Dr. Silke Borgstedt, Geschäftsführerin des SINUS-Instituts, spricht mit Sebastian Jarzebski über den Umgang mit Daten und die Rolle der Sozialforschung bei der Wissensvermittlung.
Transkript
INTRO: Wer die Gesellschaft verändern will, muss sie erreichen. Aber wie geht das eigentlich? Und was muss sich ändern? In diesem Podcast sprechen wir über Ideen und Themen, die uns inspirieren und die etwas bewegen. Jede Staffel neu, mal mit Gästen im Dialog und mal ganz anders. Das ist sprich!, der Podcast von neues handeln.
Sebastian Jarzebski: Hallo und herzlich willkommen zur ersten Staffel von sprich! Mein Name ist Sebastian Jarzebski und ich möchte in dieser Staffel der Frage nachgehen: Was wissen wir eigentlich über unsere Gesellschaft? Und noch genauer: Was ist eigentlich Wissen? Und dafür freue ich mich sehr auf das heutige Gespräch. Am anderen Ende des Internets sitzt heute Silke Borgstedt. Hallo Silke.
Silke Borgstedt: Hallo Sebastian. Freut mich, dass wir Zeit haben zusammen.
Sebastian Jarzebski: Ja, danke dir. Silke Borgstedt ist Geschäftsführerin des SINUS-Instituts für Sozialforschung. Den meisten wird das SINUS- Institut wahrscheinlich über die sogenannten SINUS-Milieus bekannt sein. Und mit Silke möchte ich heute über die Frage sprechen: Was wissen wir eigentlich über Zielgruppen? Und vielleicht sogar über die Frage: Was ist eigentlich eine Zielgruppe, wenn wir diesen Begriff immer so durch den Diskurs werfen?
Sebastian Jarzebski: Und damit möchte ich auch vielleicht einsteigen, Silke. Was ist eigentlich Sozialforschung, so wie ihr das versteht?
Silke Borgstedt: Ja, was ist Sozialforschung? Ist gleich die größte Frage zu Beginn. Denn das ist tatsächlich ein riesiges Feld und ich glaube auch mehr, als man sich darunter vorstellt, wenn man so an Sozialforschung, Soziologie etc. denkt. Da hat man glaube ich so ein bestimmtes Framing, das sind bestimmte Themen, Sozialstruktur-Analysen, die man betreibt, zum Beispiel. Also auch zu beschreiben, wie wohlhabend oder arm ist eine Gesellschaft, wie sind die Verteilungen von Alter, Geschlecht, Bildung etc..
Und bei uns konzentriert sich alles darauf zu verstehen, wie Menschen denken und handeln. Also für uns sind die Daten, die wir erheben oder auch analysieren, ja letztlich auch so Beobachtungen von Menschen. Aber aus denen können wir eben erst Wissen erzeugen, wenn wir sie uns ganz genau anschauen und eben auch gerade diese Kontexte herstellen. Was haben die einzelnen Datenpunkte eigentlich miteinander zu tun?
Beziehungsweise was steckt hinter einer übergeordneten Meinung? Und ich, ja, ich sage mal breites Feld, weil es wirklich so durch den kompletten Alltag der Menschen geht. Also wir beschäftigen uns mit sehr, sehr vielen Themen einfach. Über Mobilität, Wohnen, Arbeiten, Essen, Trinken, Ausgehen, alles Mögliche. Da ist alles drin, was Menschen so den Tag über machen.
Sebastian Jarzebski: Ich finde das schon eine total gute Einordnung, nämlich zu sagen, eigentlich ist es total viel, was man so über Menschen wissen kann. Also das, was du jetzt alles so aufzählst, da steckt ja schon so ein ganzheitlicher Ansatz dahinter. Also dass man, wenn man irgendwie Zielgruppen verstehen will oder deren Meinung, der Begriff ist gerade bei dir auch gefallen. Wenn man irgendwas kennenlernen möchte über die, da muss man eigentlich mehr wissen, als sie nur zu fragen: Finden Sie das gut, dass..?
Und dann stellt man eine Abfrage und dann gibt man drei Antwortmöglichkeiten vor. Das, was du jetzt gerade beschreibst, Essen, Wohnen, Trinken sind ja Dinge, die gehen so ganz stark in so eine Lebensweltlichkeit herein. In so ein ganz alltägliches Umfeld der Menschen. Braucht man das wirklich, um deren Meinungen zu erfassen?
Silke Borgstedt: Ja, ich denke schon, dass es darum geht, so grundsätzliche Motive und Treiber für Handeln und Denken zu verstehen, weil wir ja auch nur so Angebote gestalten können oder, ja, Hinweise, Tipps für mögliche Veränderungen entwickeln können daraus. Wir müssen eben verstehen, was hinter einem Handeln auch steckt. Wenn wir jetzt beim banalen Beispiel von Essen und Trinken bleiben. Der Grund, warum ich eben ein bestimmtes Ernährungsverhalten habe.
An welchen Momenten hat das mit Gesundheit zu tun? Wo hat das mit Spaß und Genuss zu tun? In welchen Kontexten sind welche Treiber entsprechend relevant? Und ich glaube ja auch, dass das gerade in dieser Zeit noch mal wichtiger wird, wo wir so viele Beobachtungsdaten und so viel über das konkrete Verhalten wissen aus der Gegenwart und auch aus der jüngeren Vergangenheit.
Also Stichwort auch künstliche Intelligenz. Wir können schon ganz viele Kontexte ja eigentlich auch bauen oder Zusammenhänge darstellen. Aber ich habe immer das Gefühl, das ist ja nur das bisher Gemachte und Erlebte. Also das, was künstliche Intelligenz macht, greift auf das zurück, was wir schon gemacht haben. Und es ist schwer, daraus künftiges Verhalten vorherzusagen, zu konstruieren etc. Da kommt dann ja eigentlich nur immer wieder das Gleiche raus und uns geht es halt auch darum, neue Sinnzusammenhänge zu finden.
Da entstehen Insights und Erkenntnisse, wenn wir bestimmte Dinge und Meinungen wieder anders zusammenbringen können, weil wir eben merken, es verändert sich was. Ich glaube, man braucht es, um Veränderungen zu verstehen und mitgestalten zu können.
Sebastian Jarzebski: Das heißt ja eigentlich, also wenn ich jetzt mal vielleicht einen uninformierten Begriff da reinwerfen kann, aber eigentlich sucht ihr dann ja so ein bisschen auch nach, nach so kreativen Momenten, wenn man das will. Also nach dem wo, wenn du sagst wo Neues entsteht, wo, ja wo neue Sinnzusammenhänge passieren, also wo, ja wo mensch halt auch kreativ ist im eigentlichen Sinne. Kann man das, kann man das so sagen?
Also sind das so Momente, wo ihr dann noch mal besondere Erkenntnisse rauszieht oder so Aha!- Momente habt? Momente der Erkenntnis sozusagen, wenn ihr sagt: Ach guck mal, die Menschen, die eine Ausbildung suchen, die sind ja gar nicht immer so und so, sondern die haben ja vor allem den Need, dass sie, ich sag jetzt was, ohne dass das in irgendeiner Weise gestützt ist, die brauchen ja. Vor allem müssen sie da gut hinkommen mit dem Bus oder so was..
Silke Borgstedt: Ja genau. Und oft sind es so genau diese Aha!- Erkenntnisse und Überraschungen, die die eigentlichen Erkenntnisse sind, weil man ja von dort aus auch anders darauf reagieren kann. Also das Beispiel „Berufsorientierung“ ist eigentlich sehr gut, weil das natürlich ein großes Thema ist. Was wollen junge Menschen heute machen? Wie gelingt eigentlich Berufsorientierung oder wie läuft das eigentlich ab? Mit wem sprechen die eigentlich?
Und das Interessante ist ja auch, dass in Einrichtungen, die Arbeitsplätze zu vergeben haben oder in Unternehmen und so weiter, dass dort ein bestimmtes Bild vorherrscht, wie junge Menschen grad so sind. Die sind alle super digital und die wollen vielleicht auch, dass sie einen Arbeitgeber haben, der einen gewissen positiven Purpose hat, der irgendwie vielleicht einem selbst auch etwas mehr Sinn liefert bei dem, was man dann da potenziell tun wird.
Und so weiter. Also zum Beispiel, da hat man die Vorstellung, da sind oft vielleicht oder ist eine große Gruppe von jungen Menschen, die ziemlich genau wissen, was sie wollen. Und werde ich dem eigentlich gerecht? Und auf der anderen Seite merken wir dann aber häufig, dass die jungen Menschen denken, alle denken das von ihnen und sind selber relativ verunsichert und zwar auch verunsichert: Was kann ich eigentlich?
Ja, man ist mit vielen Dingen konfrontiert und sorry, bin ich überhaupt ein Digital Native? Ich muss mir doch ganz schön viele Sachen auch ständig neu erarbeiten und ehrlich gesagt verändert sich das Feld die ganze Zeit. Also sie haben ja auch gerade mit solchen, teilweise ja auch Unterstellungen zu kämpfen, was die irgendwie können müssten. Oder man glaubt, dass sie können.
Ja, solche Sachen sind zum Beispiel wichtig, da genau zu verstehen: Was, was bewegt die? Was treibt die an? Und so weiter.
Sebastian Jarzebski: Ich finde den Begriff "Unterstellung" gut, weil ich finde das ist ja so was, was man so macht. Auch wenn wir Kommunikation realisieren wollen und man eine Kampagne sich ersinnt oder eine Kommunikationsmaßnahme in irgendeiner Form, dass man erst mal schon so ganz vorgeprägte Annahmen im Kopf hat über die Menschen, die man da erreichen will und was die so brauchen und wie man die so erreicht. Und dann gibt es vorgefertigte Muster, die man im Kopf hat, wo man denkt: Ach ja, so könnte das ja irgendwie klappen.
Genauso wie du sagst, die einen muss man irgendwie digital ansprechen, die hängen nur bei Instagram oder die anderen lesen die FAZ oder irgendwie solche Touchpoints, die man dann so automatisch im Kopf hat. Aber man stützt das halt schon sehr stark auch immer auf so einen, auf so einen eigenen lebensweltlichen Erfahrungshorizont und wo man vielleicht versucht zu extrapolieren.
Oder man kennt dann Menschen, die machen das ja anders und das baut man so ein in seine eigene Vorstellung von der Welt, von den Zielgruppen. Mich würde interessieren, wie ihr das aufbricht, wie ihr diese vorgefertigten, dieses Alltagswissen, was ja jeder mit sich herumträgt, wie ihr das aufbrecht. Also auch vielleicht methodisch nochmal ein bisschen zu hören. Wie macht ihr das denn? Wie kommt ihr denn eigentlich dann da ran an dieses Wissen über diese Zielgruppen?
Silke Borgstedt: Ja, vielleicht noch mal zunächst kurz zu diesen Vorannahmen. Als du es jetzt noch mal aufgegriffen hast, habe ich gerade gedacht: Unterstellung ist ja eigentlich ein ziemlich gemeiner Begriff. Eigentlich ist das gar nicht gemeint bzw. ja klar, Unterstellung, aber einfach nur wider besseren Wissens. Das ist einfach das erlebte Erfahrungswissen, das gelebte Erfahrungswissen und da dürfen ja auch die eigenen Kinder, die zu Hause rumhängen und nicht wissen, welchen Job sie machen wollen, irgendwie auch eine ganz wichtige empirische Instanz bilden.
Silke Borgstedt: Es ist dann eben nur so, dass wir versuchen, diesen Raum noch mal ein bisschen zu weiten oder dass man ganz viel mit verschiedenen Personengruppen bislang zu tun hatte und die sich aber verändern, weil sich bei denen ja Lebensbedingungen verändert haben oder was auch immer. Also das ist das, was wir tatsächlich an vielen Stellen versuchen, dieses Aufbrechen, wobei es oft ja auch etwas ist.
Es ist ja auch erst mal eine Bestätigung eines bestimmten Bildes. Das ist ja so, dass da, das ist ja nicht so, dass wir da permanent korrigierend irgendwo eingreifen, sondern es ist ja massiv viel da. Es sind ja manchmal auch Dinge, die die Auftraggeber und Kunden selber beobachten und dann fragen: Sag mal ist das jetzt irgendwie nur in unserem Kontext oder ist das ein genereller Trend in dieser Gruppe?
Und kann man das mal systematisch erforschen, ob das wirklich eine Veränderung ist, die wir da beobachtet haben, dass die jungen Menschen jetzt so und so ticken? Oder ist das nur unsere persönliche Erfahrung hier. Sind wir da irgendwie gebiased und so. Also darum geht es natürlich auch so im Sinne von: Ich habe eine Entdeckung gemacht. Können Sie mal gucken, ob das eigentlich etwas ist, mit dem wir weiterarbeiten können?
Das ist natürlich auch besonders. Also es geht eben in verschiedene Richtungen. Ja, wie arbeiten wir eigentlich methodisch? Das war deine Frage. Das kommt natürlich sehr stark auf die Fragestellung an, also das ist uns ganz wichtig, dass wir wirklich erst mal. Also der erste Schritt ist, überhaupt eine Frage finden. Was wissen wir über Zielgruppen heute? Da muss ich dann immer zurückgeben: Ja, man kann natürlich fast alles wissen, aber was brauche ich denn eigentlich?
Was will ich wissen? Das heißt, was ist eigentlich genau meine Frage an bestimmte Personengruppen? Und von da ausgehend können wir eben eruieren, ob wir uns eher erst mal, wenn es ein komplettes neues Feld ist, zum Beispiel meinetwegen wir hatten gerade eine Studie zum Thema "Metaverse". Also wie das, also ob das und wie das schon im Alltag verankert ist, bei welchen Menschen?
Da muss ich ja erst mal wissen, sollte ich mich da zunächst mal explorativ nähern, um überhaupt erst mal den ganzen Raum aufzumachen und zu wissen, welche, ja welche Merkmalsausprägung kann ich da eigentlich überhaupt finden? Um was geht es da eigentlich und ,oder habe ich da schon eine hinreichende Basis, sodass ich sagen kann, mich interessiert eigentlich wie bestimmte Merkmalsausprägungen, ich weiß ja schon, es geht um die, die, die und die Bereiche, wie die sich in einer Bevölkerung verteilen. Also das muss ich erst mal so grundlegend entscheiden.
Und dann ist eigentlich auch dieser, der Weg zur Methode häufig auch ein interaktiver, dass wir tatsächlich auch schauen, wie kommen wir weiter. Und es wird auch immer agiler, muss man sagen. Also es ist nicht immer mehr so, dass es heißt: So, wir brauchen vier Fokusgruppen zum Thema XY und danach gehen wir ins quantitative Testing, sondern wir fangen mal an und dann schauen wir, was die Pilotierung ergeben hat und passen das Verfahren gegebenenfalls noch etwas an. Aber diese qualitative Forschung ist uns schon sehr, sehr wichtig.
Also rein mengenmäßig machen wir vermutlich fifty-fifty. Kann man nicht so sagen. Es gibt so, äh, Saison, oder wenn ein riesiges qualitatives Projekt da ist, dann ist man damit ganz lange beschäftigt und parallel laufen zufällig auch noch zwei andere. Aber ich würde mal sagen, das hält sich so die Waage. Aber gerade die Milieu-Forschung würde ich schon sagen, da schlägt das Herz qualitativ ganz stark.
Also dass wir wirklich herausfinden, was verstehen Menschen unter bestimmten Themen? Wie machen sie das nutzbar für ihren Alltag? Oder auch wenn es darum geht: Was machen sie nicht und warum machen sie denn das überhaupt nicht? Das ist ja eigentlich häufig noch die Frage. Jetzt habe ich hier so was Schönes entwickelt und es funktioniert nicht. Das verstehe ich einfach nicht, warum das nicht funktioniert.
So, und dieses Verstehen, dann kommt man häufig nicht so mit vorgefertigten Batterien weiter im Sinne von: Wir haben hier mal zwölf Gründe, warum man das nicht mögen mag oder so, ja, sondern da muss man eben tatsächlich noch mal ganz anders, tiefer einsteigen.
Sebastian Jarzebski: Das erfordert ja, dass die Menschen sehr offen sind, wenn sie mit euch sprechen. Das erfordert ja sozusagen so eine gewisse Offenheit euch gegenüber, wenn ihr eine solche Leistung oder ein Produkt oder um auf andere Beispiele einzugehen, dass die da ganz offen sprechen und auch von diesen Problemen ganz offen berichten, sozusagen. Ist es nicht total schwierig, diese Offenheit herzustellen? Oder gibt es da..
Ja, oder seid ihr da einfach so Profis, dass das euch einfach gelingt über das Setting? Weil ich stell mir vor, dass das ganz viel auch mit Praktiken sozusagen der Befragung zu tun hat. Ja, also wenn man da in diesem Setting, so als wenn das wie eine Prüfung wirkt, möchte ich jetzt mal sagen, dass dann Leute deutlich weniger offen auch von ihren Problemen, Hemmnissen, Bedürfnissen, Sorgen oder so was berichten, als wenn man da ein anderes Setting herstellt.
Also ist das, ist das ein Thema, was euch beschäftigt, also die Frage, wie man diese Offenheit herstellt?
Silke Borgstedt: Ja, auf jeden Fall. Das ist ein wichtiges Thema, zumal wir ja durchaus auch sehr stark mit verschiedenen vulnerablen Bevölkerungsgruppen arbeiten. Also es jetzt nicht ausschließlich, das kann auch tatsächlich am anderen Ende der, ja, was heißt Ende oder an irgendeinem anderen Punkt in der Bevölkerung stattfinden. Also wir arbeiten schon mit schwer erreichbaren Zielgruppen, es können auch sehr reiche Menschen sein, das können auch Menschen mit einer bestimmten Erkrankung sein usw. und das ist erstmal schon tatsächlich eine Herausforderung in der Erreichbarkeit, wo wir auch eine realistische Einschätzung machen müssen, können wir Zugänge zu diesen Personen überhaupt herstellen oder was bräuchten wir dazu?
Und natürlich auch selbst wenn das gelingt, habe ich dann eigentlich die, ja wirklich den Kern dieser Gruppe? Also habe ich tatsächlich Vertreter, Vertreterinnen dabei, die mir da auch ein realistisches Bild vermitteln können? Oder muss ich vielleicht auch noch mal, weil ich denke, dass man nicht an der Stelle vielleicht so offen sein kann, andere, ja andere Akteure mit hinzuziehen?
Also Beispiel: Eine Beratungsstelle oder so. Die vielleicht noch mal direkter mit bestimmten Konflikten zu tun hat, oder dass man dort auch noch mal sich gegebenenfalls austauscht, was dort relevant ist. Aber an sich funktioniert das gut, es ist immer eine Herausforderung, aber es hängt sicherlich auch am Setting. Also wir gehen auch oft, also wir gehen zwar oft auch in vielleicht mal in ein normales Test-Studio und so weiter, mit so einem typischen auch Raum wo man eben so Gruppengespräche führen kann.
Wir machen das aber auch in ganz anderen Settings, also bei Leuten zu Hause, dass man Freunde miteinander einlädt, in einer Gruppe zum Beispiel. Oder dass man auch versucht, mit partizipativen Dingen da besser ranzukommen, dass zum Beispiel Personen, die selbst Betroffene sind, auch teilweise interviewen oder so, ja, oder auch, dass man gemeinsam überlegt, wie kann man dort Fragen besser stellen, vielleicht auch. Oder wo ist ein vertrauensvolles Umfeld und so weiter.
Sebastian Jarzebski: Ja, super interessant. Ich habe, ich häng immer noch bei dieser, bei diesem Erfahrungswissen, wo wir eben waren, bevor wir zu diesen, sozusagen zu der Erreichbarkeit jetzt gerade gekommen sind. Ich häng, ich häng noch bei diesem Erfahrungswissen, bei dieser Frage, bei diesen Annahmen, den wir, die wir so treffen und was wir so alle so im Kopf haben, wenn wir über die Welt und über die Menschen und die Gesellschaft nachdenken.
Und ich hänge da dran, dass das, was ihr ja macht, wenn ihr eine Studie oder im Auftrag jetzt so eine Befragung oder eine Beforschung einer bestimmten Fragestellung anregt oder oder damit beginnt, dass ihr danach das produziert, was man gemeinläufig dann als empirisches Wissen bezeichnet. Ja, das ist methodisch gestützt, das hat bestimmte Verfahren durchlaufen, und am Ende wissen wir dann, um jetzt wieder dieses Beispiel vom Anfang aufzugreifen, dass junge Menschen, die eine Ausbildung haben, eigentlich nur die Erreichbarkeit im ländlichen Raum das Problem ist, weil sie gar nicht wissen, wie sie zu ihren Ausbildungsstätten kommen sollen oder so. Oder um jetzt ein fiktives Beispiel zu nutzen.
Und dann sagt man okay, wir haben das gemacht mit x Fokusgruppen oder so was und wir haben jetzt so ein Ergebnis, und dann ist das ja so in der Welt. Dann ist das bei euren Auftraggebern oder bei denen, mit denen ihr dann zusammenarbeitet. Dann ist das ja sozusagen als Wissen präsent. Ja, so, dann ist es, dann hat man so Wissen geschaffen, worauf sich dann bezogen wird, wo dann politisches Handeln daraus erwächst oder unternehmerisches Handeln oder dann erwächst daraus ja so Handeln.
Dann ist da so ein Wissensding entstanden irgendwie. Und auf der anderen Seite gibt es halt dieses Erfahrungswissen, was wir alle so in der Welt mit uns herumtragen, wo wir sagen: Ich habe, ich habe bei meiner Nichte oder so was, so was ist ja dann häufig so, bei meiner Nichte ist das Problem nicht der Bus, sondern da ist das Problem, dass die zu wenig bezahlen. Oder weiß ich nicht oder dass es in der Region immer nur irgendwelche Handwerksberufe gibt.
Die würde aber eigentlich gerne eine Ausbildung zur Raumausstatter:in machen oder irgendwie so. Dann hat man so, hat man so dieses Erfahrungswissen. Und ich glaube in unserer Arbeit, in dieser Kommunikationsentwicklung ist man ganz oft in dieser Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Wissensformen so gefangen. Man versucht so wie du es gesagt hast, so, wenn man so initial so einen Gedanken hat, so in Erfahrungswissen, aus diesem Erfahrungswissensschatz, dann versucht man den so zu stützen empirisch.
Dann versucht man dem sozusagen eine Legitimität zu verschaffen, indem man noch mal eine Studie macht. Und das kann dann ganz, ganz unterschiedlich sein. Und wenn das dann gemacht ist, dann hat das eine ganz, also hat das eine deutlich höhere Glaubwürdigkeit. Es kann aber auch sein, dass das Erfahrungswissen aus der eigenen Region eigentlich von vornherein eh schon deckungsgleich ist.
Und das ist für mich manchmal so ein, ja, so eine Frage, die ich mir immer stelle, weil empirisches Wissen höher geranked wird, so möchte ich es mal sagen. Wenn man das jetzt das in so ein Ranking einsortieren würde als Erfahrungswissen, als das, was die Menschen so im Alltag erleben und was sie so umtreibt und gleichzeitig ist, wenn ich dich richtig verstanden habe, das, was ihr aber macht, ist ja eigentlich auch das Erfahrungswissen der Menschen aufzubereiten, wenn man so will.
Oder das zu verallgemeinern noch mal in größere Gruppen. Ist gar nicht jetzt so eine richtige Frage, die ich habe, sondern eher so eine, so eine Beobachtung oder so ein Komplex, den ich in meinem Kopf bewege zwischen diesen beiden verschiedenen Wissensformen.
Silke Borgstedt: Ich finde auch gar nicht, dass die... ja, ich glaube aber auch, dass die gar nicht so widersprüchlich sind. Also wenn wir, jetzt bleiben wir nochmal einmal bei den jungen Menschen. Wenn wir einen Vortrag halten würden zu den, ja zentralen, also zu dem, was junge Menschen gerade so antreibt, und da im Publikum 200 Leute sitzen, die sagen: What!Das habe ich ja noch nie gehört! Dann haben wir, glaube ich, nicht so gut gearbeitet.
Also das heißt, das schließt natürlich da an, und das ist ja auch gerade so ein Effekt, auch gerade bei der Milieu-Forschung, da haben wir ja einfach noch mal den Vorteil, da kommen wir dann, glaube ich, gleich noch mal wieder zu den Zielgruppen, dass wir ja differenzieren können. Da kann man sagen, es ist ja absolut legitim, dass die Nichte einen Arbeitgeber gefunden hat, der zu schlecht bezahlt und das deshalb die Barriere ist. Das wird vermutlich auch so korrekt sein und die kommt auch ja irgendwo vor.
Aber die Frage ist eben, ob das sozusagen in der quantitativen Teilung was Wesentliches ausmacht und natürlich auch, ob es dann bei anderen ebenso wichtig ist, oder ob es dort zwar auch vorhanden ist, aber vielleicht im Handeln dann nicht die Relevanz hat. Also wir haben eben, wie gesagt, oft diesen Effekt, dass man sagt: Ah ja, das habe ich auch schon mal genauso erlebt. Das ist ja häufig auch das Erkennen von etwas, was man bislang vielleicht noch gar nicht so präsent hatte.
Also ich würde sagen, es ist so ein Mix aus Bestätigung des eigenen Erfahrungswissens und zum einen ein bisschen bessere Strukturierung vielleicht. Oder verstehen noch mal, warum das eigentlich so ist und natürlich aber auch eine gewisse Erweiterung. Also es gibt immer diese Dinge, die dann ja so ein bisschen natürlich nachgefragt werden. Also in so kleineren Runden verteile ich ja vorher zum Beispiel auch gerne solche Kärtchen im Sinne von: Was ist so ein bisschen eine Info, die man so abchecken kann im Sinne von, okay, es ist okay, wissen wir, haben wir schon eingearbeitet, machen wir sowieso schon seit 100 Jahren so. Kein Problem. Das ist erledigt.
Und wo sind die Dinge, wo ich mir sag: Ah, das ist ein Aha!-Moment, wo ich einfach mal was mit machen müsste. Und wo habe ich aber auch echte Fragezeichen im Sinne von: Das müsst ihr glaube ich noch mal challengen, da bin ich nicht überzeugt, dass das wirklich so ist.
Und das kann man dann eben auch. Das ist mir, glaube ich, auch ganz wichtig, dass wir ja auch nicht sagen: Okay, das sind jetzt die Ergebnisse, das ist so und mehr gibt es dazu auch nicht zu sagen, sondern dass wir ja in einen Dialog treten darüber, ja. Und auch das ja gerade das Spannende ist, wie wird dann mit diesem Wissen aktiv umgegangen? Wird das erst mal, also wird das dankend aufgegriffen und sofort durchdekliniert? Wird das hinterfragt? Wird gesagt: Oh da müssen wir noch mal etwas genauer verstehen oder was?
Also was passiert dann eigentlich damit? Das ist für uns immer spannend, aber wir sind auch nicht immer dabei. Also manchmal endet das Projekt natürlich, wenn wir unsere Ergebnisse liefern. Und ja, häufig dürfen wir aber auch dabei sein, was damit dann im weiteren Verlauf passiert. Und das ist natürlich immer das Tollste, wenn man etwas herausfindet und merkt, dass das in welcher Form auch immer eine Berücksichtigung findet.
Das gelingt mal besser und mal schlechter, aber man entdeckt irgendwas im öffentlichen Raum und sagt sich: Ah super! Das hat vielleicht irgendwie auch vielleicht nur peripher, aber vielleicht mit einem Untersuchungsergebnis auch zu tun.
Sebastian Jarzebski: Ja, das finde ich super. Das hat mir geholfen, das zu sortieren, was ich gerade so unsortiert da irgendwie von mir gelassen habe. Weil ich glaube, der entscheidende Satz oder der entscheidende Punkt ist, dass ihr das Erfahrungswissen dann noch mal anders benennt. Also ihr gebt dem, wie du sagst, eine Struktur oder eine Form auch noch mal, weil Du hast natürlich vollkommen recht.
In meinem, in meiner Vorstellung von Erfahrungswissen ist es immer so, dass das häufig sehr subtil ist oder sehr, sehr unterbewusstes Wissen ja auch ist. Ja Wissen, was man gar nicht , was man immer nur in der Anschauung oder im direkten Test sozusagen überhaupt erst benennt. Das sind ja Dinge, die man so, die man so fühlt und mitkriegt und irgendwie liest und irgendwie, aber die man nicht jetzt noch mal expliziert in dem Sinne, dass man es aufschreibt oder benennt oder sagt und ihr helft natürlich damit, dabei, daraus halt doch bestimmte Wissens Pakete zu machen.
Also ich sage immer Pakete, weil ich mir das dann so bildlich vorstelle, dass dort halt dann ein Wissen in einer Form vorliegt, was man auch einfach wie du sagst, was man anfassen kann, womit man, worüber man diskutieren kann, wo man, ja wo man eine Grundlage hat für ein Gespräch, was nicht so ist, wenn es nur in den Köpfen der Menschen ist. Das finde ich gerade sehr, sehr hilfreich den Gedanken.
Du hast jetzt gerade die Milieus schon noch mal angesprochen, das ist natürlich, glaube ich, das, womit ihr sehr, sehr verbunden werdet, mit den Sinus Milieus. Es ist auch das, wo ich ganz persönlich zum ersten Mal natürlich vom SINUS-Institut gehört habe. Als ich noch Student war, war das für mich immer ein ganz toller Ansatz irgendwie Gesellschaft zu verstehen.
Ist jetzt auch schon ein paar Jahre her, aber da war das für mich einfach eine neue Form von Zielgruppen oder von Gesellschaftsanalyse. Ja, weil man gemerkt hat okay, wir können jetzt nicht mehr nur in Unter-, Ober- und Mittelschicht reden oder wir können auch nicht mehr nur, auch für die politische Analyse, entlang bestimmter Lager denken, wo wir ganz klar sagen: Hier gibt es ein konservatives Lager und hier gibt es ein sozialdemokratisches Lager. Die sind nicht so klar voneinander zu trennen manchmal, ja, bzw. wir brauchen dafür vielleicht andere Perspektiven.
Und vielleicht kannst du uns noch mal ein bisschen was über diese Milieus erzählen. Was? Was steht da so hinter ? Wie seid ihr vielleicht auch darauf gekommen, von diesen Milieus zu sprechen und sie so zu entwickeln, wie ihr sie jetzt entwickelt habt?
Silke Borgstedt: Da kann ich gerne noch mal ein bisschen dazu erzählen. Zum einen vielleicht noch mal für diejenigen, die das jetzt doch auch zum zum ersten Mal hören. Das kann ja auch sein, weil das ja auch ein sehr spezifischer Zielgruppen-Ansatz ist. Wenn wir von Milieus sprechen, meinen wir eben diese Gruppen Gleichgesinnter, die hinsichtlich der Denkweise, aber auch sozialer Lage und so einer übergeordneten Alltagsästhetik auch und der Art und Weise zu denken und zu handeln ähnlich ticken.
Und das ist sozusagen ein Zielgruppenmodell, was den Anspruch hat, die Gesellschaft als Ganzes zu verstehen. Deswegen nennen wir es ja auch ein Gesellschaftsmodell. Also in vielen anderen Zielgruppen, Segmentierungen, die wir natürlich auch durchführen. Wir schauen ja auch immer, welche Zielgruppen-Ansatz ist eigentlich auch für eine Fragestellung übrigens der sinnvolle. Das heißt nicht immer nur, wenn man sagt, ich will verschiedene Gruppen verstehen, ach, dann bieten wir mal unsere schönen Milieus an, sondern wir schauen natürlich, wo laufen eigentlich auch diese Differenzierungslinien? Was hilft uns am besten in diesem Fall zwischen Gruppen von Menschen zu unterscheiden, um eben unsere Angebote punktgenauer zu gestalten?
Und das ist so ein bisschen der Hintergrund. Und ja, das ist aus der Lebensweltforschung entsprungen. Das ist ja auch ein Ansatz, den es schon vor der Anlage her recht lang gibt. Wir betreiben das ja schon seit über 40 Jahren. Das heißt, es ist immer auch besonders toll für uns oder auch für Kolleginnen und Kollegen, die neu dazukommen, zu sehen, wie sich so etwas über den Verlauf der Zeit verändert hat.
Also das Wissen wächst sozusagen, in dem wir ja über Jahrzehnte jetzt schon beobachten, wie sich Gesellschaft verändert und auch, welche Ereignisse eigentlich Veränderungen evozieren. Also man kann sozusagen durch Aneinanderreihung dieser Modelle eben auch im Zeitraffer so ein bisschen nachverfolgen, wie sich Gesellschaft verändert und was auch so potenzielle Werk Signals sein können, wie es ja entsprechend weitergehen könnte.
Und natürlich ist das eine Komplexitätsreduktion von Wirklichkeit. Man könnte ja sagen: Ja, wieso zehn und nicht vierzehn oder sechs? Das ist natürlich etwas, was in der Entwicklung und Gestaltung immer eine große Rolle spielt. Wobei wir auch in der aktiven Arbeit tatsächlich ja auch dort flexibel damit umgehen. Also manche fassen auch einzelne Milieus zusammen und sagen so, das sind so ein bisschen die Postmodernen, die interessieren uns irgendwie, weil die ja auch bestimmte Gemeinsamkeiten haben. Ich nehme immer die zwei Milieus zusammen.
Wir haben aber auch andere, die sagen, das ist mir viel zu grob mit diesen nur zehn Gruppen. Ich bin sowieso immer nur da in der Mitte und da interessieren mich vor allem diese Gruppen, die da so oben links sind, die zwar so ein bisschen Mitte der Gesellschaft sind, aber vielleicht ein bisschen statushöher und ein bisschen andere Distinktionsansprüche haben.
Also die gehen sehr flexibel damit um. Diese zehn, Kartoffeln werden sie ja oft genannt, sind sozusagen nicht, also sind sozusagen Grundfolie, und wenn wir in der Arbeit sind, dann arbeiten wir nicht nur mit diesen zehn Gruppen, sondern man kann ja in einem Milieu wie zum Beispiel den Postmateriellen auch sagen: Hier schaue ich mir mal nur die Frauen an, die postmateriellen Frauen oder diejenigen, die nur dieses oder jenes Hobby haben.
Wie auch immer, da kann ich ja gezielt noch mal reingehen. Und ich finde, es hilft einfach auch, um vielleicht mal sich mit Gruppen auch auseinanderzusetzen, zu denen man noch weniger Kontakt hat oder die man nicht so sehr auf dem Schirm hat. Ich finde auch gerade im politischen Bereich, wo gesagt wird, häufig, wieso eigentlich Zielgruppen? Wir wollen doch alle erreichen und müssen alle erreichen.
Und es bedeutet aber auch manchmal vielleicht einzelne Gruppen gezielter anzusprechen, weil sie einfach bislang gar nicht erreicht werden.
Sebastian Jarzebski: Und du hast jetzt ein paar Begriffe dieser Milieus schon genannt. Vielleicht kannst du noch mal ein bisschen drauf eingehen auf diese Kartoffeln. Also du hast jetzt den Begriff „Postmaterielle“ schon genannt, oder die Mitte. Worin unterscheiden die sich denn? Oder wo zieht ihr dann auch Grenzen? Also was unterscheidet jetzt zum Beispiel jemanden aus der Mitte zu einem Postmateriellen?Also was? Woran würdet ihr da so eine Unterscheidung festmachen?
Silke Borgstedt: Ja, also Mitte ist jetzt erst mal ein bisschen ein größerer Begriff. Das ist auch immer die ganz zentrale Frage: Wo ist eigentlich gerade die Mitte? Das hat nämlich auch was mit sozialer Lage vor allem auch zu tun. Aber es gibt ja dann noch sozusagen die gefühlte Mitte. Bin ich der Otto Normalbürger/-bürgerin? Das ist ja auch noch ein bisschen das, was da mitschwingt, wenn wir über die Mitte sprechen.
Was ist so der, ja, vielleicht auch internationalisiert, der Mainstream, den wir ja in jeder Gesellschaft in irgendeiner Form irgendwo identifizieren, also die unterscheiden sich, die verschiedenen Gruppen in unterschiedlichen Zugängen zu einem Thema. Also sagen wir mal die Postmateriellen, die du schon angesprochen hast, die waren ja in den Achtzigern mal unser alternatives Milieu, also das waren sozusagen seinerzeit mal die jungen Wilden zu einem großen Teil, die eben sehr stark in Anti-AKW-Bewegungen, Themen wie Emanzipation etc. so gewurzelt sind.
Und vieles davon ist so in den, ja doch recht mittlerweile etablierten, Mainstream abgewandert, wo man sich vielleicht auch einen bestimmten Lebensstil, einen nachhaltigen Lebensstil leisten kann und das ist sozusagen so die Grundhaltung. Bildung ist wichtig und ein erfülltes Arbeitsleben etc.. Und auf der anderen Seite zum Beispiel, wenn wir ein Milieu der, so wie du gesagt hast, ja, also eher noch mehr in der Mitte aussuchen, adaptiv pragmatische Mitte, das ist sozusagen so der junge Mainstream.
Dort geht es ja auch darum, was muss ich leisten und machen, damit ich sozusagen auch ankommen kann im Leben. Etwas erreichen wollen spielt hier eine große Rolle, zum Beispiel, und aber eben auch mit einem gewissen Augenmaß und nicht sozusagen übergeordnete Dinge da permanent mitdenken zu müssen, sondern eben auch für sich selber so den richtigen Weg zu finden. Und das Interessante ist eben häufig, dass natürlich in diesen Milieus jeweils soziodemografisch ähnliche Menschen sind.
Also Beispiel: Da sind dann zwei Personen Generation Y, aber wenn sie in verschiedenen Milieus beheimatet sind, ticken sie trotzdem ganz anders, auch wenn sie zu einer ähnlichen Zeit meinetwegen Studium gemacht haben und in einer ähnlichen Region aufgewachsen sind. Daran kann man das eigentlich immer sehr schön sehen, dass es soziodemographische Ähnlichkeiten gibt, aber das würde für eine Kommunikation jetzt nicht so sehr helfen, denn ihr müsst vermutlich unterschiedliche Geschichten erzählen für diese Personengruppen. Ja.
Sebastian Jarzebski: Ja, das ist genau glaube ich der Punkt, weil wir haben, häufig wird denn gesprochen: Ja, junge Zielgruppen, junge Menschen müssen wir irgendwie erreichen. Und gerade um wieder zu unserem Ausgangsbeispiel zurückzukommen, Menschen, die eine Ausbildungsstätte suchen. Auch da haben wir ja so, so verstehe ich eure Forschung und euren Ansatz immer, haben wir ganz, ganz unterschiedliche Menschen. Wir haben Menschen, die die aus prekären Verhältnissen stammen, die wenig Zugang zu Bildung hatten, bislang wenig Zugang zu Teilhabe und so weiter.
Und wir haben auf der anderen Seite gut behütete Jugendliche, ja, die, die ja mit dem goldenen, mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Mund geboren sind. Und natürlich brauchen wir unterschiedliche Ansprachen. Wir brauchen unterschiedliche Geschichten. Wir brauchen unterschiedliche Zugänge. Und um jetzt in so einer Narrativdenke auch zu denken, wir müssen ihnen auch unterschiedliche Rollen vielleicht zuweisen, mit einer unterschiedlichen Ansprache da herantreten.
Siehst du denn da in der Ansprache von Zielgruppen Veränderungen in den letzten Jahren, vielleicht auch so seitdem ihr, seitdem du jetzt bei bei SINUS bist und seitdem ihr das macht. Siehst du da eine Veränderung, also eine andere vielleicht Sensibilität für diese unterschiedlichen Ansprachen? Oder Trends? Wenn man so ein schlimmes Wort mal nehmen will. Ja, für die Veränderung von solchen Ansprachen, dieser unterschiedlichen Milieus.
Silke Borgstedt: Ja, ich denke, dass sich diese Ansprachen schon permanent weiterentwickeln, aber auch weiterentwickeln müssen. Das ist, glaube ich, auch immer so ein gewisser Strukturzwang. Also so wie es vielleicht irgendwie vor 20 Jahren gereicht hätte zu sagen, wir sehen das immer bei unserem Milieu-Indikator, was schafft Differenzierung? Da haben wir glaube ich, mal ein Statement gehabt, das hieß: Ich bin gerne im Internet oder so ähnlich. Also Dinge, die irgendwann obsolet sind.
Und jetzt haben wir natürlich, vor ein paar Jahren war es noch das Thema, man muss was bei Social Media machen und jetzt haben wir so eine Kanal-Differenzierung, und dann geht es auch gar nicht drum : Wo ist man? Sondern bin ich jetzt ein Sender oder soll ich mich hier auf Empfang stellen? Was ist überhaupt das richtige Format?
Und so weiter. Also in welcher Position bin ich auch als jemand, der da etwas vermitteln will oder jemand erreichen will? Wer soll ich eigentlich sein? Und ja, da sehen wir schon eine größere Sensibilität, also dass man überhaupt in irgendeiner Form adressieren muss oder dass das eben Dinge auch falsch verstanden werden können ansonsten. Also ja, das merkt man schon auf jeden Fall.
Und es ist aber ja auch immer wichtig zu vermitteln, dass das man selbst da ja auch nicht immer die völlige Weisheit hat. Also Zielgruppe klingt ja so ein bisschen nach Dartscheibe, immer oder so nach: Super. Jetzt habe ich es verstanden, so machen die das und da wird das ja irgendwie laufen. Es hilft ja einfach auch, sich bestimmte Dinge mal genauer vorzustellen, diese Perspektive einzunehmen.
Also gerade so bei Zielgruppen mit dem Thema Ansprache geht es gar nicht so sehr darum, dass ich jetzt eine Tabelle anschaue und sage so: Wie viel haben die denn letzte Woche gepostet auf XY und was machen die dann nächste Woche? Und deswegen muss ich das und das machen. Sondern sich da hineinzuversetzen. Viele arbeiten da ja auch mit so Persona- Ansätzen und arbeiten das genauer aus und da geht es ja auch wirklich um dieses, den mag man positiv oder negativ bewerten.
Also es gibt bestimmte Bereiche, da ist es super hilfreich damit zu arbeiten und sich vielleicht auch mal, machen wir auch in so Workshops, sich vielleicht mal so ein Tag, also so einen Tag mal in seine Persona da hinein zu schlüpfen und mal mit deren Augen einzukaufen, Medien zu lesen etc. und darüber kommt man über diese Ideen.
Ich glaube, da gibt es auch neue Wege mittlerweile, dass man nicht mehr so einfach einen Katalog abklappert und sagt: Okay, das mag die Person, dann mache ich das jetzt wohl am besten oder da kann ich die finden. Sondern diese Narrative werden ja relativ komplex und es geht eben nur über dieses Einfühlen auch ein Stück weit.
Sebastian Jarzebski: Glaubst du denn, also es gibt ja bei dieser ganzen Frage „Zielgruppe“, das finde ich noch mal gut, so dass es fast wirkt wie so eine Dartscheibe. Auch generell wirkt es, wirkt der Begriff "Zielgruppe" auf mich häufig sehr objektifiziert. Also da werden die, die werden so die Zielgruppen werden dann zum Objekt. Sie werden, die müssen wir erreichen und mit denen müssen wir nicht unbedingt ins Gespräch kommen, sondern wir müssen nur irgendwas bei denen abladen und dann müssen wir das so vorher so genau aussteuern, dass wir dann am Ende unser Ziel erreichen.
Sonst wäre es ja keine Zielgruppe. Und in diesem "Ziel"-Begriff steckt für mich auch immer dieses, dieses extrem strategische. Also wo man jetzt so aus der Kommunikationssichtweise ja so eine Habermas-Unterscheidung noch mal anlegen könnte zwischen strategischem Handeln und verständigungsorientiertem Handeln. Wo das strategische Handeln immer auf irgendeinen Zweck ausgerichtet ist und nicht eben auf ein demokratisches Verständnis von: Wir wollen hier gemeinsam ein Ziel erreichen.
Und das, also all das schwingt für mich manchmal so ein bisschen mit, wenn man in der Kommunikation immer von der Zielgruppe spricht, die da so als Objekt an der Wand hängt und man wirft dann seine Pfeile so da drauf.
Silke Borgstedt: Oder als Pappaufsteller.
Sebastian Jarzebski: Ja, genau. Oder als Pappaufsteller. Wenn es dann eine Persona ist, dann hat die Dartscheibe noch ein Gesicht.
So? Genau. Ja, aber ich finde diese, diese Personas. Also es gibt ja auf der anderen Seite noch dieses ganze Thema "Daten". Also wenn man jetzt über Zielgruppen nachdenkt und wie man die gut erreicht, wenn wir irgendwie gerade Social Media, du hast es gerade auch gesagt, da wird ja gar nicht mehr groß geforscht im Sinne von "mit Menschen interagiert" in einem realen realweltlichen Sinne, dass man sich mit denen zusammensetzt und ihr jetzt sagt in Workshops, oder versucht hier zu erspüren, was, was die Menschen umtreibt. Sondern hier stützt man einfach auch die Ansprache auf haufenweise vorliegende Daten über Nutzungsverhalten, über die Bewegung.
Nutzt ihr das auch? Also seid ihr mit, habt ihr Datenanalysen bei euch auch mit drin? Und die zweite Frage stelle ich gleich, weil für mich hat das Ganze auch natürlich noch mal so eine..oder generell die Frage: Hat dieses ganze Zielgruppen analysieren, durchleuchten, da kommen ja auch solche Begriffe plötzlich dann mit aufs Tableau, hat das auch nicht irgendwie eine ethische Komponente?
Also die Frage wie, wie weit, wie viel dürfen wir eigentlich die Leute durchleuchten, wieweit können wir das überhaupt und wollen das überhaupt? Also das sind vielleicht so zwei Fragen, das eine nach den Daten und das andere nach dieser, nach dieser ethischen Komponente von Zielgruppenanalyse.
Silke Borgstedt: Ja, also in der Tat, wir haben jetzt sehr viel über eher dialogische, qualitative Dinge gesprochen. Die großen Daten sind schon auch sehr, sehr wichtig für uns und es ist so, dass wir damit natürlich auch arbeiten und auch glauben, dass man nicht immer alles nur durch die Erfassung von Einstellungen erreichen kann. Also beobachtetes Verhalten, übrigens auch in anderer Form, das sind ja auch nicht nur Cookie-Spuren im Netz, sondern das können ja auch andere Formen von reiner Beobachtung sein, in einem Feld etc.
Aber große Datenmengen spielen eine enorme Rolle. Wir beschäftigen uns ja zum Beispiel auch mit der Mikrogeographie, das heißt eben Zielgruppen auch in ihrem räumlichen Verhalten, in ihren, ja, auf die Art und Weise, wo sie wohnen, mit wem sie wohnen, mit aggregierten Daten, uns anzuschauen und das dann aber wiederum mit anderen Verfahren zu spiegeln.
Also wir haben ziemlich gute Kartographierungen, welche Milieus wo wohnen, und zwar bis auf Gebäudeebene. Auch wenn wir nicht wissen welche Menschen dahinter stecken, aber eben in Form aggregierter Daten. Aber was hilft mir das dann? Also ich muss ja trotzdem eine Frage haben. Also dann tauche ich überhaupt erst beim Thema "Soziale Kohäsion" in bestimmte Nachbarschaften ein.
Wer wohnt mit wem zusammen? Und ist das überhaupt freiwillig oder selbst gesucht? Und welche Nachbarschaften sind vielleicht auch besonders produktiv im Bereich "Engagement" oder sich gegenseitig zu helfen? Wer möchte überhaupt wie viel Kontakt zu anderen? Und dann entsteht wieder etwas. Und das hilft dann aber wiederum auch bei der Planung, vielleicht von im Rahmen von Quartiersmanagement oder überhaupt Stadtplanung etc. Irgendwo funktioniert etwas offenbar besonders gut und dann kann ich das weitertragen.
Also diese Daten sind wichtig, aber ich glaube, zwei Dinge sind wichtig. Erst mal muss man da noch ja Sinn und Verstand draus machen. Also Daten sind eben nicht Wissen. Und ich glaube, das wird häufig verwechselt, also dass man schon denkt: Ach, da haben wir schon ganz viele Daten, da müssen wir nicht mehr forschen, aber das hat ja gar keine Verbindung.
Also das Forschen ist ja auch überhaupt ein Umgang mit Daten, gerade auch, weil wir eben solche Mengen produzieren. Das ist übrigens teilweise ja auch eine Aufgabe. Manche Gruppen oder Auftraggeber haben eben Daten und sagen: Bitteschön, jetzt müssen wir noch verstehen, was da genau drinsteht. Und wir haben aber eigentlich schon alles. So, man muss jetzt nur noch das herausfinden, was dahinter steckt.
Und ich glaube eben, dass das eine, dass man Daten nicht mit Wissen gleichsetzen darf und zum anderen auch, dass man die noch mal stressen muss aus anderer Perspektive, dass so ein bisschen dieser Eingangsbereich, ich weiß dann vielleicht echt ganz viel, wie diese Konsumrituale so sind und wie das alles abläuft und wie man sich dann noch informiert und die Customer Journey steht und die lässt sich auch quantitativ schön nachbilden.
Das funktioniert alles. Aber was wollen die denn morgen? Also das hilft mir vielleicht tatsächlich, wenn ich keine Ahnung, einen Pizza-Lieferdienst habe, meine Speisekarte mache, kann ich vermutlich eruieren, welche Beläge zusammen irgendwie auch nächste Woche noch funktionieren werden. Aber wie sich mein Geschäft für die nächsten fünf Jahre entwickeln könnte und ob ich da vielleicht schon wieder was ganz anderes machen müsste, kann ich, glaube ich, überhaupt nicht herausfinden damit.
Das macht mir ja ein bisschen Sorge, weil sich so vieles darauf stützt und weil wir hier irgendwie Zeit verbringen mit Chat GPT-Auswurf korrigieren und so, keine Ahnung. Also es gibt vieles was entsteht, was dann aber nicht richtig ist oder was total traurig wäre, wenn man da stehen bleiben würde.
Sebastian Jarzebski: Aber dann sind wir natürlich auch total beim Politischen. Also bei genau diesem letzten Punkt, weil.
Silke Borgstedt: Deine zweite Frage, genau.
Sebastian Jarzebski: Ja, also die Frage nämlich... Also es gibt ja dieses vorherrschende Bild gerade, dass man sagt: Politik stützt seine, oder noch ein Vorwurf an Politik, der gerade aus progressiver Ecke oder woher auch immer geäußert wird, dass es heißt, Politik stütze sich viel zu sehr auf Umfragen und auf Meinungen sozusagen, und nimmt zu wenig seinen politischen Auftrag war, nämlich Politik zu gestalten. Und jede politische Handlung müsse noch mal abgesichert werden, über die Meinung der Bürger:innen da draußen so. Das trifft ja genau auf das, was du gerade sagst.
Wir können ja immer nur abfragen das, was gerade schon ist. Also gerade wenn es um transformative Politiken geht, um die es halt gegenwärtig geht, wenn wir über die Energiewende sprechen, über die Mobilitätswende sprechen, über Dinge, die neu sind, wo wir neue Wege gehen müssen als Gesellschaft, dann kann ja Markt- und vielleicht auch Sozialforschung. Oder anders herum als Frage formuliert: Kann Markt- und Sozialforschung da überhaupt diese Potenziale abklopfen?
Also so nach dem Motto: Was ist hier, welcher Weg ist denn hier gangbar? Oder kann es nicht letztlich immer nur sagen: Okay, gegen dieses große Unbekannte, was Unbehagen auslöst, kann man nie ankommen, sozusagen auch in den Ergebnissen, die da produziert werden. Und da, da kommt dann für mich diese Frage: Kann also, da waren wir doch ganz am Anfang bei dieser Frage der Kreativität, des Neuen, ja des Veränderungswilligen- wie findet man raus, was möglich ist?
Also die Möglichkeitsräume, ja, wie findet man auch dafür vielleicht eine Stützung, eine empirische Stützung, dass man sagt: Ja, wir haben relevante Gruppen in der Gesellschaft, die sich diese Veränderungen wünschen, sie wissen nur selber nicht wovon, also wir wissen ja alle nicht, wovon wir reden, aber wir wollen es anders sozusagen. Also verstehst du diesen Widerspruch?
Der ist natürlich irgendwie sehr diffizil und der hat für mich so eine, so eine im eigentlichen Sinne politische, ethische Komponente natürlich auch.
Silke Borgstedt: Absolut also das ist auch echt eine große Frage. Man landet dann nämlich häufig auch bei der Abfrage von möglichen Lösungen und dann das ist echt schwer für Menschen zu beurteilen. In manchen Bereichen kann es funktionieren, aber sie können noch nicht beurteilen, wie sich das zum Beispiel über die Zeit ausrollt. Also ich kann vielleicht sagen irgendwie: 9€-Ticket würde ich kaufen.
Ja, aber ich kann ja nicht abschätzen, das kann man nicht verlangen abzuschätzen, wie sich das auf meine Mobilitätsverhalten jetzt in den nächsten fünf Jahren auswirken wird. Und deswegen ist es natürlich auch schwierig, bestimmte Maßnahmen durchzusetzen und zu kommunizieren, die vielleicht einen länger angelegten, ja eine länger angelegte Zielsetzung verfolgen und im ersten Moment vielleicht auch nicht attraktiv sind oder nicht verstanden werden etc. Also das kann die eine Richtung sein, weshalb ich schon da auch zustimme. Es ist sicherlich schwierig Politik zu gestalten.
Wobei ich allerdings es auch nicht so wahrnehme, dass die Politik leider immer nur das machen kann, was die Menschen abticken und wir auch ganz viele Untersuchungen haben, wo eigentlich die Erkenntnis ist, dass die Politik den Menschen zu wenig zutraut. Also dass manchmal dort auch bestimmte Veränderungsprozesse gewünscht sind, die aber gar nicht angegangen werden und schon längst angegangen werden könnten.
Und es wird immer gesagt, das wollen die Menschen nicht. Und an vielen Stellen stimmt das glaube ich nicht. Also das ist jetzt sehr allgemein formuliert, das müsste man jetzt tatsächlich mal für ganz konkrete Themen durchdeklinieren, aber dieses Wechselverhältnis ist einfach eine dynamische Beziehung. Und es ist ja auch toll, dass es das ist, dass es eben in diesem Wechselspiel passiert.
Aber es ist, glaube ich, tatsächlich sehr schwer, diese Möglichkeitsräume zu eruieren. Wir versuchen da natürlich auch, das immer aus der Perspektive verschiedener Bevölkerungsgruppen mal zu sehen und zu verstehen, also die Bevölkerung auch wirklich als Ideenentwickler an den Start zu bringen und zwar ganz unterschiedlicher Art. Ich meine jetzt nicht irgendwie, dass urbane, digital-affine Personen die nächsten Trends jetzt mal darlegen und sagen, was sie alles schon irgendwo in Barcelona oder sonst wo gesehen haben, was man jetzt unbedingt auch hier machen muss.
Sondern ich meine wirklich Trends, die sich auch in ganz anderen Bevölkerungsbereichen entwickeln und wie man das zum Beispiel auch nutzbar machen kann, dass zum Beispiel in- was fällt mir dann da gerade noch ein- dass wir, denkt man vielleicht gar nicht, aber das auch in Lebenswelten, wo eher eine prekäre Perspektive herrscht und man denkt, die sind auch sehr vereinzelt etc. dass durchaus ganz spezifische Formen von Vernetzung, auch nachbarschaftliche Vernetzungen vorhanden sind und dass das resiliente Systeme werden oder sein können an verschiedenen Punkten, aber die dann wiederum keine Unterstützung erfahren oder irgendwo gebrochen werden etc..
Aber wie kann man die Art und Weise, wie Menschen ohnehin schon etwas können und tun, vielleicht auch stärken und voranbringen. Und eben auch solche Veränderungsbereitschaften tatsächlich auch mal ernst nehmen. Das sind schon die Möglichkeitsräume und ein bisschen kann man die als Produktentwickler auch mit aktivieren natürlich, aber ich glaube, es lebt von diesem, von dieser gegenseitigen, ja, wie soll man sagen, einer gemeinsamen Beziehung.
Sebastian Jarzebski: Das finde ich total spannend, was du sagst. Glaubst du, also gerade dieses Beispiel, was du jetzt gebracht hast? Glaubst du denn, dass das Sinn ergibt, fruchtbar ist für politische Akteure? Wenn sie jetzt kommunizieren, sozusagen in den Diskurs sich bewegen oder eingreifen oder wie auch immer man es bezeichnen möchte, dass sie auf solche bestehenden Strukturen aufsatteln, die nutzen ja oder damit auch umgehen, so möchte ich es vielleicht sagen, gar nicht jetzt so in so einem negativ strategischen Sinne.
Aber wenn du jetzt sagst, es gibt beispielsweise Netzwerke von prekären Milieus, die ja häufig vielleicht über andere Kanäle nicht erreicht werden können, wenn es um bestimmte Policies geht, diese auch, also sich zu überlegen, wie man diese vielleicht erreichen kann, wie man diese nutzbar machen kann in so einem kommunikativen Sinne.
Oder glaubst du das, aus deiner Erfahrung heraus jetzt, das dann auch schnell als Übergriff oder als Kolonialisierung oder Appropriation von solchen Netzwerken verstanden wird, denn das ist ja häufig. Also das ist zumindest meine Erfahrungswissen oder mein Gefühl fasst eher, das würde ich noch nicht mal wirklich als Wissen bezeichnen, aber dass natürlich sich Räume, auch solche kommunikativen Räume, auch immer schaffen.
Teilöffentlichkeiten, arkane Räume, die sich, die entstehen ja nicht aus Zufall, sondern weil die Leute ja bewusst sich sozusagen nicht in eine Öffentlichkeit bewegen, sondern weil sie auch vielleicht dieses teilprivate oder teilöffentliche, je nachdem aus welcher Perspektive, ja auch suchen, weil sie vielleicht auch den informellen Austausch dann suchen, weil sie den Austausch suchen, der eben nicht öffentlich ist, wo man sich der ganzen Welt aussetzen muss sozusagen.
Oder Kritiken aussetzen muss, die man sich nicht einkaufen möchte. Und da ist für mich immer die Frage, sind diese Räume nicht, also kann man da vordringen kommunikativ? Glaubst du, dass das funktioniert? Glaubst du, dass man da einen Anpacken hat?
Silke Borgstedt: Also die Sensibilität ist da schon ein ganz wichtiger Punkt. Also dass, man darf dann natürlich nicht so gatecrashermäßig, oder partycrashermäßig oder wie hießen die? Weiß ich nicht. Die, die nicht eingeladen sind, aber trotzdem kommen. Da hineingrätschen sicherlich. Ich glaube, es geht eher darum, grundsätzlich zu verstehen, wie es funktioniert oder dass man eben, das es das gibt oder dass bestimmte Dinge natürlich auch dort, aber vielleicht anders ablaufen.
Denn auch da sind wir wieder so ein bisschen bei diesen nicht Vorverurteilungen, aber so: Ach, das ist bestimmt da so und so und vermutlich tauschen die sich da gar nicht, oder jeder ist dann so vereinsamt oder so etwas. Da muss man teilweise genau hinschauen. Und natürlich auch, also daran kann man natürlich auch sehen, wie sind die Bedarfe? Nämlich genau wie du sagst, wenn man das genau möchte, dann ist das ja häufig auch ein Grund, weshalb zum Beispiel bestimmte Personen, damit haben wir uns auch mal beschäftigt, die, die meinen, also dass bestimmte Personen nicht an Bürgerdialogen teilnehmen, weil sie meinen, sie hätten gar nicht den Bildungshintergrund auf diesem Level irgendwo mitzudiskutieren.
Ja, ich gehe da nicht hin, weil da nicht Leute sind, mit denen ich sprechen mag. Ansonsten fände ich es eigentlich total cool und wir sprechen eigentlich über die gleichen Themen, aber nur unter uns. Und solche Sachen. Und das ist, das ist interessant zu wissen ohne jetzt zu sagen: Okay, das ist jetzt die Lösung, wir machen es jetzt so und so. Und ich glaube auch, da muss man sehr, sehr vorsichtig sein.
Aber das Verstehen an sich hilft mir. Also wenn ich verstehe, dass es ein Bereich ist, wo wo man irgendwie miteinander vernetzt ist, aber das gerade schätzt, dass da von außen niemand anders ist, dann ist das ja auch ein Wissensbestand, den ich dann auch so nutzen sollte, nämlich da genau nicht unbedingt rein zu grätschen, sondern vielleicht einen anderen Anschlusspunkt zu finden oder so etwas.
Oder dass ich eben zum Beispiel im Bereich "Bildungsferne", das ist auch so ein schlimmes Wort, "bildungsferne Zielgruppen" gibt es ja auch, oder "politikferne Zielgruppen" ist immer schwierig. Wir wissen, was gemeint ist. Und es geht ja darum, auch Wege zu finden, wie man da vielleicht heran-, hereinkommt. Man eben sagt: Es gibt jetzt hier meinetwegen ein tolles Angebot für Kinder zum Theaterspielen, Musikinstrumente ausprobieren und so weiter.
Die entsprechenden Personen oder überhaupt Personen kommen aber nicht, die wir dort eigentlich vielleicht erhofft haben zu treffen und so weiter. Und da gab es eben auch mal ein Beispiel, dass einfach ein kleines Element genügt hat, nämlich tatsächlich dort einen längeren Tisch zu haben und Kaffee frei auszuschenken und danach den Raum einfach noch eine Stunde da irgendwie offen zu lassen.
Und so weiter, sodass also die Eltern ihre Kinder gebracht haben, weil sie selbst untereinander. Also es hat sich einfach nur verbreitet: Man kann da kostenlos Kaffeetrinken. Weshalb die sich dann da getroffen haben und da auch noch länger sitzen geblieben sind und so weiter und eben Raum geschafft haben. Das war aber eine Motivation, die Kinder sozusagen diesem Angebot näher zu bringen.
Das klingt jetzt auch ein bisschen wie so ein Experiment, aber der Hinweis war: Da gibt es den Kaffee umsonst. Und das war der Grund sozusagen, dass das dann besser funktioniert hat.
Sebastian Jarzebski: Ja, das kennen wir. Also, ich meine, das kennen wir ja alle, wir Eltern. Man bringt Kinder irgendwo hin und muss die Zeit ja auch irgendwie überbrücken. Im Zweifel hat man noch ein Geschwisterkind dabei, irgendwie. Also was, was irgendwo und dafür einen Raum zu haben, der dann, der dann auch noch zum Austausch dient, ist natürlich ja etwas, worauf man nicht jetzt ursprünglich gekommen ist.
Also das Beispiel finde ich total super, weil es glaube ich hilft, diese Vielfältigkeit der Lebenswelten an der Stelle dann zu berücksichtigen. Nicht der Lebenswelten, sondern auch der Needs, die da entstehen. Es geht eben nicht nur darum, das eigene Kind zum Klavierspielen zu bringen oder in dem Fall bei Gitarre oder wie auch immer, sondern es geht darum, dass irgendwie in diesen überkomplexen Familienalltag einzubetten und und der ist halt, der beginnt halt nicht erst um 15:15, wenn der Unterricht startet, sondern der beginnt im Zweifel schon davor.
Ich muss das eigene Kind noch in der Kita abgeholt haben, weil das muss ich ja dann mitnehmen dahin und dann muss ich die Zeit überbrücken und so und deswegen find ich das Beispiel super hilfreich und ich glaube, es zeigt auch noch mal sehr genau, worauf es zu achten gilt, wenn wir kommunizieren oder wenn wir mit mit Menschen um jetzt mal diesem Begriff "Zielgruppen" mal kurz am Ende des Gesprächs vielleicht auch noch mal wegzukippen.
Wenn wir mit Menschen in Kontakt kommen wollen und wenn wir irgendwie als Gesellschaft miteinander in den Austausch treten wollen, dann geht es darum und das habe ich bei all deinen Ausführungen jetzt noch mal total mitgenommen. Dann geht es darum, sensibel zu sein für die Kontexte, in denen sich andere Menschen bewegen. Und dass es nicht nur darum geht, von dem eigenen Denken, Fühlen, Handeln darauf zu schließen, dass das ja schon irgendwie funktioniert.
Und es geht auch nicht nur darum, die Meinung abzufragen, sondern einfach diesen gesammelten Kontext mitzudenken. Und das betrifft eben all diese verschiedenen Maßnahmen, die uns so umtreiben. Wenn wir kommunizieren. Wenn wir für den Zensus kommunizieren. Wenn wir für Blutspende kommunizieren. Wenn wir für LGBTIQI+-Themen kommunizieren. Wenn wir für das Bürgergeld kommunizieren. Über all diese Themen, wenn wir für diese Themen kommunizieren, dann betrifft es immer Menschen in ihrer Lebensrealität, in ihrer Lebenswelt und die anzuerkennen und auch in ihrer Tiefe anzuerkennen.
Und da finde ich deinen Begriff, den ich von dir noch mal irgendwie voll adaptiert habe, nämlich den, der Alltagsästhetik, des ästhetischen Umfelds, in dem die Menschen sich bewegen, das alles ernst zu nehmen und mit mitzudenken, wenn man auf Menschen zutritt. Das ist auf jeden Fall eine Form von Wissen, die für mich sehr, sehr, sehr hilfreich, sehr lehrreich ist, weil es auch immer bedeutet, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und mit ihnen also wirklich in einen echten Dialog zu treten.
Und ja, dafür möchte ich dir ganz, ganz herzlich Danke sagen, weil da ganz, ganz viele super erkenntnisreiche Sachen für mich drin waren in diesem Gespräch. Und ich hoffe, dass wir das noch mal irgendwie fortführen an anderer Stelle. Aber jetzt muss ich leider auf die Uhr gucken und sagen vielen, vielen herzlichen Dank, Silke und auf ganz bald!
Silke Borgstedt: Ja ganz vielen, vielen Dank, Sebastian!
OUTRO: Wer die Gesellschaft verändern will, muss sie erreichen. Aber wie geht das eigentlich? Und was muss sich ändern? In diesem Podcast sprechen wir über Ideen und Themen, die uns inspirieren und die etwas bewegen. Jede Staffel neu, mal mit Gästen im Dialog und mal ganz anders. Das ist sprich!, der Podcast von neues handeln.