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6 Dinge, die uns an den Wahlkampagnen 2025 besonders aufgefallen sind

von Alina Dede, David Denne, Nina Wehnert,

In den letzten Wochen waren die Straßenlaternen wieder mit Wahlplakaten geschmückt. In der Presse war der Wahlkampf omnipräsent, im Fernsehen reihte sich eine politische Talkshow an die nächste. Und auf Social Media? Da war es besonders schwierig, politische Inhalte in der Timeline zu umgehen. Aber wie waren die Kampagnen eigentlich? Wie sah die politische Kommunikation aus? Hier sind sechs Dinge, die uns aufgefallen sind.

1. Wahlplakate: Simpel, aber sichtbar

Plakate gehören zum Wahlkampf wie der Topf zum Deckel – doch inhaltlich und gestalterisch verwenden die Parteien ganz unterschiedliche Zutaten. Die FDP setzt auf klare Kante mit großen, alarmigen Headlines in Gelb und Schwarz, wobei FDP-Chef Lindner selbst etwas mehr an die Seite rückt als bisher. Die Aussagen? Provokant, aber deutlich. Die CDU geht auf Nummer sicher und nutzt ein beinahe identisches Design wie zur Europawahl. Friedrich Merz taucht dabei eher selten auf. Die SPD gibt sich staatstragend mit Deutschlandflagge und Porträts von Olaf Scholz, scharf ausgeleuchtet und ernst. Sie sind fast eine Blaupause zu den Portraits von 2021. QR-Codes verlängern die SPD-Kampagne in den digitalen Raum. Die Grünen setzen auf Reduktion mit dunklerem und edlerem Grün, weißer statt gelber Blume und Einwort-Headlines. Insgesamt sind die Plakate reduziert und aufgeräumt mit einem Fokus auf klare Botschaften.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht fährt einen konservativen Stil – mit Wagenknecht selbst als unübersehbarem Aushängeschild. Dunkle Fotos und farbige Headlines vermitteln Seriosität und Selbstsicherheit. Die Textmechanik ist provokant, aber wenig überraschend. Die Linke verzichtet komplett auf Gesichter und setzt auf kräftiges Rot-Weiß und direkte Ansprache. Personen sind nicht zu sehen. Sie setzt sich damit gezielt von der Konkurrenz ab. Die AfD gibt sich massentauglich: Die Plakate sind gemäßigter im Vergleich zu den provokanten und populistischen Aussagen früherer Zeiten. Sie stehen aber fast konträr zu den extremen Aussagen und Haltungen in den Medien. Im Vergleich zu vergangenen Kampagnen wirkt das Design technisch.

Parteiübergreifend zeigen sich einige Trends bei den Wahlplakaten: Im Vergleich zu den Europawahlen 2024 und der Bundestagswahl 2021 sind sie direkter und klarer. Viele Parteien setzen auf weniger inhaltslastige Slogans und greifen dafür auf einfache und einprägsame Botschaften zurück. Das machen sie mit Plakaten, die sich entweder nur auf die Headline oder auf stark reduzierte Porträts der Kandidat*innen fokussieren.

2. Social Media: Wahlkampf digitaler denn je

Auch im Bundestagswahlkampf 2025 ist Social Media ein Spielfeld, auf dem die Parteien ihre Stärken ausspielen wollen. Neu ist, wie sie das tun. Die Linke setzt erfolgreich auf Instagram und TikTok. Ein Beispiel: Heidi Reichinnecks wütender Angriff auf CDU-Kandidat Merz im Bundestag – mit unglaublichen 29 Millionen Streams. Doch nicht nur die Linke nutzt Social Media als Bühne. Alle Parteien sind aktiv, doch mit unterschiedlichem Stil und Erfolg. Die CDU und das BSW setzen zum Beispiel hauptsächlich auf konservative Inszenierungen – stets politisch, seriös und „in Arbeit“, aber weniger locker und ungezwungen. Sahra Wagenknecht selbst nutzt hingegen gezielt die Schnelligkeit von Instagram-Reels und TikTok. Das ist weniger poliert, dafür nahbarer.

@heidireichinnek

Die spontane Rede nach dem Dammbruch.

♬ original sound - Heidi Reichinnek, MdB

Robert Habeck und Olaf Scholz mischen offizielle Auftritte mit ungeskripteten, bürgernahen Momenten – ein Balanceakt zwischen Authentizität und Seriosität. Sie wenden sich direkt an die Wählerinnen und beantworten Fragen aus der Community. Vor allem Habeck nutzt Social Media, um die Userinnen mit Redebeiträgen zu erreichen. Die relativ langen Videos mit direkter Ansprache sind in den letzten Jahren sein Markenzeichen geworden. Auffällig für die Grünen sind die hohen Werbeausgaben auf Social Media, mit denen sie alle anderen Parteien hinter sich lassen. Christian Lindner hingegen greift ab und zu auch mal „selbst“ zur Kamera und filmt sich in Selfie-Manier mit schlechter Auflösung, dafür mit brandaktuellen Themen. Sein Auftritt in alltäglicher Kleidung soll dabei Bürgernähe und Menschlichkeit signalisieren.

Die AfD verfolgt eine offensive Social-Media-Strategie und setzt auf polarisierende Inhalte, die schnell viral gehen. Sie wechselt dabei zwischen ausproduzierten und eher locker inszenierten Videos. Alice Weidel als Spitzenkandidatin dominiert TikTok und erzielt eine extrem hohe Reichweite. Dieser Umstand ist auch Folge eine langfristigen Social-Media-Strategie, mit der die AfD gerade auf TikTok den demokratischen Parteien entlaufen ist. Im Vergleich zu anderen Parteien nutzt die AfD zudem mehr KI für Social-Media-Content. Insgesamt ist der Einfluss von KI-generiertem Material bei Anzeigen und Posts der Parteien vergleichsweise gering geblieben.

Social-Media ist längst essenziell für die Inszenierung. Ob politisch seriös, locker bürgernah oder alles zusammen – die Parteien und Politikerinnen verwenden Social Media auf ihre ganz eigene Art. Um die Parteien haben sich ganze „Ökosysteme“ kleinerer Accounts gebildet, die die Botschaften der Parteien unabhängig von diesen verbreiten. Dadurch gibt es immer wieder Stilbrüche zu den Bundesparteien oder Kandidatinnen. Gleichzeitig führt diese Heterogenität aber zu mehr Content und damit zu mehr Reichweite. Es wird interessant sein, wie sich diese politischen „Social-Media-Ökosysteme“ in Zukunft weiterentwickeln werden.

3. Content: Neue Wege für neue politische Kommunikation

Dass dieser Wahlkampf anders wird, konnte man ahnen, als Robert Habeck im Video zu seiner Kandidatur ein Armband mit der Aufschrift „Kanzler Era“ getragen hat. Das Armband war ein sogenanntes „friendship bracelet“ und damit ein popkulturelles Phänomen. Die Armbänder haben neue popkulturelle Popularität gewonnen, als die Fans der Sängerin Taylor Swift sie gebastelt und auf ihren Konzerten getauscht haben. Popkulturelle Anspielungen im Wahlkampf sind offensichtlicher geworden – aber auch insgesamt haben die Parteien sich neuen Formaten zugewandt. Das beste Beispiel dafür sind die Auftritte in Podcasts oder Gaming-Livestreams. Robert Habeck war zu Gast bei HandofBlood und Staiy, Ricarda Lang traf Twitch-Streamerin Freiraumreh. Hier konnten sie ausführlicher über ihre politische Agenda sprechen – ohne permanent harten Rückfragen ausgesetzt zu sein. Und sie konnten in einen nahbareren Austausch mit der Zielgruppe gehen.

Im Falle Robert Habecks war das konsistent mit der Gesamtstrategie der Kampagne und eine Weitererzählung seiner „Küchentischgespräche“. Habeck war außerdem, genauso wie Olaf Scholz, Christian Lindner und Karl Lauterbach, im „World Wide Wohnzimmer“, einem Comedy-Channel auf YouTube, zu sehen. Dabei ging es um politische Inhalte, aber eben auch darum, die Politiker*innen der jungen Zielgruppe als Persönlichkeiten vorzustellen. Hier zeigt sich auch die „Amerikanisierung“ deutscher Wahlkämpfe. In den USA ist es schon lange die Regel, dass die Kandidat*innen auch Lifestyle- und Comedy-Formate besuchen – wie beispielsweise den Late-Night-Shows. Gerade der letzte US-Wahlkampf hat gezeigt, wie wichtig es ist, bei heterogenen Zielgruppen auch in Nischen-Formate zu gehen. Deutsche Spitzenpolitiker*innen haben sich das offensichtlich abgeschaut.

4. Bildsprache: Zeitgeist bleibt

In den letzten Tagen vor der US-Präsidentschaftswahl hat Donald Trump Pommes in einem Fast-Food-Restaurant geschwenkt. Den dazugehörigen Bildern konnte man in den Tagen danach auf Social Media kaum entkommen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat dieses Bild nachgestellt. Auch Friedrich Merz hat einen McDonalds-Besuch fotografisch festhalten lassen – mit Burger in der Hand zwischen Wahlkampfveranstaltungen. Die Motivation hinter einem solchen Bild ist klar: Friedrich Merz soll als Mann des Volkes inszeniert werden. Durch Bilder und Videos können sich Politiker*innen nach wie vor positionieren. Sie werden abgedruckt, gesendet und gepostet. Und sie bleiben relevant.

Auch die Grünen haben Bilder genutzt, um Robert Habeck zu positionieren. Während der Debatte zum Zustrombegrenzungsgesetz lag die Biographie von Bundeskanzlerin a.D. Angela Merkel auf Habecks Platz. Hingelegt hatte sie sein Staatssekretär Kellner. Das Buch wurde natürlich entdeckt; das Bild wurde natürlich geteilt. Und es sendete die Botschaft: Habeck ist Merkels Nachfolger als Kandidat der politischen Mitte.

Allerdings produzieren nicht alle Parteien die Bilder selbst, die geteilt werden. Mit Blick auf die großen Brandmauer-Demonstrationen ab Ende Januar wird es also spannend, wie sehr zivilgesellschaftliche Akteur*innen mit starken Bildern doch noch einen prozentualen Unterschied in den Wahlergebnissen machen konnten.

5. PR-Stunts: Mehr Guerilla wagen?

SPD und Grüne haben gezeigt, wie man den öffentlichen Raum über Wahlplakate hinaus nutzen kann. Durch PR-Stunts haben sie versucht, Medienaufmerksamkeit zu erzeugen. In München wurde an das Siegestor ein Bild Habecks mit den Worten „Bündniskanzler“ projiziert. In Hamburg passierte ähnliches. In beiden Fällen offensichtlich ohne vorherige Genehmigung. Die SPD hat sich und die QR-Codes auf ihren Wahlplakaten durch eine Drohnenshow inszeniert. Die Sozialdemokraten konnten damit Medienaufmerksamkeit generieren – wie viele Menschen den QR-Code aus Drohnen jedoch gescannt haben, wissen vermutlich nur die Verantwortlichen im Willy-Brandt-Haus. Der öffentliche Raum und plakative PR-Aktionen scheinen in diesem Wahlkampf wichtiger zu werden. Denn sie helfen dabei, virale und berichtenswerte Momente zu schaffen – gleichermaßen für die traditionelle Berichterstattung als auch für Social Media.

6. Stil: Negative Campaigning im Aufwind

Das politische Klima in Deutschland erscheint merklich kühler. Das zeigt sich nicht nur an der aufgebrachten Stimmung im Bundestag zum Zustrombegrenzungsgesetz Ende Januar oder der immer größeren Zahl zerstörter Wahlplakate. Es zeigt sich auch in den Kampagnen der Parteien. Negative Botschaften und verbale Attacken auf die politischen Gegner*innen gab es immer. Doch deren Intensität hat in diesem Jahr zugenommen. Die Attacken aus der Union, vorzugsweise aus Bayern, auf die Grünen haben den Wahlkampf mit geprägt. Nach der Debatte um das Zustrombegrenzungsgesetz und dem Asyl-Plan von Friedrich Merz haben die Grünen und die SPD den Oppositionsführer direkt mit Anzeigen und Plakaten benannt und kritisiert. Der scharfe Ton hat sich auch auf Wahlplakaten und auf Social Media widergefunden.

Laut Medienwissenschaftler Prof. Dr. Christian Schicha setzt die AfD zum Beispiel in ihren Wahlwerbespots stark auf Negative Campaigning und angstmachendes Storytelling. Und die FDP ist kurz nach dem Ampel-Aus und dem damit einhergehenden Start des Wahlkampfs unter anderem durch das „D-Day“-Papier in die offene Auseinandersetzung mit der SPD gegangen. Das ist wenig überraschend – und wahrscheinlich Ergebnis eines stärker politisierten Parteiensystem sowie einem auf Aufmerksamkeit, Skandalisierung und Konflikt getrimmten Mediensystem. Dass Social-Media-Algorithmen ebenfalls Inhalte besser priorisieren, die Wut und Empörung aufrufen, verstärkt diese Effekte.

Was bleibt?

Gute politische Kampagnen müssen das Handwerk beherrschen. Plakate, Anzeigen und Social-Media-Content müssen sitzen und stringent sein. Aber: Eine sehr gute politische Kampagne sollte auch Flexibilität mit sich bringen. Wahlkämpfe sind wild. Sie sind schnelllebig. Da braucht es schnelle Entscheidungen und die Fähigkeit zu Reagieren. Gleichzeitig sind politische Wahlkampagnen auch immer von anderen Faktoren abhängig. Wie ist die wirtschaftliche Lage? Gibt es eine Wechselstimmung? Gibt es überhaupt wechselwillige Wählerinnen oder sind die meisten Menschen Stammwählerinnen? All das beeinflusst die Wirkungsmacht politischer Kampagnen.

Deshalb ist es klar, dass die handwerklich beste Kampagne nicht unbedingt die sein muss, die die meisten Stimmen auf sich vereint. Der diesjährige Bundestagswahlkampf hat einige interessante Kommunikationstrends aufgezeigt. Es ist offensichtlich, dass die Parteien verstärkt andere Wege gehen als noch in vergangenen Jahren. Umso spannender wird es sein, was von diesem Wahlkampf für die politische Kommunikation bleiben wird. Welche Maßnahmen sich bewährt haben und was direkt wieder in die Papierkörbe der Kampagnenstrateg*innen in den Parteizentralen wandert.

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