Dr. Sibylle Anderl bringt als Astrophysikerin und Philosophin zwei Disziplinen zusammen, die erst einmal grundverschieden wirken. Warum man für die Naturwissenschaft eine philosophische Grundbildung braucht, darüber spricht die Wissenschaftsjournalistin in dieser Folge mit Sebastian Jarzebski.
Transkript
INTRO: Wer die Gesellschaft verändern will, muss sie erreichen. Aber wie geht das eigentlich? Und was muss sich ändern? In diesem Podcast sprechen wir über Ideen und Themen, die uns inspirieren und die etwas bewegen. Jede Staffel neu, mal mit Gästen im Dialog und mal ganz anders. Das ist, "sprich!" der Podcast von neues handeln.
Sebastian Jarzebski: Hallo und herzlich willkommen zur ersten Staffel von "sprich!". Mein Name ist Sebastian und ich möchte in dieser Staffel der Frage nachgehen: Was wissen wir über unsere Gesellschaft? Und vielleicht noch ein bisschen genauer: Was ist eigentlich Wissen? Und dafür freue ich mich sehr auf das heutige Gespräch. Denn am anderen Ende des Internets sitzt heute Sibylle Anderl. Hallo, Sibylle!
Sibylle Anderl: Hallo Sebastian.
Sebastian Jarzebski: Sibylle Anderl ist Wissenschaftsjournalistin bei der FAZ und hat unter anderem eine ganz tolle, preisgekrönte Dezemberausgabe des FAZ Magazins mitgestaltet und ist für das große Thema Wissen, was wir in dieser Staffel behandeln, vor allem deswegen so interessant, weil sie zwei Welten zusammenbringt. Denn sie ist Astrophysikerin und wenn man so sagen darf Philosophin. Und meine Frage an dich wäre: Wie kommen diese zwei Welten in einer Person überhaupt zusammen? Biografisch - wie passiert so was?
Sibylle Anderl: Ja, das war in der Tat ein Unfall. Aber um die Frage direkt zu beantworten. Ich habe einfach beides studiert. Ich habe Physik auf Diplom studiert und Philosophie auf Magister. Das hatte ich ursprünglich nicht vor. Das ist der Unfall Aspekt. Ich wollte eigentlich nach dem Abitur ein Jahr Philosophie studieren, mit der Vorstellung, lockeres Studium, so ein bisschen allgemeinen Einblick in die großen philosophischen Fragen. Und dann auf der Grundlage mit dem Physikstudium beginnen.
Und das war natürlich eine sehr naive Vorstellung, weil die Philosophie viel zu groß und viel zu komplex ist, um sie in einem Jahr abzuhandeln. Nach einem Jahr habe ich das dann festgestellt und habe gemerkt - Wow, das ist ein wahnsinnig spannendes Fach. Aber ich habe nach einem Jahr vielleicht eine Ahnung von den Fragen, aber noch keine Ahnung von irgendwelchen Antworten.
Und dadurch kam es dann, dass ich mich entschieden habe, beides parallel zu studieren, was natürlich sehr, sehr sinnvoll ist, weil die Physik ja auch an vielen Stellen auf philosophische Fragen stößt. Und insofern bin ich per Unfall eigentlich auf die bestmögliche Studienkombination gestoßen worden, die man sich eigentlich vorstellen kann.
Sebastian Jarzebski: Was sind denn das für - also du sagst, dass das die bestmögliche Kombination ist. Woran machst du das fest? Also hast du ein Beispiel, wo das gut zusammenkommt?
Sibylle Anderl: Gerade in der modernen Physik kommt man ja immer wieder auf Fragen, wo es darum geht, über das Rechnen hinauszugehen. Also man kann die Dinge sehr gut rechnen und man bekommt Ergebnisse. Und dann ist die Frage, was machen wir da eigentlich und was bedeutet das? Das ist, glaube ich, die naheliegendste Frage oder der naheliegendste Punkt, wo man aus den Naturwissenschaften in die Philosophie kommt, wenn man sich diese fundamentalen Fragen stellt: Was ist eigentlich Zeit?
Was ist Raum? Was bedeutet der Kollaps der Wellenfunktion in der Quantentheorie? Was rechne ich da eigentlich? Und das sind tatsächlich philosophische Fragen, die in der Naturwissenschaft gar nicht unbedingt behandelt werden. Also da hat man direkt einen Übergang, den man eigentlich kaum vermeiden kann. Also gerade Quantentheorie und Relativitätstheorie, weil es da ja um die fundamentalen Bestandteile unserer Welt geht, ist man ja sofort in der Metaphysik Und dann natürlich auch noch auf eine anderen Art und Weise, wenn man sich die Frage stellt - als Naturwissenschaftler will man die Welt verstehen, man möchte wissen über die Welt generieren.
Insofern ist man dann ziemlich schnell in der Erkenntnistheorie mit all den damit zusammenhängenden Fragen: Was, wie mache ich das eigentlich? Was ist das für ein Anspruch, als Mensch die Welt verstehen zu können? Welche Annahmen fließen da ein, welche Randbedingungen gibt es? Auf welche Faktoren muss ich da achten? Und auch da kommt man natürlich sofort wieder an die Wissenschaftsphilosophie. Und deshalb ist meine feste Überzeugung: Wenn man in einer aufgeklärten Art und Weise Naturwissenschaft betreiben möchte, dann kommt man um eine philosophische Grundbildung überhaupt gar nicht drumrum.
Sebastian Jarzebski: Das heißt - aufgeklärte Art und Weise. Meinst du damit, dass man sozusagen auch die Grenzen dieses Wissens oder die Entstehungsbedingungen dieses Wissens reflektiert? Denn es ist ja durchaus so, dass es manchmal, was für mich ganz persönlich immer rund um diesen Begriff des Fakts so in der Welt da draußen so rumgeistert. Die sind einfach da. Die sind dann so wie sie sind.
Ihre Entstehungsbedingungen, ihre Kontexte und so weiter, werden selten dann Gegenstand der Auseinandersetzung.
Sibylle Anderl: Genau, und das ist genau diese unaufgeklärte Art und Weise, mit Naturwissenschaften umzugehen, dass man sagt - wir als Wissenschaftler, wir produzieren die Fakten, die geben wir euch und ihr müsst die akzeptieren. In einer gewissen Näherung kann man diese Geschichte so erzählen, aber natürlich ist es sehr viel komplexer, denn Wissenschaft wird von Menschen gemacht. Wissenschaft hat eine Geschichte und bewegt sich immer in sozialen Bezügen.
Das bedeutet nicht, dass Wissenschaft beliebig ist. Das bedeutet nicht, dass Wissenschaft unzuverlässig ist oder was Relatives darstellt. Das ist natürlich alles nicht der Fall, was wir schon daran sehen, dass wir jetzt hier über eine sehr komplexe Technologie miteinander reden können, obwohl wir sehr weit voneinander entfernt sind. Also irgendwas scheint da ja dran zu sein an der Wissenschaft, was eine Art von Wahrheitsnähe in dem Sinne zum Ausdruck bringt, dass wir sie technologisch nutzen können.
Aber trotzdem ist es natürlich so, dass wir all diese Faktoren mitdenken müssen, also das Soziale, das Menschengemachte. Und wenn man gute Wissenschaft betreiben möchte und wenn man insofern zuverlässiges, belastbares Wissen generieren möchte, dann muss man sich darüber bewusst sein. Und das ist etwas, was natürlich viele Wissenschaftler schon auch machen, wenn sie kritisch forschen. Ist ja auch klar. Es ist etwas, was auch in das Wissenschaftssystem einfließt, in dem Sinne, dass das Wissenschaftssystem eben versucht, subjektive und sehr stark am Wissenschaftler fest gemachte Faktoren möglichst auszuschließen, eben um diese Belastbarkeit zu gewährleisten.
Aber es sind Dinge, über die man sich Gedanken machen muss und deshalb jetzt zum Ursprungspunkt zurück. Deshalb ist wissenschaftliche Forschung immer etwas, was auch philosophische Reflexion in irgendeiner Form mit beinhalten sollte und das auch oft tut. Die Frage ist halt auch immer, inwiefern sich die Wissenschaftler dann auch dessen bewusst sind, dass die Wissenschaftsphilosophen da schon sehr gute Werkzeuge begrifflicher Art zur Verfügung stellen.
Also, dass sich Philosophen schon auch gute Gedanken machen darüber, was Wissenschaftler machen und das es im Grunde auch für die Wissenschaftler sehr nützlich sein kann. Und diese Nützlichkeit, die habe ich einfach während meines Studiums am eigenen Leib erfahren, weil ich das unglaublich anregend fand. Die Gedanken, die aus den - aus der Philosophie, aber auch aus der Soziologie und natürlich auch aus der Wissenschaftsgeschichte mich dabei beeinflusst haben, wie ich dann auch wiederum als Wissenschaftlerin, als Naturwissenschaftlerin gearbeitet habe.
Sebastian Jarzebski: Du hast gerade einen Begriff genannt, der total interessant ist für das, was wir so machen, wenn wir über Gesellschaft nachdenken oder über die Art und Weise, wie wir politische, soziale Kontexte gestalten können, ja verändern können zum Besseren, zum Progressiven, zum Ja, zum Fortschritt, um einen ganz komischen Begriff reinzubringen. Aber du hast gesagt - du hast vom Menschgemachten gesprochen.
Auch Wissenschaft ist menschgemacht, oder? Und das ist natürlich genau das, was uns als Gesellschaftsinteressierten dann besonders in den Fokus rückt, wenn es um das Menschgemachte geht, wo es immer wieder den Anspruch gibt, hier irgendwie zu versuchen, auch auf Wahrheiten zu stoßen. Also was ist denn hier eigentlich das Wissen, was wir zwischenmenschlich generieren können, was versucht soziale Situationen zu beschreiben, soziale Konstellationen und so zu beschreiben?
Und ich will mal so ein Beispiel reinbringen, wo mich das besonders interessiert hat oder - wo ich auch so ein Clash dieser beiden Wissensvorstellungen also aus so einem klassisch naturwissenschaftlichen und aus vielleicht so einer, die einer Diffusität von Gesellschaft - ja fasziniert hat, das ist, wenn wir über diese ganze Covid-Phase nachdenken. In Naturwissenschaften wird Wissen über Experimente generiert.
So ganz pauschal kann man das ja vielleicht mal so, erst mal so stehen lassen.
Sibylle Anderl: Modelle.
Sebastian Jarzebski: Ja, und Modelle. Genau. Und beides war in der Pandemie natürlich wichtig. Also vor allem die Modelle in dem Fall, weil Experimente haben wir im sozialen Raum natürlich gehabt. Jedes Maskengesetz, jeder Lockdown war insofern ein Experiment. Und wir merken jetzt, wo sozusagen Metastudien erscheinen, welche Maßnahmen in welcher Form gewirkt haben. Wie komplex ist es eigentlich, hier eine Bewertung vorzunehmen?
Weil wir es mit sozialen Situationen zu tun haben, wo Menschen miteinander interagieren. Auf ganz, ganz unterschiedlichen Ebenen miteinander interagieren. Und wir da super schwierig wirklich gesichertes Wissen darüber herstellen können. Jetzt ist die Maske eigentlich das super Ding, was super funktioniert hat. Alle würden in so einem Alltagswissen sagen: Ja, klar schützt eine Maske mich davor. Aber diesen Proof of Concept sozusagen hier herzustellen, das finde ich super spannend, weil dieser soziale Faktor so stark zu sein scheint.
Und so faktenwiedrich, möchte ich fast sagen.
Sibylle Anderl: Immer wenn der Mensch mal drankommt, wird es kompliziert. Ich bin ja Astrophysikerin. Insofern habe ich mit Menschen und anderen Lebewesen vergleichsweise wenig zu tun. Aber tatsächlich, bei den Modellen haben wir es ja gesehen. Das war ja so das Beispiel, was vielleicht besonders eingängig war, wenn man eine Situation modelliert, in der Menschen eine Rolle spielen und man dann dieses Modell als Szenario veröffentlicht.
Also so könnte es werden, wenn die und die Voraussetzungen erfüllt sind, dann reagieren die Menschen natürlich auf dieses Modell und dann ändern sich wiederum die Szenarien und der Verlauf der Dinge in einer Art und Weise, die in dem Modell noch nicht berücksichtigt ist und das wirklich - ja in den Griff zu bekommen, in einer wissenschaftlichen Art und Weise. Das ist sehr, sehr schwierig.
Da muss man viel mit Statistik arbeiten. Was wir gesehen haben, und insofern ist das ein wunderbares Beispiel, was du jetzt gebracht hast, in der Pandemie ist, wie schwierig es ist, aus Daten und aus Modellen Wissen zu generieren. Das ist ja nichts Neues, das ist tatsächlich auch, würde ich sagen, die beiden Hauptsätze, ja, die beiden Bestandteile des Fundaments ganz, ganz vieler Wissenschaftszweige.
Also ob das jetzt die Astrophysik ist oder die Epidemiologie, das sind so die beiden Dinge, mit denen man zu kämpfen hat. Also aus Theorien Modelle zu bauen, die nützlich sind für einen bestimmten Zweck und Daten so auszuwerten, dass man mithilfe von Statistik belastbare Aussagen daraus ableiten kann. Und da glaube ich, hat die Öffentlichkeit einen ganz guten Einblick bekommen, dass es da ganz, ganz viel um Unsicherheiten geht und dass Unsicherheiten aber auch nicht unbedingt schlimm sein müssen, solange man gute Werkzeuge hat, mit diesen Unsicherheiten umzugehen.
Und das ist ja in der Tat etwas, was Wissenschaftler fast hauptsächlich machen, Abschätzung von Unsicherheiten. Sich überlegen, welche Konsequenzen bestimmte Annahmen haben. Das ist zwar absolut unbefriedigend, wenn man eine konkrete Antwort haben will, aber so ist es nun mal in unserer komplexen Welt. Und wie gesagt, wenn Menschen dann nochmal reinkommen, dann werden die Unsicherheiten noch größer und dann wird es noch komplexer.
Insofern ist meine Hoffnung, dass wir da in der Pandemie einiges gelernt haben über die ganz grundlegenden Methoden der Natur und auch Sozialwissenschaften, die dann auch in der nächsten Runde noch für den Klimawandel natürlich eine wichtige Rolle spielen. Weil wir da wieder genau die gleiche Konstellation in der Erzeugung von Wissen vor uns haben.
Sebastian Jarzebski: Was ich total interessant finde bei dem, was du - du hast es in deinem Eingangspart gesagt und du hast es jetzt gerade auch noch mal gesagt - dass es ja das zentrale Moment eigentlich ist, dass man aus Daten oder aus Theorien Modelle bauen muss und kann, um Wissen zu generieren. Zum Einstieg hast du auch noch mal gesagt, dass das Rechnen alles sozusagen die Grundlage ist, aber dass daraus natürlich erst Sinn und Bedeutung gemacht werden müssen.
Und das scheint mir so ein ganz entscheidender, spannender Punkt zu sein, um den es eigentlich geht. Weil wenn ich dich richtig verstehe, dann sagst du, dass auf dieser Ebene "Wir rechnen jetzt nur" oder "wir bauen jetzt nur Theorien", sozusagen vielleicht noch gar keine Wissen, wir noch gar nicht von Wissen sprechen können. Sondern vielleicht erst in dem Moment, wo es diese Transformation durchlaufen hat, hin zu einer Bedeutung, zu einem sinnenhaften Etwas.
Kann man das so sagen?
Sibylle Anderl: Da müsste man natürlich erst mal definieren, was wir unter Wissen verstehen. In der Philosophie ist das ja ganz allgemein immer dieses "justified to believe". Also man glaubt irgendwas, hat dafür gute Gründe und dann muss es auch noch wahr sein. Das ist natürlich etwas, was jetzt als Definition nicht übermäßig praktikabel ist für unsere Zwecke. Aber da würde man natürlich sagen, also die Grundlage von Wissen ist dann erst mal meinetwegen ein Modell oder sind Daten und ob das jetzt wahr ist oder nicht, dann kommt man jetzt schon in die schwierigen Fahrwasser.
Also die Frage ist, glaube ich ja schon letztendlich diejenige und das fand ich auch ganz spannend, als ich Physik studiert habe. Man lernt ja erst mal ganz viel dadurch, dass man Dinge nachrechnet, dass man Übungsaufgaben macht, dass man sich in Vorlesungen setzt. Und dadurch lernt man erst mal diese Grundlage, das grundlegende Wissen. Und auf dieser Grundlage kann man dann weiterarbeiten und dann hat man dann natürlich schon auch immer noch diese Bedeutungsfrage, wenn es dann in schwierige Theorien reingeht.
Aber erst mal das Rechnen funktioniert halt, man kriegt Ergebnisse. Man kann dann, wenn man mit der Mechanik anfängt, ein schaukelndes Kind berechnen oder berechnen, was mit der Kugel passiert, wenn man sie auf der schiefen Ebene fallen lässt. Solche Geschichten, das geht ja alles. Dann ist die Frage, ob das jetzt schon wirklich dann Wissen ist. Also du hast ja eher an gesellschaftlich relevantes Wissen wahrscheinlich gedacht und da braucht man dann in der Tat, glaube ich, ja diesen weiteren Horizont, dass man da dann auch über die Voraussetzungen und philosophisch gesprochen, die Bedingungen der Möglichkeiten des Wissens nachdenken kann.
Also das ist dann schon eine weiterführende Geschichte, aber ich glaube erst mal: Das man so relativ einfach rechnen kann und Ergebnisse bekommt. Das ist ein ganz großer Vorteil der Naturwissenschaften im Vergleich zu den Geisteswissenschaften. Ich hatte das ja schon kurz erwähnt, dass ich die Philosophie so furchtbar unterschätzt habe, weil ich dachte, das ist was, was man sich mal eben so aneignen kann. Während ja alle großen Respekt haben vor Physik, vor Mathematik, vor diesen Wissenschaften, weil alle denken: Wow, das ist so schwierig.
Meine Erfahrung war zumindest im Studium, das Physikstudium ist im Vergleich viel einfacher als das Philosophiestudium. Denn man lernt linear erst mal die Grundlagen. Dann hat man seine Mechanikklausur bestanden. Dann kann man sagen okay, ich kann jetzt ganz gut Mechanik rechnen, dann gehe ich jetzt weiter zur Elektrodynamik. In der Philosophie liest man dann vielleicht Kants "Kritik der reinen Vernunft". Diskutiert ein ganzes Semester darüber, aber man würde ja nie wirklich sagen: Ja, Kant habe ich jetzt vollständig verstanden.
Das ist halt dieser hermeneutische Zirkel, dass man immer wieder mit einem neuen Hintergrundwissen, an die Autoren rangeht, an die Werke rangeht und sie immer wieder neu liest. Mit anderem Hintergrundwissen und immer wieder neue Aspekte entdeckt. Insofern ist das sehr viel frustrierender als in den Naturwissenschaften. Und wenn man dann aber in den Naturwissenschaften das sozusagen mit rein nimmt, dann sieht man, dass es tatsächlich auch noch mal komplexer ist und dass es in den Naturwissenschaften natürlich auch was Ähnliches gibt.
Also wenn man sich dann anguckt, wo die Begriffe herkommen, wie zum Beispiel die Mechanik entstanden ist, wie daraus die Quantentheorie entstanden ist. Also wenn man diese ganzen historischen Bezüge vor Augen führt, dann merkt man, dass auch das etwas Gewachsenes ist, wo man dann auch wieder diesen historischen und gesellschaftlichen Kontext mit drin hat. Und da gibt es ja auch wunderbare Beschreibungen in der Wissenschaftsphilosophie.
Die meisten kennen Thomas Kuhn wahrscheinlich, der das ja nun sehr radikal beschrieben hat mit der "Struktur wissenschaftlicher Revolutionen". Wo es eben genau darum geht, wie sich Wissen verändert. Also man hat irgendwie ein wissenschaftliches Paradigma, das wird immer weiter ausgearbeitet, irgendwann stößt das dann an Grenzen. Dann hat man so eine Krisenphase mit einer verstärkten Unsicherheit, wo man das Gefühl hat, die Werkzeuge funktionieren nicht mehr so richtig, wir müssen nach etwas Neuem suchen und dann kommt irgendwann der Umsturz.
Das ist ja sehr radikal, weil das heißt, es gibt ganz verschiedene Arten und Weisen, die Welt zu beschreiben und die sind alle irgendwie gleichberechtigt. Deshalb auch dieser Revolutionsbegriff. Man muss sozusagen Krieg führen. Es gibt keine Art und Weise, zwei verschiedene Paradigmen unter einen Hut zu bekommen. Eine etwas sanftere Beschreibung des Ganzen, ich weiß nicht, ob du den auch kennst.
Ludwik Fleck, ein polnischer Mediziner und Philosoph, der hat die Gedanken von Kuhn schon in den dreißiger Jahren vorweggenommen. Ist leider historisch dann selber ein bisschen unter die Räder geraten, weil er ein polnischer Jude war und dann zwar seine Sachen veröffentlicht hat, war dann aber auch in KZs und hat insofern da wenig Sichtbarkeit bekommen. Kuhn hat ihn zitiert in seinem Vorwort, aber der hat im Prinzip diese ganzen Mechanismen, wie Wissenschaft jeweils von Denkstilen, von Denkgebäuden beeinflusst wird, schon sehr, sehr früh und sehr treffend beschrieben.
Und wie gesagt, vielleicht in einer etwas differenzierteren Art und Weise auch als Kuhn. Und da findet man auch schöne Beschreibungen über das wissenschaftliche Wissen, was die Naturwissenschaften generieren. Und mit einem langen Bogen wieder zu deiner Frage zurückzukommen: Da würde man nämlich sagen, es gibt verschiedene Arten von Wissen in den Naturwissenschaften. Also es gibt so das Lehrbuch Wissen, das ist das, was ich gerade beschrieben habe. Wie man eingeführt wird in den Denkstil, würde Fleck das nennen, weil man ja einfach eine Grundlage braucht.
Man muss ja wissen, wie man irgendetwas rechnet. Aber auf der Grundlage kann man dann weiter forschen und dann gibt es verschiedene Abstufungen von Wissen. Es gibt das ganz frische neue Wissen, was noch relativ experimentell ist, noch sehr viele persönliche Züge trägt. Das nennt er Zeitschriften-Wissenschaft, das ist so was, was wir wahrscheinlich ja mit unseren Studien beschreiben würden.
Also, Dinge werden ausprobiert, veröffentlicht. Man denkt schon, dass es so weit stimmen kann, aber es kann auch immer noch sein, dass man da einen Fehler gemacht hat. Das hat noch so das Label der Vorläufigkeit. Wenn sich das dann bestätigt und von der Community aufgenommen wird, geprüft und für gut befunden, dann kann das in die Handbuch-Wissenschaft übergehen. Das heißt, dann ist das Wissen, wo alle sagen würden, ja, das kann man benutzen und das ist eingeordnet in einen konsistenten Gesamtzusammenhang.
Und dann gibt es noch das populäre Wissen, das ist dann das, wie die Wissenschaftler an die Öffentlichkeit kommunizieren. Mit ganz vielen Vereinfachungen, was dann das naturwissenschaftliche Wissen ist, was an das gesamte Weltbild sozusagen andockt, was in der Öffentlichkeit existiert. Und ich finde, das ist eine ganz schöne Beschreibung dieser verschiedenen Wissensformen in der Wissenschaft, die ja durch eine verschiedene Art von Vorläufigkeit charakterisiert sind und dann aber auch natürlich unterschiedlich behandelt werden und eine unterschiedliche Rolle spielen in der Forschung und auch in der Kommunikation mit anderen.
Sebastian Jarzebski: Das kannte ich in der Tat nicht. Das klingt so, als müsste ich gleich ganz schnell in die Bibliothek laufen und mir Ludwig Fleck ausleihen.
Sibylle Anderl: "Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache", ist das Buch, was natürlich jetzt auch zu unserem Thema ganz gut passt. Aber auch schön. Also Entstehung und Entwicklung. Die Tatsache ist nicht einfach da, sondern sie entsteht langsam. Die Community wurde angesprochen, die lernt langsam erst eine Tatsache zu sehen und zu akzeptieren. Und dann ist sie dann irgendwann da. Aber es ist nichts, was sozusagen vom Himmel fällt.
Sebastian Jarzebski: Ja, das ist in der Tat sehr schön, weil es natürlich auch splittet. Diesen Begriff des Wissens und dieses populären Wissens. Natürlich auch insofern noch mal spannend, als das Du da ja jetzt ganz persönlich an so einer Schaltstelle sitzt, wahrscheinlich um das, was Fleck dann als populäres Wissen bezeichnet, auch zu in die Gesellschaft diffundieren zu lassen, aus einer Fachcommunity heraus.
Du bist ja letztlich als Wissenschaftsjournalisten irgendwie immer so eine Form von Übersetzerin. Du musst ja, was aus einem Fachkontext heraus entstanden ist und auch mit Fachtermini agiert, mit Fachbezügen funktioniert und auch in einem Fachkontext entstanden ist, überführen in einen Raum, wo Menschen eben vielleicht nicht diese Voraussetzungen mitbringen.
Also wo anderer Rezeptionsboden da ist für dieses Wissen. Hast du da zentrale Herausforderungen, an die du immer wieder stößt? Also gibt es zum Beispiel Begriffe, Theoreme oder Sachen, die man einfach nicht übersetzen kann? Oder wo es total schwerfällt, die zu übersetzen oder abzusoften oder wie auch immer man es jetzt beschreiben möchte.
Oder sagst du: Nee, das ist eigentlich alles sehr ähnlich, es ist es nur anstrengend.
Sibylle Anderl: Aber anstrengend ist eigentlich nicht. Ich finde das eine schöne Herausforderung, die mich interessanterweise auch sehr an meine eigene Forschung erinnert. Das ist jetzt vielleicht so eine kleine Randbemerkung, aber als Astrophysikerin habe ich auch Modelle entwickelt und da ging es auch immer darum, die Komplexität der Welt in ein einfaches Modell zu überführen, und zwar in einer Art und Weise, dass das Modell trotzdem funktioniert und zutreffende Aussagen über das Komplexe in der Welt liefern kann.
Und letztendlich ist das, was ich jetzt im Wissenschaftsjournalismus mache, sehr ähnlich. Ich habe irgendeine komplexe Gegebenheit in der Wissenschaft und muss gucken, dass ich ein einfaches Modell finde. Ein Beispiel, eine Veranschaulichung, wie ich das Ganze kommunizieren kann. Und das sollte aber trotzdem natürlich noch stimmen und nicht grob verfälschen. Also insofern sind das glaube ich ähnliche, das ist eine ähnlich Expertise, die man da braucht.
Und es ist jedes Mal wieder eine schöne Herausforderung zu gucken, funktioniert es oder funktioniert es nicht? Was es so schwierig macht, ist es, dass es natürlich hochgradig Zielgruppen abhängig ist. Wenn ich für die FAZ im Print einen Artikel schreibe, dann weiß ich, da habe ich viele Professoren und Akademiker unter den Lesern, die werden gerne gefordert. Also da kann ich dann auch gerne mal ein bisschen mehr ins Detail gehen.
Online habe ich da dann schon eine weniger klare Vorstellung, wer diese Artikel liest. Und muss da dann vielleicht ja die Artikel ein bisschen anders aufziehen, dass da auch für alle irgendwas dabei ist. Das macht es natürlich schwierig. Wenn man dann Fernsehen macht, ist das nochmal eine andere Geschichte. Da muss es dann ja noch schneller, bildstärker und einfacher sein.
Das ist auf jeden Fall eine Herausforderung. Und dann ist natürlich die Physik ein Thema, das vor allem deshalb herausfordernd ist, weil es an vielen Stellen unsere Anschauung, unsere menschliche Anschauung, die sich so an Alltagsgegebenheiten ausgeformt hat, extrem überfordert. Und da gibt es Themen, da gibt es einfach keine richtig guten Bilder. Also wenn man sich jetzt zum Beispiel die Quantentheorie anguckt, ein Welle Teilchen-Dualismus oder der Nobelpreis, den wir gerade hatten, wo es um die Verschränkung geht. Da kann man dann versuchen, das irgendwie mit Tennisbällen oder irgendwelchen anderen Dingen zu erklären.
Ich glaube Socken, verschiedenfarbige Socken. Das war das Beispiel das bei der Nobelpreisvergabe gewählt wurde. Ich kann versuchen es damit zu erklären, aber das bleibt halt immer unbefriedigend. Und das ist so eine Erfahrung, die man wahrscheinlich wirklich nur hat, wenn man es dann mal selber studiert und gerechnet hat. Dass man dann, wenn man es rechnet, wenn man es mathematisch einmal durchdrungen hat, verstehen kann, eine Art von Anschauung hat, die man aber nicht sprachlich umsetzen kann.
Und das ist natürlich ein interessanter Befund, erst mal, was das genau heißt. Aber egal, ob es jetzt Relativitätstheorie ist oder Quantentheorie, wenn man es rechnet, dann hat man ein anderes Verständnis als das, was man jemals populär transferieren kann.
Sebastian Jarzebski: Das ist auf der einen Seite total gut zu hören, auf der anderen Seite natürlich auch niederschmetternd, weil das bedeutet, dass ich es irgendwie nie durchdringen werde, weil ich an einem bestimmten Punkt beim Rechnen ausgestiegen bin, ohne in dieses komische, ich bin der Geisteswissenschaftler, ich kann nicht rechnen zu verfallen. Dennoch ist es natürlich einfach auch ein, um jetzt wieder dabei bei Fleck zu sein, ein Grundlagenwissen, was man braucht, um dahin zu kommen.
Und ein Punkt, an dem man einfach aussteigt und diese Punkte, an denen die Leute da aussteigen, sind ja auch, glaube ich, kulturell sehr klar definiert. Also da gibt es irgendwie sehr früh schon, immer noch in meiner Wahrnehmung, jetzt als als Vater, irgendwie ein Gender Gap, der ist so ein erster Kipppunkt, wo dann die einen können rechnen, die anderen können Sprache.
Dann gibt es irgendwann eine weiterführende Schule an, an der es dann irgendwie cooler ist, das eine zu können oder das andere. Also es gibt ja solche kulturell geprägten Dinge, an denen dann ja diese beiden parallel existierenden Sprachen oder parallel existierenden Versuche Welt zu begreifen, nämlich auf der einen Seite diese Welt der Worte und auf der anderen Seite die Welt der er Nummern, der Zahlen, in dem die so getrennt werden.
Sibylle Anderl: Das ist schon frustrierend, C. P. Snow, 59 ist ja schon eine Weile her mit seinen zwei Kulturen. Wenn man den Aufsatz heute noch liest, würde man sagen, ja, so völlig stark geändert hat sich das nicht. Also in der Tat, es gibt diese zwei Communities und die sind auch in ihrem Denken völlig anders. Also hat er da zum Beispiel beschrieben, die Frage, in welche Richtung man eher schaut. Also die Naturwissenschaftler, die so optimistisch in die Zukunft schauen und sich denken, ach, wir kriegen das schon hin. Tolle neue Technologien und die Probleme werden wir schon in den Griff bekommen.
Und die Geisteswissenschaftler, die wissen, wie schwer sich die Individuen tun und wie schwierig der Mensch ist und früher war alles besser und eigentlich wollen wir gar nicht in die Zukunft schauen. So ein bisschen gibt es das ja tatsächlich immer noch. Also wenn man so mit Feuilletonisten zu tun hat. Ich weiß jetzt nicht, was Lars Weisbrod erzählt hat, der ist ja nun auch eher einer, der in die Zukunft schaut, der ja eher dafür steht, diese beiden Gruppen zusammenzuführen.
Aber so ein bisschen gibt es tatsächlich immer noch. Und das ist natürlich sehr schade, weil die großen Herausforderungen, die vor uns stehen, beide Sichtweisen brauchen. Also wir können natürlich die großen Herausforderungen überhaupt nicht angehen, ohne dass wir uns auf unser Erbe besinnen und wissen, wo wir herkommen und was uns als Menschen ausmacht. Aber gleichzeitig können wir uns auch eine Technikfeindlichkeit einfach nicht leisten.
Vor dem Hintergrund der großen Probleme, die wir lösen müssen.
Sebastian Jarzebski: Ja, also ich finde das genau den Punkt, den du jetzt herausgegriffen hast. Weil es ist, das ist ja auch bei meiner Heimat-Wissenschaft, bei den Politikwissenschaftlern so, da unterscheidet man dann in Quantität und Qualität. Wo es ganze, ja Zerrüttungen quer durch die Fach Gemeinschaft gibt, wo es um natürlich dann um Mittel und um Lehrstühle und so weiter geht. Aber wo es auch einfach einen fehlenden Kontaktpunkt manchmal gibt. Man sagt, die einen machen das, die andere machen das.
Und jetzt ganz persönlich als jemand, der dann versucht hat, Erzählungen zu erforschen, da draußen im Diskurs. Was mir immer gefehlt hat, aber auch durch die Mittel, die gefehlt haben, ist ein Startpunkt, der eigentlich zwingend hätte quantitativ sein müssen. Also in dem man Korpora, Textkorpora definiert. Wenn man da alleine so vor sich hin forscht, am Text oder am Diskurs, dann ist man ja immer zurückgeworfen darauf, irgendwie dann illustrativ zu arbeiten und bestimmte Dinge herauszugreifen, die für etwas stehen könnten.
Aber eigentlich haben wir immer gesagt, wenn man mal das große, den Sonderforschungsbereich hätte, der zu Narrativen arbeitet, dann muss das zwingend sein, dass man neue Welten zusammenbringt. Weil eben diese und da sind wir wieder bei dem Punkt, den du gesagt hast, dass Rechnen so wichtig ist als Ausgangspunkt, um dann Bedeutung noch mal anders verstehen zu können. Also genau dieses, dieses Big Scale, den du halt schaffst, nur indem du auch große Zahlen bewegst. Den schaffst du nicht zwingend nur nur über Wörter.
Sibylle Anderl: Ja, aber andersrum jetzt, um jetzt noch mal die Qualität stark zu machen, ist das natürlich auch eine Gefahr, wenn man zu großen Respekt hat vor den Zahlen und vor den großen Datenmengen, dass man dann gar nicht mehr richtig nachdenkt, was man da eigentlich überhaupt macht. Und insofern braucht man dann auch wirklich immer diesen klaren Blick von außen, dass man noch einen Schritt zurücktritt und sich überlegt, der Algorithmus, den ich da jetzt rein gespeist habe, das ist zwar schön, dass der irgendwas ausspuckt und das es vielleicht auch in mein eigenes Forschungsnarrativ reinpasst - aber ist es dann wirklich genau das, was ich eigentlich auch finden wollte?
Das ist so was, wo ich häufig den Eindruck habe, gerade bei diesen großen Big Data Geschichten, dass da so eine Verliebtheit in Richtung der Zahlen existiert, dass dann manchmal methodisch nicht mehr so richtig gründlich nachgedacht wird. Und auch das zeigt ja wieder, man braucht einfach beide Sichtweisen und man muss immer kritisch hinterfragen, was man da macht, wonach man überhaupt sucht und ob die eigenen Werkzeuge dafür geeignet sind.
Und um an deine vorletzte Frage noch mal eine Ergänzung anzuschließen, das ist, glaube ich, auch etwas, was im Wissenschaftsjournalismus wichtig ist. Es geht nicht nur darum, Dinge einfach zu erklären, was die Wissenschaftler machen. Sondern es geht einfach auch immer ganz stark darum, die Methoden zu verdeutlichen. Also nicht nur was finden Sie raus, sondern wie finden die Wissenschaftler es raus?
Und das ist auch etwas, was wir in der Pandemie gesehen haben. Das ist ganz, ganz wichtig, um Vertrauen aufzubauen. Denn das ist ja dann auch noch ein weiteres Problem in dem Kontext. Wenn man so großen Respekt hat vor dieser fremdartigen Welt der Naturwissenschaften, dann kann das im besten Fall Vertrauen und Respekt bedeuten. Aber es kann natürlich auch die gegenteilige Reaktion eintreten, dass man sagt, die machen da irgendwie ihr Geheimzeugs und mir kommt das alles komisch vor.
Und warum sollten wir denen eigentlich glauben? Das ist doch irgendwie alles nichts. Also man muss schon immer wieder dann auch mitteilen, warum Wissenschaftler so arbeiten wie sie arbeiten. Und dann muss man auch die Offenheit haben, über Unsicherheiten zu reden und über Faktoren zu reden, die das objektive Ideal der Wissenschaften gefährden könnten. Also ganz konkret über Interessenkonflikte, über Probleme im Wissenschaftssystem.
Das gibt es ja alles schon. Und das sind alles Dinge, die dieses, jetzt hast du mir den Narrativfloh ins Ohr gesetzt. Dass das Narrativ von der Wissenschaft als objektive Faktenfabrik potenziell gefährdet. Also insofern muss man da offensiv und offen kommunizieren und sagen: Natürlich, es gibt an vielen Stellen Gefahren, die die Zuverlässigkeit von Wissenschaft bedrohen. Aber es gibt gleichzeitig im Wissenschaftssystem auch viele Methoden und viele Überlegungen, wie man dem entgegenarbeiten kann und wie man sicherstellen kann, dass die Naturwissenschaften trotzdem nach wie vor belastbar sind und dass sie Wissenschaft machen, der man auch vertrauen kann.
Sebastian Jarzebski: Jetzt habe ich das, das knüpft da an, auch wenn ich jetzt ein bisschen ausführen müssen, warum ich glaube, dass es da anknüpft. Weil diese Verlässlichkeit, also Vertrauenswürdigkeit von Wissenschaft hängt, genau wie du sagst, ja an einer konsistenten Methodik. Dass man halt sagt hier, wir behaupten das nicht nur, sondern wir haben das geprüft und zwar mithilfe unserer ganz vielfältigen Methoden.
Jetzt habe ich in dem tollen FAZ Magazin aus dem Dezember gelesen. Da steht vorne zur Einleitung neben deinem Foto, dass du jetzt mit den neuen Bildern des James Webb Teleskops ganz anders auf den Sternembryo L1527 geschaut hast und ihn kaum wiedererkannt hast. Paraphrasiert steht es da so. Was ich mich dabei gefragt habe, als ich das gelesen habe.
Da kann man ja voll ansetzen, weil ist es dann nur bessere Technik? Die schon wieder plötzlich darauf einwirkt, auf dieses Wissen. Und was natürlich dann, um jetzt den Rückbezug dazu zu machen, auch eine Auswirkung hat auf die Frage, ja, ist das denn überhaupt alles wahr? Und stimmt das denn überhaupt, was die da so machen?
Wir haben ja gar nicht die die Mittel und wir haben ja nicht die Technologie, um überhaupt Erkenntnisse zu gewinnen. Und gerade, bei Astrophysik, so wie es sich mir laienhaft darstellt, ist es natürlich so, dass wir hier auf unglaubliche technologische Ressourcen angewiesen sind, die ja auch, wie man weiß, sehr begrenzt sind. Und alle Astrophysiker in der Welt knebeln sich in einer langen Warteschlange, rund um diese Teleskope, um dann mal in ihre Ecke des Weltalls zu schauen und so. Also verstehst du, was ich meine?
Ich sehe da schon auch noch mal diese Technikabhängigkeit von bestimmten Wissensformen, ist natürlich auch auf eine gewisse Art und Weise anfällig für Kritik oder ein Einfallstor für Zweifel, würde ich fast sagen.
Sibylle Anderl: In dem Sinne, dass man der Technologie nicht so richtig vertraut? Oder dass man sagt, wenn wir noch mehr Geld und bessere Technologien hätten, würden wir vielleicht was ganz anderes rausfinden?
Sebastian Jarzebski: Ja, in beide Richtungen, glaube ich. Also das eine sagt, das, was ihr rausfindet, man würde das jetzt mit viel mehr Technik noch ganz anderes vielleicht rausfinden. Und auf der anderen Seite, indem man damit legitimiert zu sagen, okay, wir müssen nur ganz viel mehr Technik haben, um, um dann noch besser hinzuschauen.
Also in eine Richtung. Oder glaubst du, dass eine Astrophysik oder speziell die Astrophysik gar nicht so Technik abhängig ist, wie sie scheint.
Sibylle Anderl: Die Astrophysik ist total technologiegetrieben. Also da gibt es sogar auch, Studie ist vielleicht ein bisschen hochgegriffen. Ein Kollege hatte sich mal die Mühe gemacht zu schauen, wie große Durchbrüche mit der Einführung neuer Beobachtungstechnologien korreliert haben. Und in der Tat ist das über die vergangenen 100 Jahre immer so. Es wurde dann irgendwie ein neues großes Teleskop in einem neuen Wellenlängenbereich eingeführt und sofort hat man dann eine neue Entdeckung gemacht.
Also die Astrophysik, das ist eigentlich das Beispiel neben der Teilchenphysik für eine technologiegetriebene Wissenschaft. Und insofern ist es schon so, dass man jedes Mal auch wieder einen neuen Blick auf den Kosmos bekommt. In der Astrophysik ist es ja auch deshalb so, denn, wenn man bei anderen Wellenlängen Bereichen guckt, sehen die Dinge völlig anders aus. Also wenn wir mit unseren Augen das Universum angucken, dann kennen wir das ja so halbwegs.
Das ist auch das, was Hubble uns an schönen Bildern geschickt hat. Aber wenn wir mit dem Röntgenteleskop draufschauen, dann sehen wir zum Beispiel das heiße Universum. Da sehen wir dann schwarze Löcher, die Gas schlucken, solche Geschichten oder irgendwelche massiven Stosswellen, die würde man auch bei Röntgen-Wellenlängen zum Beispiel sehen. Wenn wir Radiowellenlängen gucken, haben wir das kalte Universum.
Also insofern sieht es dann jeweils anders aus, je nachdem wie wir gucken. Und das war auch da mit, L1527 war es so, dass da einfach die Detailauflösung so hoch war, dass ich da wirklich überrascht war, weil das viel viel höher war als alles, was ich vorher aus meinen Daten raus gefunden habe. Aber deine Frage mit dem Vertrauen und der Technologie ist natürlich eine spannende Geschichte.
Das ist auch was, womit ich mich viel beschäftigt habe, weil das ja auch wiederum eine philosophische Frage ist. Also die Frage, können wir den Wissenschaftlern vertrauen? Gibt es all das, von dem Sie behaupten, dass es das gibt? Und so? Bei den Dingen um uns herum ist es ja relativ unproblematisch, so Vögel und Tiere und Pflanzen. Und so weiter.
Die gibt es halt einfach. Aber in der Wissenschaftsgeschichte ging es ja mit dem Skeptizismus dann erst richtig los, als man sich in den Mikrokosmos begeben hat. Die Frage, gibt es eigentlich wirklich Elektronen? Gibt es wirklich Atome oder ist das nur ein Modell, mit dem wir Vorhersagen machen können? Aber eigentlich gibt es das gar nicht so in dem Sinne, wie wir uns das vorstellen.
Und alles, was technologisch abgeleitet ist, läuft natürlich Gefahr, diesem Skeptizismus anheimzufallen. Also bei allem kann man sich fragen ist das jetzt ein Artefakt, was nur durch unsere Beobachtungsmethode zustande kommt oder sehen wir da wirklich die Welt wie sie wirklich ist? Und bei den experimentellen Wissenschaften, also im Mikrokosmos mit Elektronen usw. ist es dann relativ leicht zu entkräften, weil wir die ja technologisch einfach nutzen können.
Also dadurch, dass Handys und Computer und Telefone und so weiter funktionieren, wissen wir, dass wir da schon irgendwie eine ganz gute Vorstellung haben. Quantentheoretisch und von der Elektrodynamik, was da so abläuft. Ansonsten würde das halt einfach nicht funktionieren. In der Astrophysik ist es schwieriger, denn da haben wir keinen Nutzenaspekt. Wir haben keine Möglichkeit mit Sternen oder schwarzen Löchern zu interagieren.
Und insofern, und das ist tatsächlich ein philosophisches Argument, dass es gibt von Ian Hacking, könnte man sagen, die Astrophysik produziert besonders unsicheres Wissen, weil wir dieses Kriterium der Interaktion des Experiments nicht haben. Aber da würde man jetzt als kurze Antwort sagen, na ja, aber wir haben halt einfach, was ich gerade schon gesagt habe, so viele verschiedene Arten, auf den Kosmos zu gucken, mit verschiedenen Wellenlängen und kosmischen Teilchen und neuerdings auch Gravitationswellen.
Wenn das alles ein konsistentes Bild vermittelt, dann haben wir auf dieser Grundlage schon eine ganz gute Begründung dafür, warum wir dieses Wissen für verlässlich halten. Es ist einfach immer ein wichtiger Punkt bei naturwissenschaftlichem Wissen, dieses Konsistente. Auch das, was ja Fleck beschrieben hat. Wenn Zeitschriftenwissen in ein Handbuch überführt werden soll, dann muss es sich Konsistent in den gesamten Wissenskörper hineinfügen.
Und so ist es auch in der Astrophysik, also das, was konsistent mit allen Beobachtungen zusammenpasst. Da würde man schon sagen, na ja, also dieser Proto-Stern, der da abgebildet war im FAZ Magazin, den wird es dann wohl schon so geben.
Sebastian Jarzebski: Glaubst du denn, dass es konsistente Phänomene gibt oder Prinzipien vielleicht eher, in beiden Sphären? Um jetzt diese Trennung trotzdem noch mal künstlich aufzumachen, zwischen Sprache und Zahl oder zwischen Quali und Quanti, zwischen Rechnen und Sinn - Wir haben ja jetzt verschiedenste Versuche gewagt, das zu bezeichnen.
Glaubst du, dass es Prinzipien gibt, die in beiden Welten existieren? Und damit vielleicht ja auch Wissensformen, die in beiden Welten irgendwie agieren? Manchmal sind das ja Beispiele, die man nimmt, ja, man nimmt sich irgendwie ein Beispiel aus der Physik, um soziale Dynamiken zu beschreiben oder andersherum. Oder man nimmt sich ein Beispiel oder eine Metapher aus einem sozialen Kontext, um damit ein physisches oder physikalisches Phänomen zu beschreiben.
Glaubst du, dass es da so was gibt? Also irgendwas, was so ein Bindeglied ist oder irgendwo, wo es auch Prinzipien gibt, Wissensformen, die beides haben.
Sibylle Anderl: Na ja, ich glaube, im Kern spielt da einfach eine Rolle, dass wir alle Menschen sind, die nicht nur in die eine oder anderen Richtung forschen oder uns beschäftigen. Also nicht nur Geistes- oder Naturwissenschaftler, sondern wir sind halt alle auch Menschen in einem Alltagskontext. Und das ist letztendlich dann ja diese geteilte Alltagswelt, in der wir uns dann austauschen und in der dann auch Bilder von einem Feld ins andere rüberwandern und wieder zurück.
Und das macht es auch so spannend, wenn man sich die Wissenschaftsgeschichte anschaut, weil man da immer mal wieder irgendwelche Bilder sieht, die dann aus anderen Gebieten rüber gewandert sind und wo dann was Neues entstanden ist. Und das ist auch der Punkt, der diese letztendlich auch Kuhn, um jetzt wieder einmal auf Thomas Kuhn zurückzukommen, mit seiner Revolution in dieser Drastik der Brüche ein bisschen entkräftet. Weil letztendlich immer noch etwas Übergeordnetes da ist, was wir alle miteinander teilen.
Und wenn man Wissenschaft verstehen will, ist das schon auch wichtig, dass man das immer mitdenkt, dass Wissenschaftler eben nicht nur Wissenschaftler sind, sondern eingebettet sind. Und das ist ja eben gerade diese Erkenntnis und die Einsicht, die in der Wissenschaftsphilosophie auch so eine wichtige Rolle spielt. Wo dann natürlich die Anschlussfrage ist, was bedeutet das jetzt wiederum für das Wissen in der einen oder anderen Wissenschaft, bei den Natur oder bei den Geisteswissenschaften?
Aber grundsätzlich ist es, glaube ich, immer sehr fruchtbar, wenn solche Begriffswanderungen stattfinden, weil dann vieles auf den Prüfstand gestellt wird. Also genau dein Beispiel, was du jetzt gerade gebracht hast. Und wenn man irgendeinen physikalischen Mechanismus hat und dann schaut, funktioniert das vielleicht auch damit, irgendwelche sozialen Phänomene zu erklären, und dann sieht man, an manchen Stellen funktioniert's, an anderen funktioniert es vielleicht nicht.
Und auch wenn das vielleicht erstmal völlig abwegig klingt, warum sollte eine physikalische Beschreibungsweise irgendwas Soziales beschreiben? Es ist glaube ich trotzdem erst mal ein ja, eine fruchtbare Methode, um Dinge auszuloten und besser zu verstehen.
Sebastian Jarzebski: Ich habe das selber mal versucht. Ich habe so eine. Ich habe eine Zeit gehabt, in der ich mich wirklich total laienhaft interessiert habe für Astrophysik. Und dann liest man halt, Hawking oder so was und und versucht da so ein bisschen einzusteigen und das irgendwie greifbar zu machen, ohne das Rechnen, so an dem Punkt.
Und das hat total geprägt, also ein Bild, was für mich dann einleuchtend war, hat mir geholfen zu verstehen, wie Diskurs funktioniert oder Narrative funktionieren. Ich versuche das kurz auszuführen. Bitte brems mich oder korrigiere mich, wenn das totaler Quatsch ist. Weil es geht um die Unschärferelation, also um die Annahme, dass man Ort und Geschwindigkeit eines Teilchens nicht gleichzeitig bestimmen kann. Also wir können, wenn wir genau hingucken, dann sehen wir den Ort, also wo ist das Teilchen?
Oder wir können messen, wie schnell es sich bewegt. Dann wissen wir aber nicht genau, wo es sich befindet. So, erst mal so ganz banal, glaube ich. Du nickst, dass ist gut, das heißt es ist irgendwie richtig. Und das gleiche ist für mich bei Erzählungen so. Weil Erzählungen oder Narrative sind immer beides.
Zum einen sind sie Diskurs, sie existieren irgendwo im Diskurs und zum anderen werden sie permanent erzählt. Das heißt also, ich erzähle die ganze Zeit, wenn ich ein Narrativ aufgreife und davon spreche, dann erzähle ich es. Und wenn ich jetzt als Sozialwissenschaftler versuche, das zu bestimmen, kann ich auch immer nur eins von beiden bestimmen. Ich kann entweder den Sprechprozess mir angucken, also wie bestimmte Akteure an diesem Narrativ mitschreiben. Oder ich kann mir auf der anderen Seite sozusagen den Ort des Narrativs, also, wenn man so will, dass Diskurselement angucken.
Ich werde nie, diesen undefinierbaren Punkt bestimmen können, an dem beides zusammentrifft. An dem aus dem Prozess des Erzählens plötzlich das Narrativ da ist im Diskurs. Und das war für mich so was, wo, wo es so klick gemacht hat, wo ich dachte, wow, ich habe hier irgendwie was begriffen. Und das meinte ich mit so einem übergreifenden Prinzip.
Vielleicht ist das so was und jetzt wird es ja fast esoterisch, aber vielleicht gibt es auch einfach Punkte, die wir zumindest heute noch nicht bestimmen können, weil sie irgendwie zwischen Bewegung und Stasis sind. Also wir haben nur diese beiden Zustände, die wir beschreiben können und es gibt nichts dazwischen. Und das meinte ich damit, da hat es für mich so klick gemacht. Wow, ich habe hier irgendwie so ein Wissen geschaffen, was mir was erklärt, wie Welt funktioniert.
Sibylle Anderl: Und das ist auch das, was ich da mit dieser Heuristik meinte. Also, wenn wir da jetzt genau ins Detail gehen würden, dann könnten wir dann auch wieder zeigen, an welchen Stellen diese Analogie dann nicht mehr funktioniert. Aber das ist ja an der Stelle einfach völlig egal. Es sind ja so strukturelle Ähnlichkeiten, die man an verschiedenen Stellen finden kann und die dann mit der eigenen Erkenntnis voranbringen.
Und ich würde sagen, dafür ist es dann schon gerechtfertigt. Auch wenn man jetzt sagen würde, naja, Quantenmechanik ist dann auch noch mal was anderes. Aber ich finde, da muss man auch maximal tolerant sein und das ist ja auch so ein Fehler. Was dann? Indem man immer mal wieder findet bei Fachwissenschaftlern, egal von welcher Art, dass die dann so viel Angst haben, dass ihre eigene Expertise in Mitleidenschaft gezogen wird, wenn sie sich mal so ein bisschen aus der eigenen Komfortzone bewegen.
Ich glaube, da müssen wir auch an der Stelle alle viel offener werden und noch besser zuhören. Und gerade was die Naturwissenschaften angeht - natürlich, das ist alles wahnsinnig kompliziert und man kann da ganz viel falsch machen, aber es gibt auch in dem Sinne keine doofen Fragen oder so.
Das ist halt einfach alles, witzigerweise habe ich mich darüber auch neulich gerade mit einem Kollegen unterhalten. Die einfachen Fragen sind meistens die, die dann ja deshalb am schwierigsten zu beantworten sind, weil es die sind, an denen man als Wissenschaftler am wenigsten forscht. Na, das sind so diese Dinge, die man auch implizit dann so mitnimmt. Aber gerade die Deutungsfragen, was bedeutet das denn eigentlich?
Was war vor dem Urknall? Was bedeutet das, dass der Raum sich überall ausdehnt? Das wird in der Wissenschaft wenig diskutiert, weil es einfach vorausgesetzt wird, dass das schon jeder irgendwie versteht. Und insofern würde ich denken, dass man da als Wissenschaftler schon auch sehr viel lernen kann, wenn man sich in die freie Diskussion begibt und das eigene Verständnis und das Verständnis der anderen im Dialog immer wieder neu austestet.
Sebastian Jarzebski: Da haben Sie mir ja genau da, wo du eingestiegen bin. Es geht halt darum, kritisch auch die eigenen Kontexte zu hinterfragen und da auch selbstkritisch zu sein und nicht von sich, von seinem eigenen Wissen verleiten zu lassen und zu behaupten, man sei jetzt irgendwie schon weiter als andere oder so. Es geht ja da um so ganz menschliche Begriffe wie Neugier.
Du hast gerade gesagt, was war vor dem Urknall. Das ist das, was mein jetzt siebeneinhalbjährige Tochter total beschäftigt. Die will unbedingt wissen, was dran ist. Aber was war denn da? Aber das kann doch nicht sein, dass da so - und also zu wünschen wäre ja, dass das genau so eine, so eine Neugier, so eine Offenheit auch für die Lösungsansätze, die Neugier ja mit sich bringt. Dass das halt so was ist, was in der Verhandlung von Wissen viel, viel häufiger der Fall ist.
Aber natürlich haben wir in der Gesellschaft einfach die Situation, dass dann unterschiedliche Schulen unterschiedliche Paradigmen auch vermachtet sind. Also auch das hast du ja eingangs gesagt, das ist ja das, was wir jetzt noch sehr wertfrei als Kontext beschrieben haben. Aber wir haben natürlich auch so eine Vermachtung vom Wissenschaftssystemen, wir haben eine Vermachtung von gesellschaftlichen Interessen. Auch da wieder Beispiel Covid, wo wir ja ganz klar gesehen haben, da wird dann nicht Kekulé und Streeck und Drosten in einen Fachdiskurs geschubst, um darum zu ringen, was ist denn jetzt wirklich zu tun?
Sondern wir haben eine vermachtete Diskussion plötzlich, wo Wissen dann herausgelöst wird und zu einem Artefakt wird im Diskurs und eingesetzt wird für bestimmte Interessen.
Sibylle Anderl: Ja, aber ich glaube jetzt mal unabhängig von der Pandemie, dass da ganz viel auch durch die Science Wars und durch diese ganze Geschichte, diese Auseinandersetzung methodischer Art schon angestoßen wurde. Weil, das hatte ich ja vorher auch schon gesagt, dass es einfach kommunikativ total schwierig in diesen Punkt zwischen einerseits wir produzieren objektive Fakten und auf der anderen Seite Wissenschaft ist vollkommen relativ und ein soziales Konstrukt.
Also da den Punkt in der Mitte gut zu beschreiben, so dass man sich nicht in die eine oder andere Richtung verirrt, sage ich mal so, denn es sind ja offensichtlich beides falsche Vorstellungen von Wissenschaft. Also dass Wissenschaft objektiv immer richtig ist, ist offensichtlich falsch und dass Wissenschaft völlig relativ ist, natürlich auch. Und wenn dann aber so eine kommunikative Unsicherheit da ist und man Angst hat, dass man vielleicht die Öffentlichkeit, wenn man erst mal den Begriff Unsicherheit in den Mund nimmt und sagt, ich weiß es nicht genau, aber ich kann die Fehler abschätzen.
Wenn man da dann erst mal die Angst entwickelt, dass man dann vielleicht gar nicht mehr ernst genommen wird, weil der andere sagt, habt ihr gehört, der hat gerade selber gesagt, die Ergebnisse sind unsicher, dass man dann in das andere Extrem verfällt und versucht, irgendwie mit dieser extremen Sicherheit weiterzukommen. Und das ist natürlich total gefährlich, aber da kommt man dann auch wieder in diese politischen Kontexte.
Denn wenn man sich, in dem wunderbaren Buch "Merchants of doubt" wurde, das ja beschrieben, mit den Kampagnen der Tabakindustrie und als es um das Ozonloch ging. Wo gezielt Zweifel an den Wissenschaften gesät wurde. Und da glaube ich, das ist vielleicht auch noch so ein bisschen was, was viele Wissenschaftler noch so mitbekommen haben, dass das so eine Art Trauma ist, die sie dann oft in eine falsche Richtung oder das ja, dass sie dann in eine falsche Richtung stößt und dann zu diesem anderen extremen Narrativ führt.
Alles ist kommunikativ unglaublich schwierig. Und meine Hoffnung wäre, dass da vielleicht dann doch die innerfachliche Auseinandersetzung mit wissenschaftsphilosophischen Begrifflichkeiten schon dazu führt, dass man sich vielleicht auch besser und klarer ausdrücken kann und dass man sich selber erst mal klarer darüber wird, was die eigenen Grenzen sind, die eigenen Erkenntnissgrenzen, die eigenen methodischen Grenzen. Und dass man dann, wenn man das erst mal selber für sich klar hat, dass man das dann auch besser kommunizieren kann.
Aber ich glaube, wir haben noch einige Arbeit vor uns.
Sebastian Jarzebski: Die Grenzen wären in der Tat noch eine Frage gewesen, die ich mir gestellt habe. Glaubst du, dass es bei diesen beiden Welten wieder, jetzt immer wieder an diesem Narrativpunkt. So oft, wie ich davon rede, wird man nach dem Gespräch denken okay, diese Welten sind so klar voneinander getrennt, aber in der Tat sind sie das nicht, bei mir im Kopf.
Aber durchaus trotzdem die Frage, ob es irgendwo konzeptuelle Grenzen gibt, also Grenzen des Wissenswerten. Also hast du, egal aus welcher Richtung gedacht, jetzt irgendwo so Punkte identifiziert, wo du gesagt hast okay, da hilft uns auch nicht, das noch nicht gebaute Super Teleskop oder da helfen uns auch andere Dinge nicht, die wir philosophischer Art noch dekonstruiert haben wollen. Also hast du irgendwie Grenzen des Wissenswertes schon mal ausgelotet oder für dich irgendwo erkannt?
Sibylle Anderl: So generell jenseits aller fachlicher Grenzen? Wir haben ja wirklich sehr, sehr viele verschiedene Herangehensweisen an die Welt. Bei mir war es tatsächlich, oder was mich am meisten fasziniert hat, war, glaube ich, wirklich dieser große Wissensschatz kultureller Art. Wenn man Physik studiert, dann hat man damit ja wenn, dann nur mit schlechtem Gewissen Kontakt, weil man immer denkt, das ist ja irgendwie Zeitverschwendung, wenn ich die ganzen großen Romane lese oder wenn ich mich mit Geschichte auseinandersetze, jetzt auch hier in der Zeitung.
Wir sind ja Wissenschaftsressort Teil des Feuilletons, und insofern habe ich jetzt so einen engen Kontakt zu diesen ganzen Themen wie nie zuvor. Und ich genieße das wahnsinnig. Da glaube ich, das ist jetzt nicht wirklich jenseits von Erkenntnisgrenzen, aber da merke ich einfach immer wieder, dass das unglaublich wichtig ist und auch wichtiger als viele Leute glauben. So die echten Erkenntnisgrenzen.
Ich meine, bei der Astrophysik hat man da natürlich sofort dann die Frage nach dem Sinn. Was ist unser Platz im Universum? Und dann ist man auch schnell in der Theologie. Das ist so ein großes Thema, mit dem ich, das habe ich jetzt noch so ein bisschen auf mein Rentenalter verschoben, weil ich das wahnsinnig schwierig finde. Ich bin zwar katholisch erzogen worden, aber habe mich da nie so völlig mit anfreunden können.
Gleichzeitig würde ich nie behaupten wollen, dass in Naturwissenschaften erst mal, wo man selbst wenn man den Menschen ausklammert, aber alles genauso beschreiben wie es ist in der Welt. Also da habe ich selber immer einen großen Spaß an der Vorstellung von Erkenntnisgrenzen und ich mag auch die Idee total gerne, sich zu überlegen, wie wir in ein paar 100 Jahren, wenn es da noch Menschen gibt, immer optimistisch gedacht, wie die auf uns und unser Wissen zurückblicken und dann vielleicht mit dem Kopf schütteln und sich denken Mein Gott, waren die damals naiv?
Also das finde ich, ist immer eine charmante Idee und Vorstellung, weil wir doch immer dazu tendieren, uns selbst absolut zu setzen und zu denken, also wir wissen jetzt schon ganz schön gut Bescheid, wie die Welt so insgesamt funktioniert.
Sebastian Jarzebski: Du hattest irgendwann im Gespräch gesagt, dass die Naturwissenschaftler ja eher die Optimisten sind.
Sibylle Anderl: Ich bin vielleicht zu stark von Feuilletonisten umgeben.
Sebastian Jarzebski: Die Aussagen, dass es den Menschen in ein paar 100 Jahren noch gibt. Wir, wir drücken mal die Daumen, würde ich sagen und hoffen da noch auf eine positive Wendung. Aber vielleicht ist das auch ein ein wunderbares Schlusswort für dieses ganz tolle Gespräch, Sibylle. Ich danke dir sehr. Ich habe super viel mitgenommen, nicht nur einen tollen Literaturtipp, nämlich Fleck, sondern ganz viel Anregendes aus diesem Gespräch.
Und ich, ich danke dir sehr.
Sibylle Anderl: Ja, ich danke dir genauso. Vielen Dank.
OUTRO: Wer die Gesellschaft verändern will, muss sie erreichen. Aber wie geht das eigentlich? Und was muss sich ändern? In diesem Podcast sprechen wir über Ideen und Themen, die uns inspirieren und die etwas bewegen. Jede Staffel neu, mal mit Gästen im Dialog und mal ganz anders. Das ist sprich der Podcast von Neues Handeln.