Herr Harlan, die Schöpflin Stiftung fördert gemeinnützigen Journalismus. Worauf achten Sie bei der Auswahl der Projekte?
Wir unterstützen Projekte, die der unabhängigen Berichterstattung, der öffentlichen Debatte und dem demokratischen Diskurs zuträglich sind. Das sind Projekte, die eine besondere Innovationskraft haben und im Journalismus eine systemische Veränderung bewirken können. Oder es sind Projekte, die eine Lücke füllen. Amal Berlin, ein Nachrichtenkanal für geflüchtete Menschen in arabischer Sprache oder Farsi, ist so ein Projekt.
Sie sprechen systemische Veränderungen an. Welche Veränderungen würden Sie sich bei den Medien wünschen?
Es gibt die Annahme, und das bestätigen Studien, dass Journalismus für die Demokratie sehr wichtig ist. Es ist mittlerweile bewiesen, dass in Regionen, wo die lokale Berichterstattung wegbricht, die politische Beteiligung und das zivilgesellschaftliche Engagement abnehmen. Korruption nimmt zum Beispiel zu, weil keine unabhängige Kontrollinstanz mehr vorhanden ist. Insofern glauben wir, dass die Unterstützung von Lokalnachrichtenangeboten für das Gemeinwohl sehr zuträglich ist. Zudem erleben wir jetzt durch den Krieg in Europa, dass Desinformation, Fake News und Propaganda zu politischen Schieflagen führen und Demokratien zerstören können. Das zeigt, wie extrem wichtig es ist, unabhängige Medien zu unterstützen, damit Menschen sich ein Bild machen, um sich demokratisch beteiligen zu können. Das wird auch deshalb wichtiger, weil es um die Pressefreiheit in der Welt immer schlechter bestellt ist – wie der aktuelle Report von Reporter ohne Grenzen zeigt. Da ist viel zu tun. Wir in Deutschland sind noch relativ gut aufgestellt, aber in anderen europäischen Ländern oder auch global sehen wir eine sehr kritische Situation.
Sie heben die Bedeutung des unabhängigen Lokaljournalismus hervor. Welche Chancen sehen Sie hier?
Durch das Nachrichtensterben nimmt die Diversität von Angeboten auf der lokalen oder regionalen Ebene ab. Es gibt immer weniger unterschiedliche Lokalnachrichten in den Regionen, Redaktionen werden zusammengelegt, Reporter*innen sind gar nicht mehr vor Ort und es gibt gesellschaftliche Teile, die nicht mehr mit Nachrichten bedient werden. Aber Studien zeigen, dass Leute zu mehr Engagement bereit sind oder sich beteiligen, wenn sie wissen, was vor ihrer Haustür passiert. Und es gibt noch eine wichtige Sache: Wir merken immer mehr, dass die Beteiligung von Leser*innen oder Konsument*innen wichtig ist. Das sind dann communitybasierte Nachrichten, also Angebote, bei denen auch das Publikum mitentscheiden kann, über welche Themen berichtet wird oder wo gemeinsame Recherchen gemacht werden. Ein Beispiel dafür ist der CrowdNewsrooms von Correktiv, dem Förderpartner der Schöpflin Stiftung, wo zu bestimmten Themen – zum Beispiel zu Wohnen, Eigentumsverhältnissen und Immobilien in Deutschland – gearbeitet wurde und die Bevölkerung sich an der Recherche beteiligt hat. Solche Projekte haben Zukunft und bieten übrigens auch funktionierende Geschäftsmodelle, weil die Leute bereit sind, für Lokaljournalismus in ihrer Region zu bezahlen.
Das heißt, an die Stelle von Gewinnorientierung tritt die Finanzierung durch Spenden. Wie kann man da Unabhängigkeit garantieren?
Das ist eine sehr wichtige Frage. Unabhängigkeit ist aus Stiftungsperspektive gewährleistet, weil wir niemals inhaltlich bezogen fördern. Wir sagen also nicht: „Wenn ihr zu diesem oder jenem Thema einen Bericht macht, geben wir euch Geld.“ Wir unterstützen immer die Strukturen der Organisation, egal worüber sie schreiben – im lokalen Bereich, aber auch bei Investigativ-Projekten. Letztendlich könnte eine Redaktion auch über die Schöpflin Stiftung oder einzelne Akteur*innen von uns recherchieren. Das wäre für uns überhaupt kein Problem. Bei der Community-Finanzierung sehe ich das ähnlich. Correctiv zum Beispiel hat eine große Community, die investigativen Journalismus wichtig findet und finanziert, aber keinen Einfluss auf die Inhalte nimmt. Ich würde übrigens nicht sagen, dass nur Spenden an die Stelle der Gewinnorientierung treten, sondern auch, dass sich mehr Angebote in Zukunft über die Zahlungsbereitschaft ihrer Leser*innen tragen müssen.
Die Ampel hat im Koalitionsvertrag festgelegt, dass gemeinnütziger Journalismus anerkannt werden soll. Was heißt das konkret?
Ich glaube, dass Non Profit ein wichtiges Element für die Zukunft des Journalismus ist. Die Gemeinnützigkeit wird neue Angebote und Innovationen hervorbringen, die es sonst nicht geben könnte und die für eine echte Medienvielfalt sorgen werden. Nicht weil alle Medienangebote in Zukunft Non Profit-basiert sein sollen. Viele Angebote werden sich am Markt behaupten können, indem sie neue Geschäftsmodelle entwickeln. Das Besondere am gemeinnützigen Journalismus ist, dass er Lücken schließt, wo der Markt versagt oder Angebote verhindert. So können durch eine gemeinnützige Finanzierung neue lokaljournalistische Angebote entstehen. Auch investigative Projekte zählen dazu, bei denen man sehr lange recherchiert, ohne zu wissen, ob die Geschichte veröffentlicht werden kann. Hier steht das Gemeinwohl an erster Stelle und nicht der Erfolg am Markt. Oder das lokaljournalistische Angebot Amal Berlin für arabisch- und farsisprachige Menschen in Deutschland, wo eine Zielgruppe angesprochen wird, die sich teilweise kein Abo leisten kann. Diese Bereiche können zukünftig durch gemeinnützige Angebote finanziert werden. Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit heißt, dass Stiftungen sich dafür besser engagieren können.
Medienhaus der Zukunft
Die Schöpflin Stiftung errichtet in Berlin ein Haus, in dem Organisationen, Journalist*innen, NGOs und andere Akteur*innen unter einem Dach eine Infrastruktur nutzen und kollaborativ arbeiten können. Die thematische Grundlage von PUBLIX ist unabhängiger und gemeinwohlorientierter Journalismus sowie Zugang zu Information, freie Meinungsäußerung und ein öffentlicher Diskurs, der unserer Demokratie nutzen soll. Die Eröffnung ist für Herbst 2023 geplant.