30 Prozent der Bautzener wählen AfD. Sie vom Dialog auszuschließen ist keine Option für Markus Gießler. Er bringt Bautzen zum Reden.
„Es gibt immer wieder Stimmen hier in Bautzen, die den Ausschluss der AfD fordern. Das halte ich für falsch“, sagt Markus Gießler, Referent des Oberbürgermeisters und Projektleiter des Bautzener Bürgerdialogs. „Jeder kann im Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung seine Meinung äußern, Extremismus schließt sich damit aus.“ Dabei möchte Gießler rechtsextreme Positionen nicht tolerieren. „Es geht mir vielmehr darum, miteinander ins Gespräch zu kommen und Extremismus im Dialog zu bekämpfen.“ Lange dominierten Streit und Anfeindungen das Zusammenleben in Bautzen. Eine geplante Flüchtlingsunterkunft brannte, auf dem Kornmarkt gab es gewalttätige Ausschreitungen zwischen Einheimischen und Geflüchteten. „Wir haben hier einen großen Graben, wenn es darum geht, wie wir miteinander umgehen oder leben wollen, und auch in der Asylfrage“, berichtet Gießler. „Das sind zwar alles Probleme, die die Kommune alleine nicht klären kann. Aber es sind Themen, über die wir reden müssen.“ Die Antwort Bautzens auf das angespannte politische Klima: Gelebte Demokratie in Dialogformaten.
HERAUSFORDERUNG: Mehr miteinander als übereinander reden
Der erste ins Leben gerufene Bürgerdialog „Bautzen – wir müssen reden! – Zurück zur Sachlichkeit!“ war polarisierend. „Ein reinigendes Gewitter“ mit rund 1.000 Besucherinnen und Besuchern. Ausgehend von den Statements zweier Redner – Annalena Schmidt, Aktivistin gegen Rechtsextremismus, und AfD-Spender Jörg Drews – diskutierten die Teilnehmenden Fragen und Anmerkungen in offener Runde. Markus Gießler resümiert: „Jeder konnte seine Meinung und seinen Unmut äußern. Um Lösungen zu finden, blieb jedoch kaum Zeit. Es war uns deshalb wichtig, den zweiten Dialog ‚Bautzen wir müssen reden! – Unsere Identität‘ in geregeltere Bahnen zu lenken. Daher setzten wir auf kleinere Gruppen und lösungsorientiertes Arbeiten.“ Die Bautzener begrenzten die Zahl der Teilnehmenden auf 100 Personen und luden Akteure des öffentlichen Lebens zur Teilnahme ein. Die restlichen Plätze wurden frei vergeben. An sechs zugelosten Tischen diskutierten die Teilnehmenden dann zu vorab festgelegten Fragen und dokumentierten ihre Gedanken und Ideen auf Plakaten.
ERFOLGSFAKTOREN: Keine Debatten "von oben"
Menschen mit unterschiedlichsten Positionen und Erfahrungshorizonten an einen Tisch zu bringen, ist in Bautzen gelebte Praxis – und für Gießler das Erfolgsrezept der Bürgerdialoge. „Es macht einen fruchtbaren Dialog aus, dass Leute miteinander diskutieren, die auf offener Straße niemals ins Gespräch kommen würden.“ Der Organisator weiß aus Erfahrung, dass die Debatte zu polarisierenden Fragen nicht immer einfach ist. Dennoch: Sich in die Augen zu schauen und miteinander zu reden, verändere die Gesprächskultur. „Man merkt, dass sich die Diskussionen von der Straße oder aus sozialen Netzwerken weg in von uns vorgegebene Kanäle verlagern. Es wird weniger übereinander und mehr miteinander geredet.“ Damit das gelingt, empfiehlt Gießler, die Zahl der Teilnehmenden klein zu halten und auf Frontalvorträge oder Podiumsdiskussionen „von oben“ zu verzichten. Nur so hole ein Dialogformat die Bürgerinnen und Bürger ab und aktiviere sie.
„Bürgerdialog ist schwierig, Bürgerdialog ist langwierig. Aber Demokratie bedeutet immer auch, miteinander um die besten Ideen zu ringen.“
Marcus Gießler
POTENZIAL: Auch für andere Kommunen ein sinnvoller Weg
Markus Gießler hat Bautzen zum Reden gebracht. Das Auseinanderdriften der Gesellschaft sowie den Umgang mit (Rechts-)Extremismus sieht er jedoch als gesamtdeutsches Problem. Er ist sich sicher: Bürgerdialoge wie der in Bautzen sind auch für andere Städte, Kommunen und Gemeinden ein notwendiger und sinnvoller Weg, um miteinander ins Gespräch zu kommen. „Nicht jede Kommune hat die gleichen Probleme. Man muss daher klären, was gerade vorherrschend ist“, sagt Gießler und empfiehlt: „Seien Sie mutig und offen, stoßen Sie den Dialog an. Bürgerdialog ist schwierig, Bürgerdialog ist langwierig. Aber Demokratie bedeutet immer auch, miteinander um die besten Ideen zu ringen. Wir müssen lernen, andere Standpunkte und Meinungen zu akzeptieren. Das funktioniert nur, wenn wir miteinander sprechen!“


Gegen Diskriminierung können wir etwas tun. Projektleiter Olaf Bruhn über die Kampagne #DarüberReden.
„Den Job habe ich nicht bekommen, weil ich ein Kopftuch trage.“ „Ich als Mann werde angepöbelt, wenn ich mit meinem Freund Händchen halte.“ „Ich werde gemobbt, weil ich eine Behinderung habe.“ All das sind Diskriminierungen, die viele Jugendliche täglich erfahren. Diskriminierung ist zwar gesetzlich verboten. Aber nur wenige Jugendliche und junge Erwachsene kennen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und damit ihre Möglichkeiten, Diskriminierungen entgegenzutreten. Um das zu ändern, hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gemeinsam mit der Agentur neues handeln die Kampagne #DarüberReden entwickelt. „Wir müssen Benachteiligungen sichtbar machen und zeigen, wie man gegen Diskriminierung vorgehen kann“, sagt Olaf Bruhn. „Nur so können wir aktiv Veränderungen anstoßen.“ Immer noch werden Menschen jeden Alters aufgrund ihrer Herkunft angefeindet, für ihren Glauben kritisiert oder dafür bestraft, wen sie lieben. Darüber zu sprechen ist oft ein Tabu.
HERAUSFORDERUNG: Trotz Hass eine Atmosphäre der Achtung schaffen
Die Kampagne #DarüberReden machte Diskriminierung dort sichtbar, wo sie häufig stattfindet: in den sozialen Medien. Videos, Posts und Sharepics berichteten täglich über Diskriminierung. Begleitende Online-Werbung steigerte die Bekanntheit. „Mit unserer Kampagne wollten wir aber nicht nur informieren, sondern vor allem Mut machen, offen über Diskriminierungserfahrungen zu sprechen“, unterstreicht Bruhn. „Unter dem Hashtag #DarüberReden konnten die jungen Menschen persönliche Erfahrungen teilen.“
Insgesamt gab es mehr als 118.500 Interaktionen, rund 10.000 Kommentare und 1.650 geteilte Erfahrungsberichte. Olaf Bruhn freut sich über die positive Resonanz, weiß aber auch um den damit verbundenen Aufwand: „Natürlich gab es negative Kommentare und Hassbotschaften. Die Moderation unseres 24/7-Redaktionsteams war entscheidend, um eine Atmosphäre der gegenseitigen Achtung und des Empowerments zu schaffen“, berichtet Bruhn, und empfiehlt: „Wer den Diskurs zu einem entsprechend polarisierenden Thema anstoßen möchte, sollte in diesem Punkt gut vorbereitet sein.“
ERFOLGSFAKTOREN: Auf Augenhöhe kommunizieren
Um die Zielgruppe zu erreichen und den Dialog anzuregen, ist neben der Wahl der richtigen Kanäle auch die geeignete Ansprache in Wort und Bild wesentlich. „Uns war es wichtig, eine Sprache zu wählen, die junge Menschen anspricht, ohne sich anzubiedern“, sagt Bruhn. Damit das gelingt, wurde vorab ein Testing in der Zielgruppe durchgeführt und ein externes Redaktionsteam beauftragt, das nah an den Sprech- und Schreibgewohnheiten des Zielpublikums kommunizieren konnte. „Das war gar nicht so leicht, auch weil Sprache und Design der Kampagne nicht unbedingt den Vorstellungen derjenigen entsprachen, die letztlich darüber entscheiden mussten“, berichtet Bruhn rückblickend. „Ich kann jedoch jedem, der auf Augenhöhe mit einer jungen Zielgruppe kommunizieren möchte, empfehlen, über den eigenen Schatten zu springen.“
POTENZIAL: Das gesellschaftliche Klima verbessern
Drei Monate lief die Kampagne. Auch ein Jahr später ist Olaf Bruhn überzeugt: Die Kampagne hat es nicht nur geschafft, zu informieren. Sie hat den Menschen auch Mut gemacht, ihre Erfahrungen mit Diskriminierung zu teilen. „Unser Ziel, zum Reden über diskriminierende Erfahrungen zu ermutigen, erfordert ein anderes gesellschaftliches Klima. Das stellt sich nicht ad hoc ein und auch nicht durch eine einzige Kampagne“, resümiert Bruhn. „#DarüberReden ist aber ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, auf den noch viele weitere folgen sollten.“ Für alle Nachahmer hat er einen Tipp: „Im Nachgang zur Kampagne haben wir Begleitmaterialien für Lehrkräfte entwickelt, mit deren Hilfe das Thema Antidiskriminierung im Unterricht aufgegriffen und behandelt werden kann“, berichtet der Projektleiter. „Auch mit einem kleineren Budget und einer kurzen Kampagnenlaufzeit kann man so eine langfristige Wirkung erzielen.“
Aufmerksamkeit für das Unsichtbare
Diskriminierung findet in Deutschland statt – jeden Tag und beinahe überall! Im Herbst 2018 schufen die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und neues handeln mit #DarüberReden in den sozialen Medien einen Raum, damit junge Menschen dort von ihren Erfahrungen berichten.









