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Next Level oder Game Over? Was uns die Gaming-Welt über Krisen­kommunikation lehrt

von David Denne

Wer knapp 670.000 „Daumen runter“ für nur einen einzigen Social-Media-Kommentar sammelt, hat sich offensichtlich nicht beliebt gemacht. So ging es dem Videospiel-Hersteller Electronic Arts (EA). Die Veröffentlichung von „Star Wars Battlefront 2“ löste einen gewaltigen Shitstorm für das Milliardenunternehmen aus. In einer solchen Situation ist Krisenkommunikation gefragt. Gaming-Unternehmen haben relativ häufig mit enttäuschten Erwartungen zu kämpfen. Die Communities sind bestens auf Social Media vernetzt, Fehler werden schnell millionenfach geteilt.

Überzogene Erwartungen erzeugen Krisen

„Erwartungen sind die Wurzel jeden Kummers”, befand schon William Shakespeare. Die Verantwortlichen des Gaming-Entwicklerstudios CD Projekt Red würden dem vermutlich zustimmen. Neun Jahre nach Ankündigung veröffentlichte das polnische Studio Ende 2021 das vielleicht am meist erwartete Videospiel des letzten Jahrzehnts: „Cyberpunk 2077“. Die erfolgreichen Spiele des Studios in der Vergangenheit oder der Promo-Auftritt von Hollywood-Star Keanu Reeves auf der Gaming-Messe E3 taten ihr Übriges dazu. Halten konnte Cyberpunk 2077 die vielen Verprechnungen nicht. Das Spiel war voller Fehler. Die Folge: massiver Imageverlust, eingebrochener Aktienkurs und zahlreiche Klagen von Investor*innen. Ähnlich ging es auch dem amerikanischen Entwicklerstudio Bethesda. Mit „Fallout 76“ sollte der nächste Teil der erfolgreichen Fallout-Reihe erscheinen. Todd Howard, Executive Director bei Bethesda, versprach einen 16-mal so hohen Detailgrad wie noch beim letzten Teil. Dieses und weitere Versprechen konnte das Spiel nicht einlösen, die Reaktionen waren erwartet hart.

Grafik. Graph, dessen x-Achse den Zeitverlauf abbildet, während die y-Achse die Erwartungen abbildet. Anfang erreicht der Graph ein Hoch, wenn die überzogenen Erwartungen ihre Spitze erreichen, dann fällt er ab auf ein Tief. Daraufhin steigt er langsam an bis er ein Plateau erreicht.
Der Hype-Cycle zeigt, wie Menschen mit neuen Produkten und neuen Innovationen umgehen. Zunächst steigen die Erwartungen, bevor sie dann, oft mit der Veröffentlichung, rapide sinken. Erst über einen gewissen Zeitraum stabilisieren sich die Erwartungen.

Bereits vor der Krise gut kommunizieren

Gute Krisenkommunikation startet – paradoxerweise – bereits vor der eigentlichen Krise. Die übertriebenen Versprechungen von CD Projekt Red und Bethesda ließen die Erwartungen ins Unermessliche steigen. Sie zu erfüllen, war fast unmöglich. Das Studio reagierte unter anderem mit einer neuen strategischen Ausrichtung der Kommunikation. „Unsere Kampagnen werden deutlich kürzer“, kündigte CD Projekt Red als Reaktion auf den Krisenfall an. Neben kürzeren Werbekampagnen bedeutete das auch: mehr Transparenz und Ehrlichkeit. CD Projekt Red hat dazu beispielsweise alle Projekte offengelegt, an denen aktuell gearbeitet wird – ein sehr ungewöhnlicher Schritt in der Branche. Zudem will CD Projekt Red nur noch fertige Features zeigen und keine falschen Versprechungen mit unfertigen Features machen wie bei Cyberpunk 2077.

Egal, ob CD Projekt Red, Bethesda oder EA, der Vorwurf lautete stets: Lüge und Betrug. Vorwürfe dieser Art sind auch für gesellschaftspolitische Institutionen verheerend. Denn sie zerstören Vertrauen und schaden der eigenen Legitimation. Gute Krisenkommunikation braucht realistisches Erwartungsmanagement im Vorfeld. Große Versprechungen für einfache Pluspunkte können nach hinten losgehen. Deshalb gilt: Nichts versprechen, was man nicht halten kann. Durch zu wenige oder ungenaue Informationen entstehen außerdem schnell Gerüchte und Halbwahrheiten in der Öffentlichkeit. Hier sollte mit gesicherten Informationen konsequent entgegengesteuert werden. Für das Erwartungsmanagement hilft es zudem, Ziele klar zu kommunizieren, Probleme zu erklären und Hindernisse in den Kontext zu setzen. Das trägt zu mehr Verständnis bei den Zielgruppen bei und es verschafft Zeit für die Umsetzung.

„Ein verspätetes Spiel wird am Ende gut sein, ein überstürztes Spiel ist für immer schlecht.“

wird Shigeru Miyamoto (Super-Mario-Erfinder) zugeschrieben

Entschuldigung als Bestandteil der Krisenkommunikation

Es muss schon richtig schlecht laufen, damit sich Nintendo bei den Fans entschuldigt. Dank der treuen Communities und der in der Regel hohen Qualität von Nintendo-Spielen war das bisher meist auch gar nicht nötig. Aber bei den Pokémon-Spielen „Karmesin“ und „Purpur“ war es anders. Die Spiele erschienen zeitgleich und waren beide so fehlerhaft, dass der japanische Gaming-Gigant sich entschuldigen musste. Das CD Projekt Red setzte beim Cyberpunk-Desaster kurzfristig einen Brief ab, einige Wochen später folgte das Video. Bethesda entschuldigte sich etwa zwei Wochen nach Veröffentlichung von Fallout 76 – auch für die ausbleibende Kommunikation. Die Beispiele zeigen: Wenn etwas schief gelaufen ist, folgt in der Gaming-Welt früher oder später eine Entschuldigung.

Aber was zeichnet eine gute Entschuldigung aus? Die Form kann variieren. Egal ob Social-Media-Beitrag oder persönliche Videobotschaft, wichtig ist, dass die Entschuldigung auf der richtigen Plattform stattfindet. Bei Gaming-Fans sind das vor allem Twitter (bzw. X) und Reddit. Und die Entschuldigung sollte schnell kommen, um die heftigsten Reaktionen abzumildern. Zudem gilt es Verantwortung für die Fehler zu übernehmen und nicht nach Ausreden zu suchen. Eine gute Entschuldigung greift die Perspektive derer auf, die zu Schaden gekommen sind. Und im Optimalfall skizziert sie bereits einen Plan, wie es in Zukunft besser laufen kann. Und ganz wichtig: Eine Entschuldigung muss aufrichtig sein. Der Konzern EA entschuldigte sich beispielweise für Star Wars Battlefront 2. Aber die Entschuldigung zog nicht. Das Unternehmen sorgte im Vorfeld immer wieder für Kontroversen und hat bis heute bei vielen Menschen den Ruf eines gierigen Großkonzerns weg.

Direkte Kommunikation mit konstruktiven Kritiker*innen

Eine völlig andere Strategie verfolgte das britische Entwicklerstudios Hello Games beim Spiel „No Man’s Sky“. Das kleine Studio mit damals nur etwa 15 Mitarbeitenden erfüllte die hohen Erwartungen nicht. Die Folge waren teilweise sogar Mord- und Bombendrohungen. Die Menschen bei Hello Games gingen kommunikativ einen ungewöhnlichen Weg: Sie schwiegen. Die Community wartete vergeblich auf eine Entschuldigung. In nüchtern formulierten Patchnotes veröffentlichte das Unternehmen die Verbesserungen am Spiel. Langsam aber sicher drehte sich dadurch die öffentliche Meinung. Erst zwei Jahre später äußerte sich Hello-Games-Chef Sean Murray in einem Interview und mit einem offenen Brief. Er bereute die fehlende Kommunikation mit der Community. Das Team habe sich damals auf die Entwicklung neuer Updates konzentrieren wollen – nicht auf Kommunikation. Also: liefern statt labern. Das Studio rettete damit die eigene Reputation, dank der vielen Updates gewannen sie 2022 sogar einen Award als bestes, weiterentwickeltes Spiel für No Man’s Sky.

Der Fall von Hello Games macht auch für die Krisenkommunikation gesellschaftspolitischer Akteure eins deutlich: Nerven behalten hilft, Aktionismus eher nicht. In einem Interview sagte Hello Games-Chef Sean Murray, dass hinter dem wütenden Mob immer eine große Zahl gutwilliger Menschen stehe. Mit diesen wolle er kommunizieren, für diese habe man das Spiel schließlich entwickelt. Für die Krisenkommunikation ist es wichtig, die Gutwilligen im Blick zu behalten. Wer es mit einer lauten Minderheit zu tun hat, muss das Aushalten lernen. Die direkte Kommunikation mit den konstruktiven Kritiker*innen hilft zu verstehen, woran es hapert. Kurzfristig ist ein empathischer Umgang mit der Community gefragt. Und langfristig gilt es die richtigen Schlüsse zu ziehen, Lösungen zu finden und das abzuliefern, was die Zielgruppen erwarten.

Damit Institutionen, Organisationen, Unternehmen oder Personen des öffentlichen Lebens in Krisenzeiten handlungsfähig sind, müssen sie Kommunikation ganzheitlich denken. Dazu gehört der Koffer mit dem Krisen-Handwerkszeug genauso wie das vorgeschaltete Erwartungsmanagement. Die gezielte Kommunikation ist im Krisenfall wichtig, aber auch das Aushalten von Kritik. Und an erster Stelle steht: Ruhe bewahren. Wer unüberlegt oder dünnhäutig auf Kritik reagiert, ist in der Folge meist schnell „Game Over“.

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