehr Menschen erreicht und dass noch viel, viel mehr Menschen das tun oder das Thema vielleicht auch tatsächlich Platz findet in Medien und auch mediale Präsenz erfährt. Ich fand diese Serie mit Anke Engelke, deren Namen ich leider gerade vergessen habe, ganz gut.

Sara Loy: Das letzte Wort.

Sabine Lorenz: Das letzte Wort. Ja, ich fand die total cool, also weiß nicht, wie sie euch gefallen hat, aber ich fand es toll, dass es um dieses Thema eine Serie gab, die ja super witzig war am Ende.

Sara Loy: Ja, ja, total. Ich liebs. Es gibt ja wirklich total gute Filme und Serien. The After Life zum Beispiel fand ich auch eine ganz tolle Serie, wo es auch um die Trauerbewältigung ging. Auch Ein Mann namens Otto, der jetzt ja auch gerade in den Kinos war, auch super schöner Film. The Farewell, wo es um eine koreanische Familie geht. Es gibt super Filme, die man sich anschauen kann, damit man sich mit dem Thema beschäftigt und die auch jetzt gut rübergebracht sind, die auch viele schöne Momente, lustige Momente drin haben, wie es ja auch eigentlich so ist. Also wir lachen auf unserer Station so viel. In den Zimmern wird gelacht mit dem Patienten, mit den Angehörigen und das gehört alles dazu. Man darf glücklich sein, man darf traurig sein, man darf lachen, man darf weinen, man darf jede Emotion rauslassen, es ist vollkommen normal.

Sabine Lorenz: Ich finde, was du gerade gesagt hast, passt auch zu dem, was vorhin so ein bisschen anklang in deiner Antwort ist ja, dass unser Leben oft sehr getaktet ist und wird es auch. Also es ist ja nicht nur eine persönliche Taktung, die man sich selbst gibt. Das tun wir ja definitiv auch, indem wir viele Dinge in unsere Tage packen.

Aber es sind ja auch so bestimmte Rhythmen vorgegeben oder eine Gesellschaft entscheidet: Wenn dein engster Angehöriger stirbt, dann darfst du zwei Tage trauern. Wenn's nur der Angehörige zweiten Grades ist, dann muss dir ein Tag reichen. Ähnlich ist es ja auch mit Geburten beispielsweise. Und dann gibt es halt dieses Leben, was wir oft dann in seiner Natürlichkeit, das soll sich jetzt nicht so esoterisch anhören oder so, aber in dem, wie es eigentlich ist, bemerken wir es oft nur noch bei der Geburt und beim Tod, weil das beides dann Prozesse sind, die sich nicht an Timings halten und auch ja tatsächlich auch nicht an Zeitpläne, die es ja beispielsweise auch in Kliniken dann eigentlich gibt. So eine Geburt dauert halt eine Stunde oder 48 Stunden. Das kann man schwer beeinflussen und dasselbe gilt für den Sterbeprozess ja genauso und auch fürs Trauern danach. Also ist es korrekt, ein Jahr, man spricht ja auch von diesem Trauerjahr, dass man ein Jahr dann alles zum Ersten Mal alleine erlebt. Und das impliziert aber auch so, nach einem Jahr ist dann halt gut und dann ist es ja dein zweites Weihnachten alleine dann reicht's mit Trauer.

Sara Loy: Und ja, das ist einfach so sterben und auch Trauer ist ein ganz langsamer Prozess und die Gesellschaft ist aber viel zu schnell dafür in ihrer Art und eigentlich wird gewünscht, dass der Tod sich an die Gesellschaft anpasst. Aber eigentlich muss sich Gesellschaft an den Tod anpassen und man muss sich da einfach viel mehr Zeit nehmen und Zeit nehmen dürfen.

Michaela Bayer: Absolut. Man merkt es auch gerade an dem Beispiel, dass der Tod einfach das Tabu ist, weil zum Beispiel bei der Geburt, da fragt keiner, wie lange hat es gedauert und warum hat das so lang gedauert und warum ist man als Mama jetzt danach ein Jahr zu Hause? Und warum will der Papa jetzt auch noch daheim sein oder so? Da fragt kein Mensch nach, sondern da ist es ganz logisch. Und es gibt aber halt überall im Leben immer zwei Seiten. Also es gibt Geburt und es gibt Sterben, es gibt Lachen und es gibt Weinen und so und nur wenn man beides ausleben kann, glaube ich, dass man, dass man wirklich, ja vielleicht das erfüllt leben kann. Also ich glaube, man wird nicht nicht glücklich, wenn man eine Seite dauerhaft unterdrückt, wenn man Freude unterdrückt, sowieso nicht, aber wenn man Trauer unterdrückt, die kommt auch irgendwann dann an anderer Stelle vielleicht wieder hoch.

Sabine Lorenz: Es ist vermutlich hat es was mit der Angst zu tun, die du vorhin erwähnt hast. Also das wir ja hier, auch gerade in Deutschland sind wir eher eine Angstgetriebene Gesellschaft und das erfordert ja sehr viel Mut bei uns, so Gefühle auch auszuleben und Gefühle zu akzeptieren und sich verletzlich zu zeigen. Dadurch seinen Mitmenschen auch so, ja tatsächlich in dieser Verletzlichkeit zu zeigen, die ja auch überfordert, weil viele von uns, jetzt nicht alle, weil bei euch ist sehr anders, aber viele von uns das auch nicht gewohnt sind, damit umzugehen, wenn wir fragen, wie geht es dir? Und dann kommt nicht, ja, klar geht es mir gut, sondern da kommt dann in echt, geht so eigentlich. Und dann steht man da, wie reagiere ich denn jetzt eigentlich genau?

Michaela Bayer: Mir kommt da gerade, dass wir zum Beispiel auch in der Ausbildung, Sara und ich haben auch gemeinsam die Ausbildung gemacht, dass wir da mal was gelernt haben. Das hieß, ich weiß nicht, ob ich es jetzt richtig ausspreche noch, aber das hieß irgendwie Mamma-Mia-Syndrom oder so und und es war so, da wurde uns erklärt, dass Menschen, die ich sag jetzt mal zum Beispiel aus Italien oder auch aus anderen Ländern kommen oder auch Menschen, die zum Beispiel dem Islam zugehören, sozusagen viel, oft oder ganz oft viel lauter sind, also in in allen ihren Gefühls lagen, also bei der Geburt, dass eine Frau besonders laut schreit und wenn jemand stirbt, dass sie besonders laut weinen und so, und ich weiß, dass ich mir damals dachte, ja, aber haben denn die nicht das Recht dazu? Wenn ich Schmerzen habe bei meiner Geburt, dass ich bis raus schreie, oder wenn ich trauere, dass ich dann laut weine und. Und warum gibt es das so? Also ich fand das ganz schlimm irgendwie, dass das so gesagt wurde, irgendwie Mamma Mia Syndrom oder so. Ja, als wäre das krankhaft, dass man seine Gefühle rauslässt, fand ich ganz schlimm. Ich habe es zum Glück seitdem nie wieder gehört. Aber man merkt es auch so auch im Alltag, dass zum Beispiel bei uns die meisten unserer Patienten sind deutsch und wenn das mal anders ist, und dann kommen auf einmal ganz viele Angehörige Zugehörige, dass wir das gar nicht so gewohnt sind.

Also unsere Palliativstation ein Ort, wo wir tatsächlich jeden aufnehmen und und auch die An- und Zugehörigen, jetzt mal Corona abgesehen. Aber das ist auch einfach schon schon so gar nicht normal ist irgendwie in Deutschland, dass da wirklich so viele Leute kommen und dass die dann wirklich so offen trauern dürfen und so und das finde ich eigentlich total schade.

Sabine Lorenz: Ihr habt vorhin auch erzählt, dass die meisten Sterbenden sich wünschen, noch mehr Zeit miteinander zu verbringen, mit ihren engsten Angehörigen, ihren wichtigsten Personen und wichtigsten Umfeld. Wir haben jetzt Corona immer nur so nebenbei erwähnt. Man hat ja irgendwie gar nicht mehr wirklich Lust darüber zu sprechen. Aber trotzdem in eurem Fall muss es ja da eine Extremsituation gewesen sein.

Ich fand immer von außen schon so wahnsinnig diese Aussicht, also ich hatte auch persönlich immer total Angst in der Zeit, dass jemandem aus meiner Familie, ich habe zwei kleine Kinder und ich dachte mir nur um Gottes Willen, also im Moment ist echt keine Zeit für einen Unfall und keiner aus dieser Familie darf im Krankenhaus landen, weil das ja ganz schrecklich ist. Aber gerade ja, also wenn das Leben zu Ende geht und dann kommt sowas und du hast das Gefühl, dass deine letzten Wünsche nicht erfüllt werden können. Es muss ja für euch auch schwer gewesen sein, das mit anzusehen und das irgendwie auffangen zu müssen?

Michaela Bayer: Also ich glaube ganz schlimm war es am Anfang, wo man noch nicht so richtig wusste, was ist es jetzt? Wie lang dauert das jetzt? Welche Regeln gelten für wen? Weil ganz am Anfang natürlich hieß es, es darf kein Besuch mehr da sein. Und dann hieß es ganz schnell schon, also es darf jemand kommen. Ich glaube, da war so die erste Regel eine Stunde am Tag eine Person bei Menschen, die wirklich akut im Sterben.

Und ich weiß noch, ich war da im Dienst, und dass eine Oberärztin von uns kam, die halt praktisch die Regel bekommen hat, jetzt sozusagen alle Angehörigen rauszuschmeißen. Und das war für mich ganz eindrücklich, das ist, glaube ich, auch das, was ich immer wieder erzählen würde. Da musste ich dann mit ihr und den anderen Kollegen halt durch die Zimmer gehen und den Angehörigen sagen, sie müssen leider gehen und so und dann hatten wir einen Patienten, der hatte einen Hirntumor und ich habe das eben gesagt der Frau, dass sie halt gehen muss und erst wieder kommen darf, wenn er halt im Sterben liegt, dann. Und sie hat total geweint und hat sich nochmal zu ihm ins Bett gelegt und hat dann zu ihm gesagt, ich muss jetzt gehen und ich weiß, du verstehst es wahrscheinlich nicht und so und ich kann auch nicht mehr kommen. Und das nächste Mal, wenn ich wieder kommen darf, da willst du mich nicht mehr sehen. Irgendwie so, weil ja, weil sie halt erst wieder kommen durfte, als er im Sterben liegt oder verstorben ist.

Und das fand ich so schlimm, der Herr, der hat es gar nicht verstanden, der wusste nicht, was ist Corona oder was heißt es jetzt. Und das fand ich total schlimm. Und zum Glück ging diese Phase aber nicht sehr lang, als es hieß dann glaube ich recht schnell, dass bei bei Menschen, die im Sterben liegen, dass das schon Ausnahmen gibt.

Dann war glaube ich länger die Regel, dass zwei Personen kommen dürfen im Sterbeprozess und so, aber selbst das war schwierig. Da hatte ich im Nachtdienst die Situation, dass eine eine Mama im Sterben lag, und dann habe ich ihren Ehemann angerufen habe, habe gesagt, ich glaube, sie wird in der nächsten Zeit, in den nächsten Stunden, versterben. Möchten Sie kommen? Ja, und die hatten aber zwei Kinder und dann durften aber nur zwei Personen kommen. Dann hat der Papa auch gesagt, okay, ich frag meine Töchter, wenn die beide kommen wollen, dann fahr ich die hierhin und ich warte draußen. Und wo ich mir dann gedacht habe, was für ein Mist, ich meine, die sind doch sowieso zu dritt zu Hause, wenn einer davon was hat, haben es doch wahrscheinlich eh alle drei und so.

Das war einfach, also in vielerlei Hinsicht für mich irgendwie auch oft nicht logisch nachzuvollziehen und deswegen dann schwierig. Und natürlich kam es auch für uns zu einem großen Mehraufwand, weil natürlich viele Angehörige dann dafür ganz oft angerufen haben, weil die haben das ja nicht gesehen, wie sich der Mensch wirklich verändert, verschlechtert. Und wenn wir dann am Telefon sagen, jetzt ist er oder sie schlechter geworden und wird jetzt dann versterben, dann war das für viele, da hat einfach ein Teil gefehlt, also weil man das nicht sieht, eben. Es hat auch viele gute Sachen mit sich gebracht.

Wir haben zum Beispiel Tablets bekommen, dass die Angehörigen dann zoomen oder Facetime oder irgendwas können und so und die haben wir auch immer noch. Also dass das alles ja viel digitaler wurde, war schon gut, aber ich glaube, für viele war das einfach ganz schlimm in der Zeit.

Sabine Lorenz: Vielen, vielen Dank für die vielen spannenden Erfahrungen und Infos, die ihr heute mit mir geteilt habe. Ich fand, das war ein super, ja, ich weiß gar nicht, spannendes Gespräch, ist vielleicht das falsche Wort. Sehr inspirierendes Gespräch, aus dem ich total viel mitnehme und jetzt auch für mich so mitnehme, dass ja Zeit zu geben, auch Leben geben heißen kann und dass man dadurch Leben verlängern kann und schöne Abschiede ermöglichen kann und dass wir alle uns auch so ein bisschen mehr Gedanken darüber machen sollten, dass das Leben dann auch eines Tages und vielleicht schneller als wir denken, vorbei sein kann. Und dass wir uns gut damit beschäftigen, was wir uns wünschen für unsere Lebenszeit und worauf wir unseren Fokus richten möchten und dann danach gut entscheiden können, was das Richtige für uns ist, das wirklich Wichtige für unsere Zeit, die uns hier so bleibt.

OUTRO: Wer die Gesellschaft verändern will, muss sie erreichen. Aber wie geht das eigentlich und was muss sich ändern? In diesem Podcast sprechen wir über Ideen und Themen, die uns inspirieren und die etwas bewegen. Jede Staffel neu, mal mit Gästen im Dialog und mal ganz anders. Das ist sprich!, der Podcast von neues handeln.

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