Dr. Robert Peters und sein Team entwickeln realistische Szenarien für die Zukunft. Die Analyse dieser Prognosen hilft dabei, das Wissen von Morgen bereits heute zu antizipieren. Gemeinsam mit Sebastian Jazerbski diskutierte der Zukunftsforscher darüber, warum das nicht nur für die Politik, sondern auch für die Gesellschaft wichtig ist.
Transkript
INTRO: Wer die Gesellschaft verändern will, muss sie erreichen. Aber wie geht das eigentlich? Und was muss sich ändern? In diesem Podcast sprechen wir über Ideen und Themen, die uns inspirieren und die etwas bewegen. Jede Staffel neu, mal mit Gästen im Dialog und mal ganz anders. Das ist sprich!, der Podcast von neues handeln.
Sebastian Jarzebski: Hallo und herzlich willkommen zu sprich!. Mein Name ist Sebastian und ich möchte in dieser Staffel herausfinden, was wissen wir über unsere Gesellschaft? Und genauer noch, was ist eigentlich Wissen? Und dafür freue ich mich sehr, heute meinen ersten Live-Gast hier in unserem kleinen Podcaststudio zu haben. Heute ist Robert Peters bei uns. Hallo Robert.
Robert Peters: Hallo Sebastian.
Sebastian Jarzebski: Robert Peters ist Zukunftsforscher und Politikberater am Institut für Innovation und Technik und beschäftigt sich dort mit dem, was uns morgen umtreibt, mit der Zukunft, mit einem ganz großen Begriff. Und über die Zukunft wollen wir heute sprechen und über die Frage: Was wissen wir eigentlich über die Zukunft? Und dafür würde ich gerne einsteigen mit einer ganz profanen Frage. Robert, weißt du schon, was du morgen so machst?
Robert Peters: Sebastian, erst mal ganz herzlichen Dank für die Einladung und auch schön, dass ich hier mit dir den den ersten Live-Gig sozusagen gestalten darf, in eurem neuen Podcaststudio. Ja. Was mache ich morgen? Das ist so die klassische Frage. Das verrät mir der Blick im Zweifelsfall in meinen Outlook-Kalender. Morgen Abend bin ich zum Essen verabredet mit einem lieben Kollegen und morgen um 12:00 Uhr habe ich, glaube ich, zwei Termine und ansonsten schreibe ich fleißig an unseren aktuellen Studien. Das ist so der Zeithorizont, den ich auch ohne große Zukunftsforschung methodisch gut und relativ gesichert überblicken kann. Auch wenn ich natürlich nicht genau weiß, was mir heute oder morgen vielleicht noch zustößt. Aber das wäre reine Antizipation. Davor gehe ich aus, dass ich das morgen mache.
Sebastian Jarzebski: Jetzt könnte man ja ganz kulturkritisch schon sagen, dass wir alle gesteuert sind von unseren Outlook-Kalendern, die uns die Tage schon so durchplanen. Aber du hast es gerade schon angeteasert. Du sagst "unsere Studien", an denen ihr gerade so arbeitet. Du arbeitest am IIT, am Institut für Innovation und Technik. Was ist das? Was macht ihr da so? Und was sind das vielleicht auch für Studien, an denen du da gerade arbeitest?
Robert Peters: Ja, das Institut für Innovation und Technik ist im Grunde genommen eine Querschnitts-Organisation, die zur VDI/VDE Innovation und Technik GmbH gehört. Der Hauptjob unserer meisten Kolleginnen und Kollegen bei uns ist das Projektträger-Geschäft, das heißt wir administrieren, wir gestalten Mittel und Förderprogramme für die Bundesregierung vor allen Dingen. Und was wir im Institut für Innovation und Technik machen, ist, wir nutzen das Know How der vielen fachlichen Kolleg, die wir haben.
Wir sind insgesamt über 1000 Mitarbeitende im Unternehmen. Im Institut für Innovation Technik arbeiten einige 100 Expert*innen aus ganz unterschiedlichen Bereichen, aus den Technikwissenschaften, den Sozialwissenschaften, den Humanwissenschaften und anderen wissenschaftlichen Gebieten. Und was wir überwiegend machen, ist, das nennen wir wissenschaftsbasierte Politikberatung. Und ich ganz speziell, ich leite eben verschiedene Projekte im Bereich Foresight, also im Bereich der Zukunftsforschung.
Und wir machen auch Technikfolgenabschätzung, unter anderem als Sozialpartner des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag. Also wir versuchen Themen, Technologie, Phänomene, die für unsere Gesellschaft in Zukunft relevant sein könnten, möglichst frühzeitig zu erkennen und dann für und mit unseren Kundinnen entsprechend einen Orientierungsrahmen aufzubauen. Das versuchen wir mit bestimmten Methodiken, damit diejenigen, für die und mit denen wir arbeiten, das sind meistens Entscheider*innen aus Politik und Wirtschaft, eben möglichst, das ist so der Versuch, den wir da unternehmen als Zukunftsforscher, heute schon die Entscheidungen vorzubereiten, die sich an den Perspektiven der Zukunft orientieren.
Sebastian Jarzebski: Wir beide haben uns ja quasi im Internet kennengelernt und ich finde es deswegen so spannend, weil diese große Frage nach der Zukunft und nach dem, was morgen passiert, natürlich eine ist, die im politischen Handeln besondere Relevanz hat. Denn die Politik hat den großen Wunsch vorausschauend Entscheidungen zu treffen, die nicht nur für das Heute gelten, sondern die auch morgen noch ihre Wirkung entfalten.
Du hast jetzt schon einen ganz zentralen Begriff für dieses ganze Phänomen genannt, nämlich Foresight. Vielleicht kannst du uns noch mal so ein bisschen erzählen, was da so hinter steht, also was meint Foresight. Und mit was für einer Haltung geht man an Foresight, also an die vorausschauende Forschung des Morgens, heran?
Robert Peters: Ja, kann ich gerne versuchen, einmal einzuordnen. Also Foresight meint - ins Deutsche übersetzt heißt das "Strategische Vorausschau". Wir versuchen also, strukturiert einen Blick in die Zukunft zu werfen. Und dabei geht es eben explizit nicht darum zu sagen: Okay, wir ermitteln jetzt, wie die Zukunft im Jahr 2030 oder 2035 aussehen wird, sondern wir explorieren mit unserer Methodik verschiedene denkbare Zukünfte.
Und du hast eben schon gesagt, Politik hat den Anspruch, das Morgen zu gestalten. Jetzt kann man sich fragen, welches Morgen es ist das Morgen morgen? Oder ist es das Übermorgen? Oder ist es das Überübermorgen? Wir sehen, das ist jedenfalls meine Wahrnehmung, dass wir in Deutschland explizit, ein Stück weit auch in Europa eine Kultur der Politikgestaltung haben und erlebt haben über die letzten Jahrzehnte, die sehr, sehr stark auf Sicht fährt.
Also dieses Mantra von Angela Merkel in ihren 16 Jahren Kanzlerinnenschaft zu sagen: Ja, wir fahren auf Sicht und das ist gute Politikgestaltung. Das ist ja etwas, was viele von uns auch in unserer politischen Vergangenheit als Gesellschaft geprägt hat und Foresight, ermöglicht es eben gerade in Zeiten, in denen sehr, sehr viele fundamentale Veränderungen unserer Gesellschaft bevorstehen, die es zu gestalten gilt, eben die Perspektive der Politikgestaltung etwas zu erweitern.
Und man kann das, glaube ich, auf den Punkt bringen, dass man sagt, der traditionelle Ansatz der Politikgestaltung ist sehr stark reaktiv geprägt und das, was wir versuchen können, mit Foresight zu unterstützen, ist eben eine starker antizipatorischer Ansatz von Politikgestaltung. Wirklich hinzuschauen, was sind denn die Handlungsfelder, die jetzt in den nächsten 5 bis 10 Jahren relevant werden und vielleicht auch die Chance eröffnen, mit unserer Methodik über die einzelnen Legislatur mal hinaus zu blicken?
Sebastian Jarzebski: Was es dafür natürlich braucht, ist in irgendeiner Weise eine Art von Wissen über das, was in der Zukunft passiert, was sich ja erst mal in so einem allgemeinen Verständnis vielleicht sogar ausschließt. Also wir können nicht wissen, du hast es gerade gesagt, was morgen so passiert. In den letzten Zeit hatten so zwei Begriffe Konjunktur. Viele haben von Ambiguitätstoleranz gesprochen, also von dem Aushalten von Unsicherheiten.
Viele sprechen von Kontingenz, Bewusstsein, also von einem kollektiven Bewusstsein darüber, dass auch alles anders kommen könne, als es man sich vielleicht gedacht hat. Und angesichts dieser beiden Begriffe vielleicht auch: Wie weit können wir denn überhaupt in diese möglichen Zukünfte blicken?
Robert Peters: Also weil du den Wissensbegriff angesprochen hast, das ist eben auch genau die zentrale Unterscheidung zwischen dem traditionellen Ansatz der reaktiven Politikgestaltung und dem, was ich versuche jetzt als antizipatorische Politikgestaltung zu beschreiben. Dass an die Stelle des Wissens, die der Evidenz, die wissenschaftlich fundiert ist, im Idealfall, eben die Plausibilität tritt. Das heißt, wir versuchen gar nicht, Wissen über die Zukunft aufzubauen, sondern wir versuchen im Grunde genommen, ich hatte das eben so formuliert, unterschiedliche denkbare Zukünfte zu explorieren.
Das heißt, wir versuchen zu beschreiben - das sind bestimmte Einflussfaktoren, die künftige Entwicklung in einem Politikfeld X bestimmen können. Und dann schauen wir in jedem dieser Einflussfaktoren: Welcher ist denn potenziell am wirkmächtigsten und wie könnte sich dieser einzelne Einflussfaktor in den nächsten fünf, zehn, fünfzehn Jahren denn entwickeln? Das ist meistens so der Zeitraum, den wir uns anschauen und dann versuchen wir, aus den unterschiedlichen Ausprägungen dieser verschiedenen Faktoren, die die Zukunft beeinflussen können, wiederum Szenarien zu konstruieren, die sich voneinander unterscheiden und eben möglichst einen breiten Möglichkeitsraum denkbarer Zukünfte abbilden.
Damit eröffnen wir im Prinzip auch einen Diskursraum, in dem wir dann entsprechend miteinander diskutieren können. Da kann man sich sicherlich drüber streiten, aber ich würde grundsätzlich sagen, Wissen über Zukunft können wir gar nicht haben. Das sollte auch, glaube ich, gar nicht der Anspruch sein, weil damit damit geraten wir in eine Tendenz, die wir in der Ökonometrie beispielsweise seit Jahrzehnten kennen und die immer wieder auch zu, ich würde sagen, suboptimalen Ergebnissen führt.
Wenn wir eben versuchen, wirklich etwas vorherzusagen, dann scheitert es wahrscheinlich in neun von zehn Fällen. Deswegen ist eben dieser Ansatz ein sehr spannender und auch ein sehr wichtiger, eben zu sagen, wir versuchen so einen Möglichkeitsraum zu beschreiben, in dem wir dann unser Handeln, das strategische, aber auch das operative Handeln entsprechend einfügen und daran orientieren können.
Sebastian Jarzebski: Hast du vielleicht ein Beispiel für diese Methode? Ich finde es total gut, diese Entscheidung einzuführen, zu sagen, hier geht es eher um Plausibilitäten als um Wissen. Also da auch wirklich noch mal eine epistemologische Trennung sozusagen einzuziehen. Zu sagen, wir haben es hier gar nicht mit Wissen zu tun. Und selbst wenn Dinge sehr, sehr wahrscheinlich sind, nehmen wir diese Unsicherheit zukünftiger Ereignisse mit in unsere Betrachtung rein. Ja, aber vielleicht hast du ein Beispiel, damit wir uns das noch ein Ticken besser vorstellen können. Was habt ihr so für mögliche Zukünfte mal untersucht?
Robert Peters: Vielleicht schauen wir uns mal etwas an, von dem wahrscheinlich viele Hörer*innen auch schon was gehört haben: Das autonome Fahren. Das ist eine Technologie, also eigentlich ein Konglomerat an verschiedenen Technologien, die konvergieren zu einem System, das autonome Fahrzeug, das gibt es in der Form eigentlich heute, in der Praxis noch gar nicht. Und es gibt verschiedene Levels des autonomen Fahrens und das, was wir heute erleben und auch in naher Zukunft erleben werden, das ist eigentlich maximal hoch automatisiertes Fahren.
Also da ist immer noch ein Mensch mindestens in einer überwachenden Funktion dabei. Aber wir haben beispielsweise vor einiger Zeit mal eine Studie gemacht, wir haben uns angeschaut, wie verändert denn das autonome Fahren den öffentlichen Personennahverkehr. So, das war eine sehr konkrete Fragestellung. Es ging nicht um das autonome Fahren allgemein, sondern es ging ganz konkret um ein Anwendungskontext. Und da kann man sich jetzt von der Technologie her nähern und sagen - Okay, also wie entwickelt sich in den nächsten 5 bis 10 Jahren die Technologie des autonomen Fahrens für verschiedene Fahrzeuge, also Automobile, für Busse, für Bahnen. Dann gibt schon mal einen ersten Anhaltspunkt, was denn technisch möglich ist.
Das ist dann ein Faktor, den wir hier mit einbeziehen können. Wir wissen aber nicht ganz sicher, wie dynamisch sich diese Technologien entwickeln. Das heißt also, da gibt es ja ein unterschiedliches Spektrum, wie schnell hier ein bestimmter Technologie-Reifegrad erreicht werden kann. Und darüber lassen sich schon unterschiedliche denkbare Zukünfte beschreiben. Dann gibt es andere Faktoren. Nehmen wir jetzt nur mal die Beschäftigten, die in so einem ÖPNV-Unternehmen wie den Berliner Verkehrsbetrieben beispielsweise arbeiten. Die spielen da natürlich auch eine ganz wesentliche Rolle, weil die werden ja mit diesen Technologien in irgendeiner Form zusammenarbeiten.
Und wenn wir uns jetzt nur mal anschauen, das Spektrum, arbeiten die nur noch überwachend für so ein autonomes System oder arbeiten die in einer Leitstelle beispielsweise und überwachen ganz verschiedene Fahrzeuge oder arbeiten die im Fahrzeug überwachend, und greifen sozusagen vor Ort ein. Das sind zwei unterschiedliche Ausprägungen wiederum, die auch ganz stark abhängig sein können davon, wie schnell sich die Technologie weiterentwickelt.
Und wenn wir nur mal diese beiden Stränge nehmen und jetzt mal auffächern würden, hier zu zweit, wie viele verschiedenen Zukunftsbilder ergeben sich denn aus diesen beiden Einflussfaktor? Also wie sieht Arbeit aus, die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine? Und wie entwickelt sich denn die Technologie, um die es da im Kern geht, weiter? Dann entsteht schon ein ganz breites Spektrum an denkbaren Zukünften und so im Prinzip nur über sehr, sehr viele verschiedene Einflussfaktoren, versuchen wir uns mit unserer Methodik da entsprechend anzunähern.
Sebastian Jarzebski: Ich glaube, das größte Thema, wo alle gerade gerne genau wüssten, was passiert und wo glaube ich Modellierung von Zukünften gerade so im öffentlichen Diskurs sehr präsent sind, ist ja das Klimathema so ganz allgemein mal gesagt. Hier kulminiert diese ganze Debatte rund um die 1,5 Grad als Zielmarke, die nicht überschritten werden dürfte. Und was ich mich dabei immer frage - wenn ich das so anschaue, dann ist es ja so, dass wir es hier nicht nur mit - also hier ist ja fast der Begriff komplex maximal untertrieben.
Also wir haben es ja hier mit absolut multidimensionalen, multifaktoriellen Modellierungen zu tun. Die sich jetzt in diesem Klima-Fall natürlich dann irgendwie runterbrechen auf diesen CO2-Ausstoß. Aber die Ursachen und alles was vor dem Ausstoß von CO2 kommt, sind natürlich so vielfältig, weil Menschen damit zu tun haben. Und immer dann, wenn Menschen irgendwie miteinander interagieren, entstehen maximal komplexe Systeme.
Deswegen ist die Frage für mich noch mal, wie kriegt ihr diesen Faktor Mensch in diese Zukunftsgeschichte rein oder in diese Zukunftsmodelle? Also wie schafft ihr das, euch das Verhalten von Menschen, was heute schon maximal erratisch ist oder nicht? Nicht so richtig logisch manchmal. Wie schafft ihr das Verhalten von Menschen zu antizipieren oder auch irgendwie zu erfassen?
Robert Peters: Überhaupt den Weg, den wir versuchen zu gehen, wenn es darum geht zu verstehen, wie verschiedene Akteure - wir schauen uns natürlich keine einzelnen Personen an, sondern wir schauen uns in der Regel bestimmte Stakeholder-Gruppen an, die für ein Themenfeld, das wir uns jetzt anschauen in unseren Analysen, besonders relevant sind. Da versuchen wir natürlich genau diese Stakeholder-Gruppen mit einzubeziehen.
Das heißt also Foresight, strategische Vorausschau, ist im Prinzip ein stark partizipatives Verfahren. Das heißt mit den Expert*innen, mit den Domänen-Expertinnen, mit den Praktikerinnen aus verschiedenen Bereichen, die jetzt für ein bestimmtes Thema, wie beim autonomen Fahren relevant sind, sprechen wir. Also bei dem Beispiel zu bleiben: Wir würden dann also in unsere Analyse einbeziehen, die Perspektive von Technikwissenschaftler*innen, in die eben autonome Fahrsystem entwickeln.
Wir würden die Expertise von Beschäftigten und Beschäftigtenvertreter*innen aus dem ÖPNV mit einbeziehen, von Unternehmen, von der Leitungsebene, von Unternehmen, die im ÖPNV aktiv sind, auch andere Mobilitätsdienstleister. Und beispielsweise, weil ÖPNV ja immer ein sehr kommunales Thema ist, wird hier natürlich auch die Kommunalpolitik eine ganz wichtige Rolle spielen, also der Ort und die Personen, die darüber entscheiden, mit der Bevölkerung vor Ort, wie Verkehrsentwicklungspläne aussehen.
Also die Stakeholder-Gruppen, von denen du sagst, völlig zu Recht, dass deren Verhalten super schwer zu antizipieren ist - das ist der erste Schritt. Die beziehen wir mit ein und dann versuchen wir natürlich, dem Rechnung zu tragen, dass wir wissen und wir versuchen auch den Stakeholdern das nach Möglichkeit bewusst zu machen, dass wir alle bestimmten kognitiven Verzerrungen unterliegen, wenn wir selber aus unserer eigenen Perspektive versuchen, in die Zukunft zu schauen.
Es gibt ganz verschiedene Bias, die uns da prägen. Ein ganz spannender Bias ist der, der Hindsight Bias beispielsweise. Das Prinzip dahinter ist, wenn wir versuchen, wenn wir vor dem Hintergrund einer Entwicklung, die wir bereits in der Realität beobachtet haben, etwas, was uns schon widerfahren ist, dann noch mal zu rekapitulieren - wie haben wir denn eigentlich diese Situation antizipiert? Dann haben wir im Nachhinein den Eindruck, dass wir das viel präziser antizipieren konnten, als es in Wirklichkeit der Fall ist.
Und das ist natürlich ein Riesenproblem, weil das sagt viel darüber aus, wie valide, wie stabil sozusagen die Zukunftsannahmen sind, die wir heute treffen. Das ist ein Aspekt, den wir versuchen in unserer Arbeit natürlich zu berücksichtigen. Ein anderer Aspekt ist so was wie Clustering-Illusion, also wir als Menschen tendieren dazu, kognitionspsychologisch einfach überall Muster zu erkennen, auch wenn keine Muster da sind.
Und das sind alles Dinge, die wir versuchen, nach Möglichkeit eben mit unserer Methodik natürlich auch zu adressieren. Und ein Weg, weil das wahrscheinlich die logische nächste Frage wäre, wie machen wir das? Ist einfach, dass wir tatsächlich Expertinnen aus interdisziplinären Sphären zusammenbringen, also aus verschiedenen Professionen, dass wir auch verschiedene Zukunftsannahmen, die diese Expertinnen treffen, miteinander in Konkurrenz bringen, diskursiv, so dass man sagt, okay, also was steckt denn eigentlich hinter dieser Annahme, die ein bestimmter Akteur hat.
Worauf ist das zurückzuführen? Was sind die Gründe für eine konkurrierende Zukunftsannahme? Und gibt es einen Weg, dass die beiden Akteure - in Wirklichkeit sind das in diesem Prozess natürlich immer sehr viele verschiedene Akteure - dass die so eine Art gemeinsames, konzentriertes, also zusammengeführtes Zukunftsbild zwischen einander aushandeln, das ist im Kern das, wie wir versuchen, hier die Perspektive und die Expertise der verschiedenen Stakeholder mit einzubeziehen.
Sebastian Jarzebski: Spielen denn da auch Interessen eine Rolle? Weil in der Tat ist es ja so, dass Stakeholder immer Interessen haben und das gar nicht böse. Das ist jetzt gar keine kritische Aussage, sondern das ist das Wesen oder das Urwesen von Akteuren generell im politischen Raum, die natürlich auch mit Interessen in solche Prozesse reingehen. Ist das auch etwas, was ihr "rausrechnen" könnt, oder mit solchen Bias mitbedenkt oder ist es was, wo ihr sagt okay, es gibt gar keine Welt außerhalb dieser Interessen und dadurch ist es schon wieder sozusagen von vornherein vielleicht sogar einfach logisch, dass die mit eingerechnet sind.
Robert Peters: Also gerechnet wird an der Stelle in der Regel nichts, aber ich weiß, was du meinst. Also die Interessen sitzen natürlich immer mit am Tisch. Das unterscheidet vielleicht auch Foresight, vor dem Hintergrund, dass wir versuchen, die Evidenz sozusagen zu ergänzen, die wir bezogen auf die Status-Quo-Analyse aus der Wissenschaft haben, durch Plausibilität, wie ich das eben schon erläutert habe.
Da bricht sich so ein bisschen das Thema, das du in einer anderen Podcastfolge mit Alexander Bogner diskutiert hast, die Frage, inwiefern Werte-Konflikte eigentlich in den Hintergrund rücken im politischen Diskurs gegenüber Wissenskonflikten. Im Bereich Foresight haben wir einerseits kein Wissen, aber wir haben natürlich teilweise sehr stark und auch sehr offensiv vertretene Annahmen von bestimmten Akteuren, die vielleicht so ein bisschen das Wissen, also das in den Augen mancher Stakeholder vielleicht eine Gewissheit ist darüber, wie die Zukunft verläuft.
Und nach meinem Verständnis, ist es extrem wichtig, dass wir uns bewusst machen, dass da Interessen mit am Tisch sitzen und dass das auch völlig in Ordnung ist. Nur man muss natürlich versuchen, auch diese Interessen gemeinsam offenzulegen und zu teilen. Und wenn das gelingt, das ist jedenfalls meine persönliche Erfahrung, dann gelingt es manchmal auch, sozusagen über den eigenen Schatten zu springen.
Ein konkretes Beispiel: Das Thema CO2 ist natürlich immer sehr anspruchsvoll, das ganze Thema nachhaltige Transformation mit Unternehmen zu diskutieren. Und Foresight gibt aber eben die Chance, so ein bisschen aus der aktuellen Debatte um Klimakleber und langsam sich transformierenden Unternehmen, jetzt aus diesem polarisierten Diskurs so ein stückweit rauszukommen, weil in einem Zukunftsbild sind sich meist doch überraschend viele Akteure relativ einig, wenn es um das Thema geht.
Weil in Zukunft wollen wir auf einem gesunden Planeten leben, in einer gesunden Umwelt, die uns am Leben erhält. Und wir wollen natürlich auch in relativem Wohlstand mindestens leben. Und das ist ein gemeinsamer Nenner, den wir schon häufig erreichen können, auch wenn wir im Hier und Jetzt sehr unterschiedliche Interessen sozusagen am Tisch sitzen haben, die sich dann meistens aber primär über den Weg streiten und nicht über das Ziel, dass in einer gewissen Ferne vom Hier und Jetzt, vom Heute, liegt.
Sebastian Jarzebski: Also für mich ist das natürlich so, wenn man so will, ja fast so die, die ethische Komponente dann von Foresight oder von Zukünften, die man auch irgendwie gemeinsam gestaltet. Wo ich mich jetzt im Vorfeld des Gesprächs gefragt habe, also über eine Prognose bereitet man die Zukünfte ja auch vor. Das ist ja auch wieder so ein klassisches Phänomen.
Wir wirken ja auf den Diskurs ein, indem wir ihn analysieren oder indem wir mögliche Szenarien entwerfen, werden ja auch Dinge vielleicht erst möglich. Also sie werden ja sozusagen erst dann in so einen Möglichkeitsraum gestellt dadurch, dass man darüber spricht. Und wenn wir vorher nicht drüber gesprochen haben, ist es ja vielleicht für manche Leute auch nicht denkbar oder nicht möglich.
Und daher kam ich jetzt sozusagen von diesem Gedanken der Interessen, also inwieweit man auch Einfluss nehmen kann auf diese prognostizierten Zukünfte. Und da hat das natürlich sehr geholfen, wenn du sagst, dass es da eigentlich um so ein Konsentieren geht, also auch eher um auch konfligierende Meinungen zu bestimmten Themen, schon da mit einzubeziehen in diese Zukunftsentwicklung.
Robert Peters: Das geht natürlich nie bis zum Allerletzten, das ist klar, ein Prozess auch der Zukunftsforschung ist immer davon geprägt, welche Expert*innen da am Tisch sitzen. Das ist auch ganz wichtig und das muss man auch wissen, wenn man solche Ergebnisdokumente dann sich anschaut und die Empfehlungen, die daraus resultieren.
Das, was du gerade angesprochen, das finde ich ganz spannend, weil das beschreibt diese Frage von Prognosen, was wir ja nicht machen, wir machen ja Vorausschau. Aber unter dem Stichwort Prognosen hat das tatsächlich Jens Beckert, ein Soziologe vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, mal in einem sehr spannenden Buch diskutiert. "Imagined Futures" heißt es und da geht es um fiktionale Zukuftsannahmen, die in der Ökonomie natürlich auch eine ganz wichtige Rolle spielen und er beschreibt das Verhältnis dieser Zukunftsannahmen, die permanent getroffen werden und die auch nicht nur auf einer individuellen Ebene hochgradig fehlerhaft sind, wenn man sich das genau anschaut, sondern insgesamt auch was ökonomische Märkte an Zukunftsannahmen kreieren.
Das zeigt Jens Beckert eben sehr schön auf und das ist nicht immer von Erfolg geprägt, um es mal freundlich zu formulieren. Und trotzdem prägen natürlich diese fiktionalen Erwartungen, die gebildet werden, von allen möglichen Marktakteuren eine reale Konsequenz. Und das ist das, was du gesagt hast. Wir kreieren ein Stück weit, natürlich dadurch, dass wir über die Zukunft versuchen, Aussagen zu treffen, auch handeln und im Falle von Marktakteuren bedeutet das, wo investiere ich mein Geld, wo kreiere ich neue Wertschöpfung und damit natürlich auch gesellschaftliche Realität.
Sebastian Jarzebski: Ja, also ich glaube, in der Ökonomie spielen diese Fragen ja eine riesen Rolle. Da ist jede, wie du sagst, jedes Invest beruht auf Annahmen über die Zukunft. Ja, sonst würde sich in der Regel das Invest nicht auszahlen können. Wenn nicht die Annahme getroffen wird, dass es sich in der Zukunft zumindest nicht schmälert.
Und dadurch, dass du die Ökonomie nochmal mit reingebracht hast - das ist natürlich ein Feld, in dem ganz viel mit Zukünften auch gearbeitet wird. Wenn ich dich jetzt aber richtig verstanden habe, dann noch mal vielleicht ein bisschen anders, als ihr das macht. Also wenn du sagst, das ist dann eher eine Prognose und nicht so sehr eine eine Vorausschau, vielleicht kannst du da noch mal eine Unterscheidung machen.
Also was ist dann eine Prognose? Ist eine Wetterprognose was anderes als als eine mögliche Zukunft?
Robert Peters: Ja, absolut. Es ist total was anderes. In der Wirtschaft sehen wir beides. Also wir sehen unter dem Stichwort Corporate Foresight beispielsweise, dass viele Unternehmen, gerade große Unternehmen, die sich solche Strukturen auch leisten können, tatsächlich auch mit Mitteln der strategischen Vorausschau versuchen, beispielsweise Szenario-basiert oder Road Mapping-basiert eben mögliche künftige Entwicklungen zu explorieren auf einem erst mal im primär qualitativen Niveau.
Das kann man auch quantifizieren, aber was da sicherlich verbreiteter ist, wenn wir Dinge versuchen zu quantifizieren, dann über beispielsweise große ökonomische Modelle Prognosen anzustellen. Es gibt eine Möglichkeit, das auch miteinander zu verbinden und das finde ich persönlich ganz besonders spannend. Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass Du zunächst einmal versuchst, verschiedene denkbare Zukünfte zu explorieren und die dann in einem weiteren Schritt versuchst, mit quantitativen Annahmen zu versehen.
Was würde das denn in qualifizierten Indikatoren bedeuten, wenn Szenario A, B, C oder D eintritt und darauf basierend dann entsprechend eine Modellrechnung zu machen. Was aus solchen Prognosen herauskommt, ist dann beispielsweise, Kollegen von uns von GWS haben das unlängst in einer Studie zur Studie zusammen mit Prognos gemacht. Die haben dann berechnet, wie viel Wohlstandsverlust haben wir denn durch den Klimawandel bis ins Jahr 2050.
und da kam da eine Zahl raus, ich meine, das waren so 900 Milliarden €. Und das ist dann so eine Zahl, die wird wahrscheinlich nicht eintreten. Also da werde ich wahrscheinlich den Kolleg*innen nicht zu nahe treten, die werden auch nicht davon ausgehen, dass es tatsächlich genau 900 Milliarden sind.
Aber das beschreibt halt mal eine Hausnummer an das, was vielleicht in einem rein Foresight-basierten Ansatz sozusagen nur näherungsweise quantitativ zu beziffern ist. Deswegen finde ich, diese beiden verschiedenen Herangehensweisen ergänzen sich da ganz wunderbar und wie gesagt, das war der Ausgangspunkt und auf Unternehmensebene passiert genau beides. Man versucht natürlich, künftige Einkünfte, künftige Umsätze zu antizipieren, auf einem ganz konkreten datenbasierten Level.
Und gleichzeitig versucht man das Umfeld, das darauf einzahlt, ob ich jetzt wirklich soundso viel Umsatz mache oder ob ich irgendwie nur 80 % meines Umsatzziel erreiche, entsprechend auch mit einzubeziehen.
Sebastian Jarzebski: Gab es denn in der Vergangenheit oder vielleicht in dem, wo du das Feld jetzt sozusagen überblickst, schon mal Vorhersagen von Trends oder von Technologien oder Zukünften, wo die Methode besonders gut funktioniert hat? Oder gibt es da bei euch, in der Szene möchte ich jetzt fast sagen, die drei Beispiele, die immer wieder hervorgeholt werden, wo man sagt, hier hat Foresight sehr gut funktioniert und tolle Zukünfte entworfen, die sich dann auch näherungsweise ja eingestellt haben.
Oder ist das Ganze noch so jung, dass wir das noch gar nicht überprüfen konnten, wenn man so will?
Robert Peters: Also die Ideengeschichte oder auch auch die praktische Realität von strategischer Vorausschau hat in Deutschland eine sehr lange Tradition über viele Jahrzehnte. Von daher, da finden sich für alles mögliche gute und schlechte Beispiele. Ich habe mich gerade gefragt, welche Frage wird der Sebastian stellen?
Fragt er jetzt nach den Beispielen, wo es gelungen ist? Oder fragt er nach den Beispielen, wo es nicht gelungen ist? Ich freue mich total, dass du mich nicht nach den Beispielen gefragt hast, wo das nicht gelungen ist. Es gibt da so Klassiker, ohne jetzt Namen zu nennen. Das weißt du wahrscheinlich aber auch einfach aus aus den Medienkonsum, wenn man sich das mal anschaut, wenn man mal googelt, welche Zukunftsannahmen nicht eingetroffen sind. Es gibt Kolleg*innen, die gesagt haben, das Internet setzt sich nicht durch. Und so weiter. Also das sind so die Klassiker. Ich will es mal ganz konkret machen, wo das in einem unserer Prozesse aus meiner Sicht sehr, sehr gut gelungen ist. Ich bin 2019 zum Institut für Innovation und Technik gekommen und habe mich vorher an der RWTH Aachen schon mit der Entwicklung von Zukunftsszenarien für die Textil- und Bekleidungsindustrie beschäftigt.
Und das passte für mich super, weil eines meiner ersten Projekte eigentlich das erste Projekt, das ich bei unserem IIT geleitet habe, war für das Forschungskuratorium Textil. Das ist sozusagen Teil des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie. Also ein Interessenverband, die selber Forschungsmittel administrieren und auch Informationsaufbau betreiben für ihre Mitglieder, für Forschungsinstitute, für Unternehmen in der Textil- und Bekleidungsindustrie in Deutschland.
Und da haben wir ein breit angelegten Foresight-Prozess gemacht mit circa 100 Expert*innen aus der Branche, aus benachbarten Branchen, aus dem Textil-Maschinenbau und auch teilweise aus dem europäischen Ausland. Und da haben wir versucht zu explorieren, wie könnte sich denn diese Branche bis zum Jahr 2035 weiterentwickeln? Und dieses Projekt hieß dann auch Perspektiven 2035 und was hier gelungen ist, das hat sich natürlich erst im Nachhinein gezeigt, dass sozusagen die großen Fragezeichen hinsichtlich beispielsweise Fridays-for-Future und anderer Akteure, die sehr, sehr stark auf eine noch viel striktere nachhaltige Transformation in Europa hinwirken, dass wir gemeinsam in dem Prozess das ganz gut integrieren konnten, weil tatsächlich das, was bei uns am Ende so als die Tendenz in der Roadmap, die wir da entwickelt haben, rausgekommen ist, deutete darauf hin, dass wir bis 2030 vermutlich, das war so die Annahme, auf eine recht harte Regulierungsschwelle in diesem Textil-Sektor zulaufen. Das war damals für manche Akteure eine ungewöhnliche Annahme. Das unterstellte so implizit, dass eine bestimmte Art von Geschäftsmodell, ich sage jetzt mal Fast Fashion, vermutlich nicht mehr oder nur noch unter sehr, sehr bestimmten Bedingungen 2030 möglich sein wird.
Das heißt, wir haben da antizipiert, es gibt einen recht rigorosen Regulierungswahn. Und jetzt zeigt sich tatsächlich, dass im Zuge des gesellschaftlichen Diskurses die Europäische Kommission eine Textilstrategie vorgelegt hat, die tatsächlich einen relativ strikten Regulierungsfahrplan bis 2030 vorlegt. Und das bedeutet tatsächlich, dass die dort in Deutschland produzierenden Unternehmen der Textil und Bekleidungsindustrie, die im Vergleich zur internationalen Konkurrenz in Sachen Nachhaltigkeit schon relativ weiter sind, plötzlich eine riesige Marktchance haben. Nämlich die großen Retailer wie Zara und so weiter, die werden sich in den nächsten Jahren wahrscheinlich überlegen müssen, wo kriege ich denn jetzt eigentlich kreislauffähige Mode her? Wo kriege ich denn jetzt eigentlich nachhaltiger erzeugte Mode her? Und das ist sozusagen eine Regulierung, die hier Marktchancen für deutsche Unternehmen erzeugt. Und das haben wir gemeinsam mit den Expert*innen damals relativ gut schon antizipieren können. Und tatsächlich zeigt sich jetzt in Folge, dass ganz viele Unternehmen das auch für sich erkennen und das auch durch solch einen Forsightprozess motiviert, noch zielgerichteter und mit noch größerer Begeisterung eben ihre Zukunft als Branche gestalten.
Sebastian Jarzebski: Das finde ich ein super Beispiel, weil es so, so spezifisch und so unerwartet ist. Also daran hätte ich jetzt gar nicht als erstes gedacht, dass die Modeindustrie das natürlich auch irgendwie auf dem Schirm hat, auch wenn einem bewusst ist, dass es ein Multi-Milliarden-Markt ist, der da agiert. Aber wenn ich das so höre, muss ich doch sagen: Es ist doch umso mehr verwunderlich, dass in diesem ganzen Klima-Kontext sich bestimmte Dinge eben noch nicht bewegen.
So möchte ich es sagen. Also dass es zumindest in so einer jetzt wirklich total bauchgefühligen allgemeinen Wahrnehmung immer noch zu wenig gesellschaftliches und politisches Handeln hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Klimaziele gibt. Wenn du sagst, dass es schon möglich ist, mit der drohenden Regulierung die Textilbranche aufzuscheuchen, frage ich mich - ich meine, das ist jetzt eine politische Frage, die du gar nicht im Jetzt aus deiner Expertensicht als Foresight-Mensch beantworten kannst, aber als politisch denkender Mensch durchaus vielleicht eine Meinung zu hast.
Woran liegt es, dass wir dann - die Zukünfte sind ja auch klar - zumindest vermeintlich klar, die Zukunft in der Mehrzahl, die wir dort haben werden angesichts eines steigenden Klimaproblems.
Robert Peters: Also meine Perspektive darauf, als Foresight-Experte, sage ich jetzt ganz explizit, ist, dass wir es da natürlich mit dem zu tun haben, worum es immer geht. Wir haben Machtstrukturen, die bestimmte Entwicklungen beschleunigen können oder auch behindern. Die Transformation ermöglichen oder erschweren. Und in dem konkreten Beispiel, Regulierung, die die Textilindustrie aufscheuchen, ist es gar nicht die Textilindustrie, die da aufgescheucht wird, sondern es ist der Retailing-Sektor.
Das heißt, das sind die Unternehmen, die eben hier überall Filialen haben und uns eben günstige Mode verkaufen, die in aller Regel nicht in Deutschland und in den allermeisten Fällen auch nicht in Europa hergestellt worden ist. Wo wir zumindest ein Stück weit besser sind, was Nachhaltigkeitstandards und auch was die eingesetzten Technologien angeht sind, als in anderen Ländern, wo einfach über Jahrzehnte hinweg Modeproduktion hin verlagert wurde.
Und hier tut sich noch nicht so viel, wie sich tun könnte, würde ich jetzt argumentieren nach meinem Verständnis, weil die Macht liegt bei den großen Retailern, die haben erstens den MultiMilliarden Markt, von dem du gesprochen hast, die haben den Zugang zu Kundinnen und Kunden. Also wenn plötzlich eine neue Marke im Mode Sektor erscheint, wird nicht jeder sofort denken, ach ja, da kaufe ich jetzt ein, sondern viele Menschen gehen zu Zara, zu H&M oder zu welchen Unternehmen auch immer, zu Retailern, die sie halt kennen.
Wir kaufen dort, wo wir gewohnt sind, zu kaufen. Das ist die Konfektionsware, die wir oft zu günstigen Preisen kaufen können. Und wenn die anfangen sich umzustellen - da würde ich in der Tat sagen, das tun die wahrscheinlich nur, wenn sie es wirklich müssen. Da sind wir beim Stichwort Regulierung. Dann verändert sich möglicherweise die Machtkonstellation.
Und die Unternehmen, die hier in Deutschland produzieren, die eben nicht so große Mengen in diesem Bereich herstellen, die werden plötzlich interessant, bekommen plötzlich eine Macht in die Hand, weil sie eben über das Know how verfügen, wie man nachhaltigere Mode produzieren kann. Und dann verschiebt sich so die Macht ein Stück weit. Ich will es jetzt nicht überzeichnen, aber tatsächlich ein Stück weit von Multi-Milliarden-Konzern international hin zu Unternehmen, die vielleicht ein paar 100 oder ein paar 1000 Beschäftigte in Deutschland haben.
Also das hat für mein Verständnis ganz viel mit Machtstrukturen zu tun und ich würde vermuten, das ist im großen Ganzen ganz ähnlich wie in diesem ganz konkreten Einzelfall, dass sich deshalb vielleicht manchmal noch nicht so viel tut, wie das aus Sicht mancher sinnvoll und notwendig ist.
Sebastian Jarzebski: Weil, ich glaube, was bei dieser ganzen Zukunftsthematik natürlich eine riesen Rolle spielt, ist so diese Frage, was können denn Einzelne oder der oder die Einzelne tun, um sich auf so eine ungewisse Zukunft vorzubereiten? Also gibt es eigentlich irgendwas, was ihr in euren Methodiken habt, was man auch so im Alltag manchmal anwenden kann? Also auch wenn es nur eine Denkweise ist oder so, ja oder eine Haltung, mit der man an Zukünfte herangeht. Also gibt es irgendwas, was uns ganz alltäglich hilft, mit Ungewissheit umzugehen?
Robert Peters: Also ich will jetzt nicht das sagen, was du eben schon als Buzzword geframed hast. Ambiguitätstoleranz. Das wären wahrscheinlich auch eine gute Antwort. Ich will es trotzdem mal anders versuchen. Den Blick auf das Individuum. Das halte ich in der Tendenz für riskant. Ich mache es gerne wieder an dem Beispiel fest. Ich kaufe Mode in bestimmten Geschäften ein und du auch.
Und ich weiß nicht, wie nachhaltig deine Mode ist, die du kaufst, aber meine ist nicht recyclingfähig. Das liegt daran, weil das einfach für kaum einen, ich kenne einfach gar keine Mode, die recyclingfähig ist. Wirklich vollständig und eins zu eins, weil du kriegst entweder die Materialien oder was auch immer, das Gefüge des textilen Produkts nicht auseinander. Oder da sind Chemikalien drin, du kannst jetzt zumindest kein Upcycling machen, vielleicht werden da Putzlappen draus im besten Fall - whatever.
Das ist das, was wir persönlich tun. Wir gehen einkaufen und treffen Konsumentscheidungen. Und dieser Blick auf den Einzelnen und die Einzelne, was kann ich für die Transformation tun? Jetzt in dem Fall zu einer nachhaltigen Gesellschaft. Das hat nach meinem Verständnis viel mit Verantwortungsdelegation zu tun. Also wir sagen den einzelnen Leuten, ja, ihr könnt euch doch nachhaltiger verhalten.
So ist der CO2 Fußabdruck von BP erfunden worden, weil man eben gedacht hat: Man kann den Leuten doch hier ein Tool an die Hand geben, dass die mal sehen, was ist denn runtergerechnet aufs Individuum, mein Beitrag zum CO2 Ausstoß in der Welt. Das klingt erst mal total super. Wenn man aber weiß, dass wir in einem Industrieland leben, kaum Möglichkeiten haben, diesen Fußabdruck ganz massiv zu reduzieren, es sei denn, wir üben wirklich in jeder Hinsicht Konsumverzicht, sondern der ganz große Hebel tatsächlich systemisch ist.
Welches Angebot wird uns von Unternehmen gemacht, zwischen dem wir dann als Konsument*innen entsprechend auswählen können. Zwischen nachhaltigeren oder weniger nachhaltigen Produkten? Dieses Angebot liegt auf ganz vielen Märkten gar nicht auf dem Tisch. Also habe ich da ganz wenig Möglichkeiten als Individuum. Das vielleicht vorweg, wenn du nach der individuellen Perspektive fragst. Deswegen bin ich kein so großer Freund, ist meine persönliche Perspektive darauf, das Individuum so stark in den Mittelpunkt zu stellen.
Tatsächlich hat natürlich die Frage, wie denke ich über Zukunft nach und wie nähere ich mich Zukunftsgestaltungsaufgaben, natürlich schon etwas sehr Individuelles. Was ich sagen würde, was glaube ich ein wichtiger Schritt ist, dass wir uns bewusst werden, dass wir die Zukunft nicht vorhersagen können, dass wir das auch gar nicht erst versuchen.
Ich weiß nicht, wem das individuell hilft. Ich halte es allerdings tatsächlich für einen sehr wichtigen Schritt zu sagen: Okay, also ich versuche wirklich mit dieser Ungewissheit, die erst mal zu akzeptieren, ob mir das jetzt mehr oder weniger gefällt. Und wenn ich Zukunftsannahmen treffe, dann versuche ich zu hinterfragen, worauf basiert denn diese Annahme?
Also habe ich da eine spezifische Erfahrung? Habe ich da ein spezifisches Erlebnis oder beispielsweise in meiner wissenschaftlichen Ausbildung mal irgendwo was gehört über eine bestimmte Gesetzmäßigkeit, die ich jetzt hier verallgemeinere? Der Ökonomie ist das ja ein bekanntes Phänomen. Man versucht ja viele ökonomische Gesetzmäßigkeiten zu übertragen auf andere Gesellschaftsbereiche. Also ist das irgendwie der Grund, wie komme ich dazu?
Und das kann ich individuell machen, aber da will ich auch direkt wieder Erwartungsmanagement betreiben. Ich bin da nicht so rasend optimistisch, dass wir das als Individuen so gut können. Und da sind wir wieder beim Thema Foresight. Wir versuchen eben, verschiedene ExpertÜinnen miteinander in einen konkurrierenden und konstruktiven Diskurs zu bringen, damit wir uns gegenseitig challengen können. Warum gehst du denn davon aus, dass das und das so sich entwickeln könnte?
Das und das spricht doch eigentlich dagegen und könnte es nicht eigentlich anders werden? Und diesen Abwägungsprozess, da kann man selbst viel für tun, nämlich indem man sich selbst hinterfragt und auch versucht klar zu haben, wie komme ich zu bestimmten Annahmen? Aber am Ende, das ist jedenfalls meine Perspektive darauf, kriegen wir das nur in einem partizipativen Prozess hin.
Sebastian Jarzebski: Also dieses ganze Thema Zukunft und Politikgestaltung, was wir jetzt mal so aufgerissen haben, in ganz vielen verschiedenen Aspekten, bringt natürlich auch nochmal die Rolle von Politikberatung im Verhältnis zur Politik aufs Tableau. Weil das, was ihr macht und auch das, was wir machen, wir als Kommunikatoren, ihr als jetzt, in dem Fall, Foresight-Menschen, als strategische Vorausschau-Menschen, ihr beratet Politik zu politischen Entscheidungen, die Sie zu treffen haben, in den unterschiedlichsten Policy-Feldern.
Du hast jetzt gerade schon Textilindustrie genannt. Ich habe immer wieder versucht, das Klima noch mal reinzubringen. Mobilität hast du genannt. Es gibt ja zahlreiche weitere Themenfelder Bioökonomie, Gentechnik. Im Prinzip gibt es ja in jedem Politikfeld die Möglichkeit, auch über die Vorausschau noch mal den Versuch zu wagen, in die Zukunft zu schauen. Hast du aus deiner Perspektive das Gefühl, dass Politik hier sich mehr in der Notwendigkeit sieht, also diese Beratung gerade in der Vorausschau in Anspruch zu nehmen?
Du hast das ganz zum Einstieg ja noch mal gesagt. Darauf will ich so ein bisschen hinaus, dass das traditionelle Politikverständnis eher reaktiv war und wir jetzt eher in so eine antizipatorische, gestaltende, vorsorgende Politikgestaltung übergehen. Vielleicht kannst du darauf noch so ein bisschen eingehen, also nimmst du da eine Offenheit wahr, nimmst du da ein Bedürfnis wahr?
Oder das Politikverständnis, dass dieser Bereich nämlich der möglichen Zukünfte einer ist, um den sich Politik gar nicht selbst kümmert? Denn früher gab es ja durchaus auch normative Antworten auf mögliche Zukünfte. Sondern jetzt eben über Beratungen versucht dort auch objektivierbarere Modelle zu entwickeln.
Robert Peters: Wenn wir uns den Bereich der strategischen Vorausschau anschauen, ich nehme wahr, dass es ein großes Bedürfnis bei Entscheider:innen gibt, in der Politik eben, sich strukturierter über mögliche zukünftige Entwicklungen Gedanken zu machen. Das siehst du auch schon daran, dass ganz viele Bundesministerien eigene Foresightaktivitäten durchführen. Das machen die nicht nur mit Beratungsunternehmen, sondern das machen die auch teilweise unterstützt, assistiert, teilweise auch ganz eigenständig.
Manche Häuser sind da weiter als andere. Es gibt da eine riesige Offenheit, das in die eigene Arbeit mit einzubeziehen. Das nehme ich so wahr. Und ich würde schon sagen, das liegt ganz stark daran, dass natürlich das Umfeld immer komplexer geworden ist in den letzten Jahren und einfach auch deutlich wird, dass mit diesem Fahren auf Sicht alleine es wahrscheinlich nicht getan ist.
In dem Bereich der Forschungs- und Innovationspolitik sprechen wir heute auch viel über die Missions-Orientierung. Da ist dann schon so ein Stück weit eine partiell normative Dimension mit drin. Würde ich ganz vorsichtig mal so formulieren. Das heißt also, wir sehen in allen möglichen Politikbereichen, dass versucht wird, auch das eigene Handeln etwas an einem ferneren Horizont zu orientieren.
Das sehe ich eine große Offenheit, und ich sehe auch das ganz, ganz viele politische Institutionen hier eigenes Know how aufbauen. Und ich glaube, das ist total wichtig und total gut, dass man eben versucht, neue Themen möglichst frühzeitig zu verstehen, für sich auch, einzuordnen mit Blick auf das eigene Politikfeld und die Politikfelder auch von anderen Institutionen, mit denen man zusammenarbeitet, beispielsweise in der Bundesregierung, um dann auch entsprechend zu schauen: Was bedeutet das denn für unser politisches Handeln?
Ein aktuelles Thema beispielsweise ist das Metaverse. Da sehen wir, dass verschiedene verschiedene politische Akteure in Deutschland versuchen zu verstehen, was könnte denn unter diesem Begriff eigentlich stehen? Ist es nur ein Hype oder ist das tatsächlich irgendwie ein substanzielles Zukunftsthema? Und das finde ich persönlich total ermutigend, wenn wir das beobachten, dass hier wirklich eine ganz bewusste Auseinandersetzung mit solchen neuen Phänomenen, möglichen neuen Phänomenen existiert, der eben dann wirklich auch systematisch versucht, politisches Handeln vorzubereiten.
Sebastian Jarzebski: Ich sehe häufig, wenn ich so auf den Diskurs gucke von von Zukunfts... - ich habe jetzt gelernt, eher von Zukunftsprognosen fast als von Foresight - sehe ich häufig, dass es so Akteure gibt im Markt, will ich jetzt mal sagen. Oder im Diskurs, die nicht hinterm Berg halten mit ihren Ideen von dem, was zukünftig mal passiert.
Also es gibt ja ganz viele, die sagen, gerade jetzt rund um ChatGPT und KI, ja, die, die ganz schnell sind damit, irgendwelche Prognosen zu machen für die Arbeitswelt, für die Kreativindustrie, für X, Y und Z. Mein Gefühl ist immer, wenn ich dich so reden höre, auch über den Reflexionsgrad, mit dem ihr Foresight betreibt.
Solche Stimmen müssen euch doch ein totales Dorn im Auge sein. Ich habe immer so das Gefühl, dass es immer, wenn es um Zukunftsforschung geht, gibt es auch manchmal so ein kleines Makel, was da anhängt. So ein Vorwurf der Scharlatanerie, der da ja so ein bisschen mitschwingt, wo Leute einfach aus der hohlen Hand heraus mal so sagen, was sie so meinen, was so passieren wird.
Und mein Gefühl ist manchmal, wenn ich dich so reden höre, dass das euch doch wahnsinnig machen muss, wenn ihr da so in den Diskurs schaut, oder nicht?
Robert Peters: Ich kann ja nicht für andere sprechen, sondern nur für mich. Ich versuch so was mit Humor zu nehmen. Meine Partnerin hat mir vor, ich glaube einer Woche als Scherz so ein kleines Pendel geschenkt, mit dem ich dann die Zukunft auspendeln kann. Und das war so ein bisschen dem geschuldet, natürlich ist das manchmal frustrierend, wenn man so manche besonders hochtrabend klingende Aussage über die künftige Entwicklung hört.
Aber ich meine, am Ende ist das in jedem Fachgebiet so. Es gibt Leute, die treten mit einer großen Gewissheit, die sie ausstrahlen auf und machen sehr, sehr starke Leistungsversprechen, sage ich jetzt mal, was Sie mit Ihrer Methodik erreichen. Und das muss jeder nach meinem Verständnis für sich selbst wissen.
was unsere Herangehensweise am Institut für Innovation und Technik ist, wir versuchen das wirklich mit einer stark wissenschaftsbasierten Politikberatung zu verbinden. Das heißt also, wir versuchen in unserer Arbeit sehr deutlich zu machen, mit welcher Methodik gehen wir hier heran? Was sind die Möglichkeiten, die wir damit haben, auch Orientierungsrahmen zu schaffen für unsere Kund*innen. Andererseits machen wir aber auch sehr deutlich, was damit eben nicht möglich ist, und das halte ich für total zentral.
Und da will ich jetzt auch mal eine Lanze für die vielen Akteure, die da draußen Foresight betreiben, wirklich noch mal eine Lanze brechen. Ich nehme wirklich wahr, dass das aber auch für die allermeisten Akteure in diesem Feld gilt. Und ja, ich sage mal, am Ende sieht man es vielleicht auch an Produkten. Es gibt so bestimmte Akteure, die, die gerne mit Hochglanzbroschüren und mit sehr kurzen, knackigen Überschriften und dann drei, vier Zeilen Text versuchen zu überzeugen.
Damit kann man glaube ich auch inspirieren und begeistern für Zukunftsdiskurse, also ich glaube, auch so was hat eine Funktion. Und dann gibt es viele andere Akteure, die einen Mittelweg suchen oder eine sehr starke Wissenschaftsbasierung fokussieren. Das hat, glaube ich alles in allem seine Berechtigung. Wenn wir uns gemeinsam klar machen, auch als Konsument*innen von Zukunftsforschung, dass das da eben nicht eine Zukunft vorhergesagt wird, sondern das Ganze eine Funktion hat, explorierender Natur und damit natürlich auch ein Stück weit ein Diskursraum eröffnet werden kann.
Sebastian Jarzebski: Ich habe jetzt zum Schluss noch mal so eine, wie ich gerade merke, doch einen größeren Gedanken, der mir so in den Kopf kommt, weil gerade das, was du jetzt zuletzt noch mal gesagt hast, dass es darum geht, Zukünfte zu explorieren und einen Diskursraum aufzumachen. Du hast eben Jens Beckert noch mal ins Spiel gebracht und auch diesen Begriff des Fiktionalen noch mal mit reingenommen.
Inwieweit siehst du denn bei diesen Plausibilitäten oder bei diesen plausibel entworfenen oder auf Plausibilität gründenden Zukünften das Verhältnis zu so einem Fiktion-Begriff? Also müsst ihr nicht immer mit Fiktionen arbeiten, müsst ihr nicht auch sozusagen Fiktionen entwerfen? Oder müsst ihr Fiktionen, die es über die Zukunft gibt, einberechnen? Also denn mir scheint der der Fiktion-Begriff da schon sehr, sehr zentral, letztlich auch bei dem, was ihr macht.
Robert Peters: Also ich bin kein Experte für fiktionale Erzählungen und ihren Einsatz im Foresight-Kontext. Aber, was ich dir sagen kann ist, dass man das natürlich ganz produktiv nutzen kann. Also ich spreche jetzt mal wirklich von Fiktionalität so wie wir das wahrscheinlich alle in unserem Alltag verstehen. Das Thema, Science Fiction beispielsweise prägt natürlich als Literaturgattung, als Filmgattung, die Wahrnehmung von Menschen über neue Technologien. Also Kontext Künstliche Intelligenz ist dieses Phänomen, würde ich sagen, auserzählt.
Wir haben irgendwie R2D2 als Bild im Kopf bei künstlicher Intelligenz, bei intelligenten Maschinen oder eben irgendeinen Kampfroboter aus dem Terminator oder so was. Das ist, denke ich klar, dass das irgendwie Einfluss hat. Aber auch auf einer konkreteren Ebene, beeinflussen uns fiktionale Bilder aus der Populärkultur, beispielsweise in unserer Wahrnehmung über die Zukunft.
Das kann man produktiv nutzen. Beispielsweise kann man bei einer Szenarioentwicklung ja auch entweder Zielpunkt oder Startpunkt fokussiert vorgehen. Und wenn du zielpunktfokussiert vorgehst ist es natürlich auch ganz spannend, wenn du dir erst mal ausmalst, wie könnte denn die Zukunft aussehen in einem idealen Szenario oder in einem Szenario, das von einer bestimmten Entwicklung geprägt ist?
Das kann man normativer machen oder auch weniger normativ und dann sozusagen über so eine Art Backcasting zu schauen. Wie könnten wir denn diese wünschenswerte Zukunft erreichen oder diese vielleicht weniger wünschenswerte Zukunft auch vermeiden? Das sind alles Möglichkeiten, wo fiktionale Gedankenkonstrukte ein Instrumentarium sein können. Das ist so und spätestens dann, wenn auch in klassischen szenariobasierten Verfahren dann das Szenario konstruiert wird, wie wir sagen, also wenn wir die Einflussfaktoren, die die Zukunft maßgeblich beeinflussen könnten, identifiziert haben, wenn wir identifiziert haben, wie könnten sich diese Einflussfaktoren denn in dem Zeitraum, den wir uns anschauen, verändern?
Wie stehen die zueinander im Verhältnis? Spätestens dann ist natürlich auch ein fiktionales Element dabei, weil man natürlich verschiedene denkbare sinnhafte Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren auch finden muss. Und da ist ein kreatives Element dabei, das natürlich auch einen erzählenden Charakter hat. Also ich würde sagen, das hat sozusagen in der Kernmethodik schon seinen Platz, aber in dieser Form, wie wir Fiktionalität in unserem Alltag verstehen, hat es vor allen Dingen etwas damit zu tun:
Wie schaffe ich Denkräume und Vorprägung, unter deren Eindruck wir alle stehen, wenn wir uns über Zukunft Gedanken machen.
Sebastian Jarzebski: Aber genau das ist es, worauf ich hinaus wollte. Genau dieses Konfigurieren dieser unterschiedlichen Elemente ist genau das, was in meinem Verständnis als jemand, der sich ja mal länger mit Erzählungen auseinandergesetzt hat, genau das ist. Also am Ende steht für mich, wenn ihr ein solches Zukunftsmodell entworfen habt, eine Erzählung. Eine Erzählung über eine mögliche Zukunft, die und du hast es sehr schön gesagt, die immer auch ein fiktionales Moment braucht, weil es halt nun mal nicht faktual ist, sondern genau wie du gesagt hast, weil wir hier mit Plausibilitäten arbeiten, weil wir eben nicht evidenzbasiert sagen können, also wissen, dass dem so ist morgen, sondern dass wir immer diese Unsicherheit mit einrechnen müssen.
Robert Peters: Und das Spannende, würde ich jetzt sagen, ist dann sozusagen, wenn diese Erzählung, wie du es gerade formuliert hast, wenn das, was ich jetzt jedenfalls als Erzählung verstehen, dann eben nicht aus dem Team heraus von Foresightexpert*innen entsteht, sondern genau das eben auf der Seite der beteiligten Expert*innen passiert und die sich sozusagen in so einem Prozess dieses gemeinsame Zukunftsbild, das dort entwickelt wird, zu eigen machen, im wahrsten Sinne des Wortes, an dem Sie ja ganz maßgeblich mitgewirkt haben, an seiner Entstehung. Und das dann auch handlungsleitend wird, das würde ich sagen, ist der Idealfall. Und das sieht man auch immer mal wieder, dass das gut gelingen kann. Das hat aber ganz viel damit zu tun, ob diejenigen, für die und mit denen wir solche Szenarien beispielsweise entwickeln, sich tatsächlich auch als Teil dieses Prozesses verstehen und auch selbst an sich diesen Anspruch haben, diesen gedanklichen Weg mit zu vollziehen.
Das finde ich ich sehr schön beschrieben. Ja, das ist also in einigen Fällen, glaube ich, gelingt das mit Foresightmethodik sehr gut, da dann auch eine handlungsleitende Erzählung zu kreieren.
Sebastian Jarzebski: Robert, ich habe noch eine Frage zum Schluss. Wenn wir so viel über die über die Zukunft gesprochen haben, würde ich dich ganz persönlich fragen: Bist du eigentlich optimistisch? Also schaust du mit einem optimistischen Blick in die Zukunft als jemand, der sich viel mit Zukunft auseinandergesetzt hat? Ich meine, wir alle reden heute - nur noch, jeder Text, den wir so in unserem Alltag oder in unseren Alltagen so lesen, beginnt mit der Schilderung der multiplen Krisen.
Deswegen frage ich dich ganz persönlich: Bist du angesichts der Zukünfte, die es gibt, noch optimistisch?
Robert Peters: Ja.
Sebastian Jarzebski: Sehr gut. Okay, dann können wir alle beruhigt schlafen gehen.
Robert Peters: So weit würde ich nicht gehen. Aber lass mich noch einen Satz sagen. Es hat ja nichts zu heißen, wenn ich optimistisch bin. Ja, ich sage dir gerne, warum ich optimistisch bin. Ich bin von Hause aus promovierter Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, habe im Bereich Wirtschafts- und Technikgeschichte promoviert und wenn ich daraus für mich persönlich etwas habitualisiert und für mich mitgenommen habe, ist es, das diese diese Komplexität in der individuellen Wahrnehmung jederzeit immer da war.
Natürlich ist die Welt heute komplexer als vor 40 Jahren. Das lässt sich ja auch sehr deutlich evidenzbasiert zeigen. Aber diese Wahrnehmung, dass es heute komplexer ist als jemals zuvor, das haben wir halt immer gehabt. Und auch diese Unsicherheit, wie geht es in Zukunft weiter? Haben wir immer gehabt. Und ich sehe es als eine große Chance.
Tatsächlich, wenn wir heute erleben, wie schnell wir in unserer Arbeitsgesellschaft beispielsweise zu flexibleren Arbeitszeitmodellen und zur flexibleren Wahl von Arbeitsorte gekommen sind. Durch die Corona-Pandemie, die natürlich ein schreckliches Ereignis war. Dann zeigt sich da ganz konkret, dass es wirklich mehr als ein blöder Spruch ist, zu sagen: In der Krise steckt eine Chance. Es ist fast immer so, dass Innovationen aus Krisen resultieren.
Das sehen wir in der Innovationsforschung ganz deutlich. Und wenn wir viele Krisen haben, dann ist es eigentlich, zwar auf der individuellen Ebene für uns möglicherweise ein ganz, ganz großes Problem. Als Gesamtgesellschaft, glaube ich, können wir davon aber tatsächlich profitieren, wenn wir eben bereit sind, auch diese Veränderungen, die damit möglich werden, aktiv zu gestalten.
Sebastian Jarzebski: Vielen, vielen Dank dir, Robert. Ich hoffe sehr, dass sich das einlöst und dass wir weiterhin genauso optimistisch in die Zukunft blicken können als Gesellschaft. Ich danke dir sehr für das Gespräch.
Robert Peters: Danke, Sebastian.
OUTRO: Wer die Gesellschaft verändern will, muss sie erreichen. Aber wie geht das eigentlich? Und was muss sich ändern? In diesem Podcast sprechen wir über Ideen und Themen, die uns inspirieren und die etwas bewegen. Jede Staffel neu, mal mit Gästen im Dialog und mal ganz anders. Das ist sprich!, der Podcast von neues handeln.