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Mit Papp-Plakaten und WhatsApp: Welche Methoden braucht politisches Campaigning?

von Tilo Kmieckowiak und Kay Hinz

Die These, wir lebten in einer Ökonomie der Aufmerksamkeit, in der diese ein knappes Gut sei, ist mittlerweile beinahe zur Plattitüde verkommen. Doch ist an ihr etwas Wahres dran. Denn die Content-Flut im Netz birgt ein Überangebot an zu konsumierenden Inhalten. Die Folge: Es mangelt nicht an der Ware, sondern an Aufmerksamkeit.

Ist das Netz auch so wirkungsmächtig wie Bilder von Massen, die auf der Straße demonstrieren? Wie können sich Akteure heute mit ihren Botschaften Gehör verschaffen? Und ist es durch das Internet schwieriger geworden, Menschen auf die Straße zu bringen? Darüber sprechen wir mit zwei erfahrenen Campaignern: Annette Hartmetz, Kampagnen-Managerin beim DGB, und Gerhard Wallmeyer, viele Jahre Kampagnen-Spezialist bei Greenpeace, heute freier Berater – und schauen zurück auf die letzten Jahrzehnte des politischen Campaignings.

Nicht an der Ware mangelt es, sondern an Aufmerksamkeit

Plakat. Ein kleiner Junge reckt die Faust in die Luft. Darunter steht: 1. Mai. Deutscher Gewerksschaftsbund. Über dem Jungen steht in Schreibschrift: Samstags gehört Vati mir.
Blieb im kollektiven Gedächtnis: Die Kampagne „Samstags gehört Vati mir“ des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) aus den 1950ern. © DGB

Die Flut an Informationen erzeugt Konkurrenzdruck für Unternehmen, aber auch für politische und gesellschaftliche Akteure. Anfang der 1950er sah das noch anders aus. Damals veröffentlichte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) seine Kampagne „Samstags gehört Vati mir“ – und forderte damit die Begrenzung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden an fünf Tagen. Bis heute hält sich der Slogan im kollektiven Gedächtnis.

„Diese Kampagne war natürlich total griffig und leicht verständlich”, sagt Annette Hartmetz, Kampagnen-Managerin beim DGB. "Slogans funktionieren heute im Grunde noch genauso: klar, zugespitzt, emotional. Aber im Rauschen der Informationen setzen sie sich nicht mehr so gut fest, wie früher – wenn man nicht über einen riesigen Werbeetat verfügt."

Gerhard Wallmeyer war seit den Anfängen von Greenpeace in Deutschland Teil der NGO. Für ihn gilt heute noch wie damals: „Themen bringen Menschen auf die Straße, wenn sie die Leute stark berühren.” So demonstrierten im Oktober 1983 bundesweit etwa 1,3 Millionen Bürgerinnen und Bürger gegen die Stationierung neuer Atomraketen in Mitteleuropa. Allein in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn gingen eine halbe Million Menschen auf die Straße – ein Thema, das mobilisierte.

Dass aktuell bei den Fridays for Future wieder so viele Menschen regelmäßig demonstrieren, freut den Campaigner. Das Mobilisierungspotential ist seiner Ansicht nach aber geringer als noch vor 30 Jahren. „Heute werden Kommunikationsinstrumente wie Messenger oder die sozialen Netzwerke erfolgreich genutzt, um die Bewegung und ihre Aktionen zu koordinieren“, sagt der ehemalige Kampagnenprofi von Greenpeace. Als es diese Kanäle noch nicht gab, mussten Menschen sich persönlich treffen und Gruppen formen. Das hat seiner Meinung nach zu einer noch stärkeren Schlagkraft geführt.

Der steigende Grad der Individualisierung in unserer Gesellschaft mache es außerdem schwieriger, für eine gemeinsame Sache zu kämpfen. Als die DDR sich auflöste, war Wallmeyer „dauernd in Ostdeutschland bei irgendwelchen Versammlungen“ der grünen Bewegung, wie er selbst sagt. „Innerhalb kürzester Zeit gelang es dort, eine Aktion in der ganzen ehemaligen DDR zu organisieren, obwohl man vor Ort nur wenige Telefone hatte und kaum Flugblätter drucken konnte“, erzählt der ehemalige Kampagnenmanager von Greenpeace.

Schon damals wäre so etwas in Westdeutschland wegen der zersplitterten Gesellschaft nicht möglich gewesen. Heute beobachtet Wallmeyer eine starke „Ich-Orientierung“. Diese Entwicklung erschwere das Campaigning. 

„Es gibt Widerspruch und es ist auch in Ordnung, anderer Ansicht zu sein."

Annette Hartmetz

„In den 80ern landeten wir fast wöchentlich in der Tagesschau“

Nicht nur starke Themen bewegen Menschen zum Handeln. Auch große symbolische Aktionen und Bilder. Greenpeace ist dafür ein Paradebeispiel. Als 1995 die ausgediente Ölplattform Brent Spar in der Nordsee versenkt werden sollte, besetzte Greenpeace diese kurzerhand. Nur eine Aktion von vielen, doch sie ist besonders eindrucksvoll. „Wir wollten bewegende Bilder erschaffen, die in die damalige Medienlogik passten“, sagt Wallmeyer. 

Damals plante Greenpeace mit eigenen Medien-Kanälen, sollten die Massenmedien die Aktion nicht aufgreifen. Das Team hatte einen Mittelwellensender an Bord, um ihre Botschaft von der Ölplattform aus zu verbreiten. Heute liegt der Fokus auf den Social Media-Kanälen, um Menschen zum Handeln zu bewegen. „In den 80ern landeten wir fast wöchentlich in der Tagesschau“, erinnert sich der ehemalige Kampagnen-Manager.

Mit dem Aufkommen digitaler Kommunikation scheint sich der Fokus zu verlagern. Von den großen, symbolträchtigen Aktionen zu kleineren Aktionen in sozialen Netzwerken. Was sich kaum verändert hat: Der raue Ton der politischen Auseinandersetzung. Greenpeace-Aktivistinnen und Aktivisten wurden schon in den 80er-Jahren als „Öko-Terroristen“ beschimpft.

Annette Hartmetz, Kampagnen-Managerin beim DGB, sieht das aber eher gelassen. „Es gibt Widerspruch und es ist auch in Ordnung, anderer Ansicht zu sein und Themen kontrovers zu diskutieren“, sagt sie. Kritische Anmerkungen zu Kampagnen würden manchmal sogar helfen, das eigene Handeln besser zu erklären. „Viele Leute wissen wirklich nicht, was Gewerkschaften alles tun und gerade die Netz-Öffentlichkeit zwingt uns immer wieder dazu, das möglichst verständlich zu formulieren – zum Beispiel, wenn es um Tarifverhandlungen geht.“ 

„Auf der Straße Bilder erschaffen, die eine Debatte im Netz befeuern”

Wie kann das Netz das Artikulieren von politischen Anliegen unterstützen? Für Annette Hartmetz steht mit Blick auf die heutigen Möglichkeiten fest: „Kommunikation darf nicht nur für einzelne Kanäle gedacht werden.“ Online- und Offlinekommunikation müssen verzahnt werden, um wirklich erfolgreich zu sein. „Im Netz kann für Themen sensibilisiert werden, für die man auf die Straße geht. Auf der Straße wiederum werden Bilder erschaffen, die eine Debatte im Netz befeuern.“ 

So stieß der DGB laut Annette Hartmetz mit einer Aktion an deutschen Bahnhöfen zum Thema Rente eine lebendige Online-Diskussion an. Eine Aktion zum Equal Pay Day am Brandenburger Tor wurde live gestreamt und löste wiederum eine starke Resonanz im Netz aus. 

„Themen bringen Menschen auf die Straße, wenn sie die Leute stark berühren."

Gerhard Wallmeyer

Menschen begeistern – mit Kreativität und Mut

Haben sich die Umstände für das Campaigning fundamental verändert? In der Gesamtschau zeigt sich: Es gibt im Grunde keine Grenze zwischen der „echten Welt“ und der „Onlinewelt“. Beide beeinflussen sich gegenseitig. Mit der steigenden Verbreitung des Internets und der Digitalisierung haben sich viele neue Kommunikationsinstrumente entwickelt. Sind diese jedoch per se effektiver als Plakatkampagnen oder Straßenaktionen? Das bleibt zu bezweifeln. Sollten wir die althergebrachten Mittel ignorieren? Sicher nicht!

Im Netz ist das Grundrauschen gigantisch. An spektakuläre Bilder haben wir uns nicht zuletzt wegen den vielen Blockbuster und teuren Kampagnen mit raffinierten Storytelling-Ansätzen gewöhnt. Zu Menschen durchzudringen ist in einer Welt immer knapperer Aufmerksamkeitsspannen schwieriger geworden, aber dennoch keine unüberwindbare Herausforderung. So hat die Berichterstattung in der Tagesschau kaum an Reiz verloren. Millionen Menschen schauen täglich die Nachrichten.
Analoge Elemente wie Plakate können Ankerpunkte für Kampagnen im Straßenbild sein, während auf Twitter weiter diskutiert wird. Menschen freuen sich außerdem über digitale Mitmachelemente wie Augmented Reality, die in der physischen Welt verankert sind. Um Menschen effektiv zu erreichen gilt es heute, digitale mit analogen Instrumenten geschickt zu verzahnen. Mit Kreativität und Mut zu neuem Handeln können wir weiterhin Menschen begeistern.

Die Aktionen von „Fridays For Future“, die im digitalen Raum koordiniert werden, treiben regelmäßig Menschen auf die Straße. Durch Schulstreiks und das brennende Thema Klimakrise landet die Initiative immer wieder in den Massenmedien. Mit der Schwedin Greta Thunberg als Galionsfigur entsteht hier etwas Bemerkenswertes: Eine junge, internationale Bewegung. Mit Papp-Plakaten und Transparenten in der Hand, koordiniert über WhatsApp. 

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