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„Nie war Kreativität mehr wert als heute“ Henning Beck über KI und den Wert von Ideen

von Tamara Davies

Herr Beck, würden Sie sich selbst als kreativ bezeichnen?

Eigentlich gibt es keine kreativen und unkreativen Menschen, sondern nur mutige und weniger mutige. Ich muss mich trauen, unbequeme Fragen auszusprechen, zu testen und daran zu scheitern. Viele haben Angst, sich lächerlich zu machen oder abgelehnt zu werden.  Ich habe als Kind immer gedacht: Wenn ich dahin gehe, wo alle hingehen, ist die Konkurrenz sehr groß und ich muss sehr viel schneller, besser und härter sein als der Rest, wenn ich Erfolg haben will. Das kann auch in vielen Fällen gelingen. Das Spannendere ist allerdings, wenn ich mich irgendwo anders versuche. Dann ist die Konkurrenz geringer, der Möglichkeitsraum aber viel größer.

Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir kreativ sind?

Zur Ideenfindung braucht es ein Wechselspiel zwischen Arealen im präfrontalen Cortex, die für Konzentration und Aufmerksamkeit zuständig sind, und Arealen im hinteren Bereich, die immer dann aktiv sind, wenn wir abschweifen und gedanklich umherwandern. Deswegen kommen Menschen oft genau dann auf Ideen, wenn sie sich nicht auf die eigentliche Aufgabe fokussieren.

Also keine Kreativität auf Abruf?

Louis Pasteur hat gesagt: Der Zufall trifft den vorbereiteten Geist. Wer sich hinsetzt und wartet, bis ihn die Muße küsst, hat eine schöne Zeit, aber wenig Erfolg. Vielmehr muss ich aktiv eine kussfreundliche Atmosphäre schaffen. Ich muss mich zuerst intensiv mit einem Problem beschäftigen, tief in die Problematik einsteigen und daran verzweifeln – um dann von der Fragestellung zurückzutreten. Und für dieses Zurücktreten brauche ich Freiraum, zum Beispiel in Form von Routinetätigkeiten wie Duschen oder Autofahren.

Eine KI, also Künstliche Intelligenz, braucht anders als Menschen keinen mentalen Freiraum. Kommt sie deshalb vielleicht sogar besser auf kreative Ideen als wir?

Kein einziges System auf der Welt erschafft eine kreative Idee, wie es ein Mensch kann. Die derzeit populärsten Varianten von künstlicher Intelligenz sind statistische Verfahren: Ich stelle eine Anfrage und das System wertet eine riesige Datenmenge aus, um mir die statistisch beste Antwort zu geben. Eine KI befolgt in diesem Moment ein Regelsystem, mit dem sie trainiert wurde. Würden wir Menschen so handeln, dann säßen wir noch heute in irgendeiner Höhle und würden die tollsten Höhlenmalereien der Welt produzieren. Aber niemals wären wir aus der Höhle hinausmarschiert, um die Welt zu sehen. Kreativer Fortschritt entsteht durch Regelbruch – und das macht kein einziges funktionierendes digitales System.

KI kann diesem Verständnis nach also gar nicht wirklich kreativ sein?

Eine gut programmierte KI kreiert mehr Output als Menschen. Denn sie kann auf viel mehr Informationen zugreifen als jeder einzelne Mensch, um Daten zu verknüpfen. Aber ist das nun Kreativität? Steve Jobs hat gesagt: Creativity is just connecting things. Ich sage: Das ist falsch, Kreativität ist nicht das Verknüpfen der Punkte. Sonst würde das Bild bereits feststehen, bevor ich überhaupt beginne, die Punkte zu verknüpfen. Nein, Kreativität ist, zu überlegen, ob ich überhaupt mit Punkten arbeite oder stattdessen mit ganz anderen geometrischen Formen. Ob ich wirklich verbinde oder nicht vielmehr ausschneide, Elemente übereinanderlege und andere Punkte voneinander trenne.

Wie können wir KI für unsere Kreativität nutzen?

Unsere Schwäche als Menschen ist, dass wir immer nur eine begrenzte Zahl an Antworten finden können. Mit einer KI kann ich das gut ausgleichen: Ich kann mit einer Anfrage an die KI erst einmal Output generieren lassen und damit weiterarbeiten. Das wäre eine ideale Symbiose: Einerseits die menschliche Fähigkeit, einen Zweck überhaupt erstmal zu definieren und eine entsprechende Frage zu stellen – und andererseits die Fähigkeit der KI, große Datenmengen intelligent auszuwerten und viel Output zu erzeugen. Der dann wiederum vom Menschen ausgewertet und kritisch eingeordnet wird.

Und wenn der menschliche Part in diesem System fehlen würde?

Wenn kein Mensch den von der KI generierten Output einordnet und kreativ hinterfragt, wird dieser Output immer ähnlicher: Man spricht in der Informatik von einem lokalen Minimum, zu dem sich das System hin optimiert. Also immer mehr Antworten, die aber in die gleiche Richtung gehen. Die KI wird nie hinterfragen oder Regeln brechen. Das kann zu Einfältigkeit führen, denn eine Maschine hat keine Absicht und will uns mit ihrer Schöpfung nichts Bestimmtes sagen.

Was ist menschliche Kreativität in Zeiten von KI also (noch) wert?

Nie war Kreativität mehr wert als heute. Denn was uns am Ende anspricht und stimuliert, ist das Neuartige und Überraschende. Wie kann ich die Leute mit einer krassen Idee abholen? Wie kann ich die Welt verändern, anstatt nur zu optimieren, was es schon gibt? Es wird Menschen brauchen, die diese Fragen proaktiv stellen können – und zwar mit einer persönlichen oder gesellschaftlichen Absicht dahinter. Diese Kunst, zu hinterfragen, ist umso wichtiger, je digitaler unsere Welt wird.

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