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Harris vs. Trump: Wie haben Stories die Kampagnen und den Wahlkampf verändert?

von David Denne

Ganz grundsätzlich: Wie wichtig ist ein Narrativ für politische Kampagnen in der heutigen Zeit?

Narrative sind in politischen Kampagnen das zentrale Element. Klar braucht es konkrete spezifische Botschaften und natürlich auch Zahlen, Daten und Fakten. Aber ich glaube, dass eine Kampagne noch nie dadurch gewonnen wurde. Vielleicht mal eine Debatte. Schlussendlich sind es Narrative, die über Sieg und Niederlage entscheiden. Sie sind das, was wir uns merken können. Das, woran wir andocken können. Und vor allem das, was wir weitergeben können. „Make America Great Again“ ist eine in sich geschlossene Erzählung. Es sind vier Worte, die eine komplette Geschichte abbilden. „Yes, we can“ und „Hope and Change“ von Obama sind auch Erzählungen. Hillary Clintons „I’m with her“ in 2016 war keine und insofern hat sie einfach nicht funktioniert.

Donald Trump tritt seit 2016 nun zum dritten Mal hintereinander an. Welche Geschichten hatte er dieses Mal zu erzählen? Welche Unterschiede gab es im Vergleich zu den letzten Wahlen?

Ich glaube, dass Trump gleich geblieben ist. Das klingt jetzt sehr krude und auch auf eine bestimmte Art und Weise zynisch. Aber in der politischen Kommunikation passen wir uns und unsere Botschaften immer an die Realität da draußen an: Wo steht der öffentliche Diskurs? Trump macht es andersrum. Er versucht, zu definieren, wie Leute auf das Land, auf die politische Situation schauen. Er gibt die Linse vor, durch die Leute auf die Welt schauen. Und er zwingt sie, sich diesbezüglich zu positionieren.

Was genau meinst du damit?

Trump erzählt eine Geschichte: Er sagt, dass unter ihm alles großartig war. Dass es im Endeffekt nur Frieden in der Welt gab. Putin und Xi haben die Füße stillgehalten und mit Nordkorea haben wir uns Liebesbriefe geschrieben. Dass im Nahen Osten Frieden war und er die amerikanische Botschaft nach Jerusalem geholt hat. Frieden und Stabilität. Dann kam Joe Biden und Amerika ist in Flammen aufgegangen. Und jetzt braucht es wieder einen starken, autoritären Mann und möglicherweise sogar einen Diktator für einen Tag, wie er es selbst gesagt hat. Einer, der die Migration in den Griff bekommt, der Stabilität in die Welt bringt und der dafür sorgt, dass die Wirtschaft wieder wächst. Und das ist eine Erzählung, die zumindest für die Hälfte im Land mehr als plausibel klingt und durchaus auf Anklang trifft. Seine Erzählung ist auf ihn selbst zugeschnitten.

Eine Erzählung, ein Narrativ ist also sehr zentral für die Positionierung von Kandidat*innen und einer Kampagne?

Ja, ich glaube, dass sie zentral ist. Kommunikation und Storytelling findet ja nie im luftleeren Raum statt. Alle Geschichten, egal ob Märchen, Fabeln oder in Hollywood, haben immer Protagonist*innen. Und dann macht es Sinn, dass Trump selbst der Protagonist seiner Erzählung ist. Kamala Harris macht das genauso. Sie sagt auch, dass sie die Protagonistin ist. Sie ist die ehemalige Staatsanwältin, die gegen einen politischen Kontrahenten antritt, der verurteilt ist und gegen den zahlreiche Anklagepunkte laufen. Sie ist die Staatsanwältin, die für Recht und Ordnung sorgt.

„Kommunikation und Storytelling finden nie im luftleeren Raum statt.“

Das Beispiel aus dem letzten Bundestagswahlkampf war wie folgt: Olaf Scholz war 2021 der solide Bürokrat, möglicherweise etwas langweilig, aber grundsolide im Kontrast zu Annalena Baerbock. Die ist vielleicht eher als Rebellin rübergekommen und stand für Aufbruch. Und im Kontrast zu Armin Laschet, der durch sein Lachen im Ahrtal irgendwie unseriös wirkte. In einer Kampagne müssen wir immer überlegen, wie ich die Protagonistin bzw. den Protagonisten positionieren muss, um die Geschichte im Kontext zum gesellschaftspolitischen Status quo und natürlich auch zum politischen Kontrahenten zu erzählen.

Auf der anderen Seite steht Kamala Harris. Welche Narrative bespielt ihre Kampagne? Was war gut, was funktionierte nicht so gut?

Ich finde es bei Kamala Harris interessant, welche Evolution die Kampagne in dieser kurzen Zeit durchgemacht hat. Als sie angetreten ist, war sie bei 37 bis 38 Prozent Zuspruch. Jetzt ist sie bei 50 Prozent plus. Dass ein Kandidat oder eine Kandidatin so schnell einen Stimmungswechsel hingelegt hat, ist selten. Und wenn, dann nur ins Negative.

Welche Erklärung hast du dafür?

Die Kampagne war in den ersten Wochen charakterisiert von „Joy“, also Freude, und Aufbruch. Und ich würde auch sagen, dass sie eine Projektionsfläche für die sogenannten „Double Hater“ war. Also diejenigen, die einfach jemand anderes als Trump und Biden wollten. Insofern hat die Kampagne die ersten zwei bis drei Monate fast ausschließlich positiv kommuniziert. Kamala Harris als Teil der Mittelschicht, die bei McDonalds gearbeitet hat. Die für die Mittelschicht kämpft. Und auch da ist dann der Kontrastpunkt zu Trump, der für Millionäre und Milliardäre kämpft. Die Kampagne von Harris fragt: Wer kämpft eigentlich für euch? Und darauf ist die Antwort: Kamala Harris. Denn die meisten sind eben Teil der Mittelschicht oder wollen es sein.

Ist das dann auch die große Erzählung ihrer Kampagne?

Bei Trump ist es die Frage, wer Amerika in diesen harten Zeiten wieder großartig und erfolgreich machen kann – „Make America Great Again“. Bei Kamala Harris ist es, wer dafür kämpft und sicherstellt, dass Menschen weiterhin in Freiheit leben können. Freedom bzw. Freiheit ist hier das Hauptschlagwort. Das bedeutet, es geht darum, das Problem zu verkaufen. Nicht die Lösung. Kamala Harris sagt, dass Donald Trump den Frauen ihre Rechte streitig macht oder sogar wegnimmt. Ihre Geschichte ist: „Ich bin Kamala Harris und sorge dafür, dass Roe v. Wade (Anm. d. Red.: Die Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsrecht, die 2022 durch den Supreme Court gekippt wurde) wieder installiert wird und du die Möglichkeit hast, abzutreiben. Dann bist du frei. Und wenn du frei bist, ist Amerika vollkommen und großartig“.

„Freiheit ist das Hauptnarrativ von Kamala Harris' Kampagne.“

Und dann geht sie zum zweiten Punkt: „Donald Trump kämpft ausschließlich für Millionäre und Milliardäre. Ich kämpfe für die Mittelschicht. Wenn du mehr Geld im Geldbeutel hast, weil ich eine bessere Wirtschaftspolitik für die Mittelschicht mache, dann kannst du deine Familie versorgen“. Also ist es im Endeffekt dieselbe Erzählung. Nur steht einmal „MAGA“ – „Make America Great Again“ – drüber, einmal „Freedom“. Die Herangehensweise aus Perspektive der Botschaften ist aber die gleiche.

Und was macht Kamala Harris anders bzw. besser als Joe Biden?

Das Hauptproblem von Joe Biden war, dass er nicht mehr kohärent kommunizieren konnte. Wenn er 45 Minuten auf einer Bühne stand, hattest du am Ende keinen kurzen Clip, den du online posten konntest, ohne vorher lange editieren zu müssen. Obwohl da ein Telepromoter stand und obwohl es eingeübt war. Ich stand etwa 15 Meter vor Kamala, als sie ihre Rede auf der DNC in Chicago gehalten hat. Die Rede war komplett fehlerfrei. Sie hat Stärke und Souveränität an den Tag gelegt, sodass sie sich jeder auch im Oval Office oder auf dem G7-Gipfel vorstellen konnte. Ich glaube, dass das viele bei Joe Biden nicht mehr für möglich gehalten haben. Dass er die Kapazitäten hatte, diesen Job weiter auszuführen. Und wenn das in Frage gestellt wird, sind eine Kandidatur und die Kommunikation dazu hinfällig.

Bei der DNC ist ein ikonisches Bild von Kamala Harris entstanden. Es zeigt ihre junge Nichte, die während der Rede zu ihr hinaufschaut. Bei Trump war es die gestreckte Faust nach dem Attentatsversuch. Wie wichtig sind Bilder, um ein Narrativ zu setzen?

In der politischen Kommunikation nennen wir es „polioptics“. Bilder definieren nach wie vor, wie wir Dinge einordnen. Wenn es kein Bild gibt, dann ist es auch nicht passiert. Da kommen wir wieder zu Laschets Lachen im Ahrtal. Das war das Bild, was ihn am Ende de facto versenkt hat.

Barack Obama hat sich damals für den Parteitag in Denver das Weiße Haus quasi auf der Bühne nachbauen lassen. Einfach damit die Menschen sich ihn im Oval Office vorstellen konnten. Das gilt natürlich auch für Kamala Harris. Bilder definieren im Prinzip alles. Auch wenn es keinen riesigen Sprung in den Umfragen gab, glaube ich zum Beispiel, dass dieses Bild von Trump beim versuchten Attentat ein zentrales Bild der Stärke ist. Ein ähnliches Bild der Stärke, wie es Kamala Harris beim Parteitag gemacht hat.

Dein ehemaliger Chef Barack Obama hat auf der DNC gesagt „America is ready for a better story“. Er ist einer der besten politischen Storyteller der jungen Vergangenheit. Hat Kamala Harris von ihm gelernt? Erkennst du etwas wieder, was ihr damals auch gemacht habt?

Ich fand die Diktion, die Betonungen, von Kamala bei der TV-Debatte schon sehr Obama-esque. Als sie sich zum Beispiel in die Kamera dreht und den Leuten empfiehlt, auf eine Trump-Veranstaltung zu gehen. Klar hört man den Unterschied bei einer weiblichen und männlichen Stimme, wenn man die Augen zumacht. Aber die Diktion und Modulation der Stimme erinnert mich sehr an Obama. Auch bei ihren Reden. Sie macht es ähnlich. Erst das Build-Up, dann die Punchline. Ähnlich wie bei Stand-Up-Comedians, die auch erst auf einen bestimmten Punkt hin erzählen und dann die Pointe bringen. So werden Geschichten in Amerika oft erzählt. Mein Eindruck ist, dass wir hier eine andere Erzählkultur haben. Wir bringen die Fakten und denken weniger in einer Dramaturgie. Ich glaube also, dass sich Kamala Harris einiges bei Barack Obama abgeschaut hat.

Und hat sich Trump vielleicht auch was abgeschaut?

Ja, Trump auch – obwohl seine Veranstaltungen mittlerweile auch echt wirr sind. An vielen Punkten nutzt er Humor-Elemente. Sowohl er als auch Kamala Harris kreieren Bilder im Kopf. Er vielleicht sogar noch stärker als sie. „Show, don’t tell“, ist das Motto. Er nutzt zum Beispiel den „migrant caravan“, also den Zug von Migranten an der Grenze zu Mexiko oder die „insane asylums“, aus denen sie angeblich ausgebrochen sind. Demgegenüber ist es bei Harris die Mittelklasse und dass sie bei McDonalds gearbeitet hat. Da entstehen Bilder in unseren Köpfen. Das ist ein zentrales Element, das im Wahlkampf auf der Tonspur transportiert werden soll. Da, wo wir kein Bild, TV oder keine Powerpoint-Präsentation zur Unterstützung haben.

Sollten wir vielleicht auch öfter die Fantasie anregen und das Ende offen lassen, weil die Leute es auch so verstehen?

Ja. Metaphern brauchen etwas mehr Zeit, wenn man sich Gedanken machen muss. Bei Metaphern und Bildern gilt es, sich Gedanken zur Botschaft zu machen und dann eben auch die Frage zu stellen: „Wie kann ich das illustrieren, damit schnell der Groschen fällt?“ Dafür wird in Amerika noch viel mehr Zeit investiert als in Deutschland. Bei uns wird erst versucht, die Fakten klarzuziehen. Das setzt voraus, dass alle die Fakten kennen. Aber wir machen uns keine Gedanken darüber, welche Dramaturgie sich entfalten soll und wie der eigene Punkt eigentlich rübergebracht werden soll. Das passiert dann im Nachhinein, wenn alle Zahlen runtergerattert wurden und niemand mehr zuhören kann.

Gerade die Wahlkämpfe in den USA sind immer sehr negativ. Welche Narrative haben die beiden Seiten versucht, zur jeweils anderen Seite zu platzieren?

Bei Kamala Harris war es so, dass sie erst einmal ihre Zustimmungswerte nach oben bekommen musste. Dann kam irgendwann der Punkt, dass sie stärker gegen Trump vorgehen und ihn definieren wollten. Denn: Die Zahlen bewegten sich nicht. Da ist natürlich die Frage, was man an Trump noch rumdefinieren will – den kennt ja jeder. Aber natürlich gibt es noch unentschlossene Wähler*innen in den Swing States, die am Ende den Unterschied machen können.

„Die Mischung aus positivem und negativem Storytelling macht den Unterschied.“

Das Negative und das Positive müssen richtig abgemischt werden. Mein Eindruck ist, dass wir uns oftmals auf das Positive und Schöne fokussieren. Aber wir müssen eben auch aus dem Negativen Schwung holen. Das geht so aus der Kommunikationspsychologie hervor. Wenn ich mir ein Ziel setze, dann reicht es oft nicht, zu sagen, dass es ein tolles und wunderschönes Ziel ist. Es braucht auch Schmerz, um sich auf den Weg zu machen. Den Druck, um dem Status quo zu entkommen, muss es geben. Sonst haben wir keinen Grund, uns auf die Reise zu machen. Und dieser Druck muss kommunikativ erstmal entfacht werden.

Natürlich können auch andere Leute Narrative pushen. Welche Narrative kamen vielleicht von außerhalb der Kampagnen?

Natürlich versuchst du mit einer Kampagne, die Geschichten selbst zu setzen. Aber du kannst nicht alles steuern und oft kommt eben etwas aus den Medien. Als Beispiel der Vorwurf an Kamala Harris, dass sie keine Interviews gibt und Trump beim Thema aufspringt. Dann hast du eine Story, auf die du reagieren musst. Oder ein anderes Beispiel ist der Hurricane in Florida im Oktober. Da kannst du die Geschichte natürlich nicht vorgeben, sondern musst reagieren. Und das ist auch richtig, weil im Weißen Haus oder im Bundeskanzleramt ein großer Teil des Jobs das Reagieren auf externe Ereignisse ist. Eine Kampagne ist insofern immer ein Test, um zu schauen: „Wie reagieren die Menschen da draußen jetzt?“ Wähler*innen können dann bewerten, ob sie es einer Kandidatin oder einem Kandidaten zutrauen, das Amt auszufüllen. Auf die äußeren Umstände schnell reagieren zu können und sie zur eigenen Stärke zu machen – das ist ein zentral für Kampagnen.

Gab es in diesem Wahlkampf bestimmte Kommunikationstrends, die Harris und Trump genutzt haben, um ihre Narrative und Stories zu setzen?

Auffällig war, dass beide dahin gegangen sind, wo die Communities sind. Bei Trump waren das Podcasts oder Streams, die vor allem auf junge Männer abzielen – zum Beispiel mit dem Streamer Adin Ross oder dem Influencer Logan Paul. Kamala Harris war im Podcast „Call her Daddy“ oder hat das Autocomplete Interview von Wired auf Youtube gemacht. Also alles keine politischen Formate. Aber eben welche, die stark auf die Jugend zielen und in denen sie sich in lockeren Gesprächen präsentieren konnten. Kamala Harris war dann zum Beispiel in einem langen Interview bei Howard Stern. Sie haben außerdem Influencer auf den Parteitag geholt und damit den Parteitag aus einer anderen Perspektive auf Social Media verlängert – außerhalb ihrer eigenen Reichweite. Bei Kamala Harris ist hier auch die allgemeine Herangehensweise auf Social Media zu nennen. Sie hat es geschafft, auf virale Trends wie den „Brat Summer“ aufzuspringen und sie für die eigene Positionierung eingesetzt. Dieses schnelle Reagieren, schnell ein TikTok-Video bringen zu können und das Momentum dann zu nutzen – das bleibt hängen.

Gibt es aus deiner Sicht etwas, was wir in Deutschland lernen können?

Gute Geschichten gut inszenieren – das können wir von beiden lernen. Aber auch dahin gehen, wo die Community ist. Wir sollten die Blase verlassen und nicht nur denken: 7 Uhr ist Deutschlandfunk, 8 Uhr MoMa, ein FAZ-Beitrag, abends die Talkshow und dazwischen die dpa-Meldung. Wir sollten besser streuen, auch ins Lokalfernsehen oder Lokalradio gehen. Und vor allem eben auch in die Nischen gehen, zu Influencer*innen oder in Podcasts. Da sind dann auch Leute unterwegs, die nicht immer so hart nachfragen, sondern die eher auf ihre Themen fokussiert sind. Die Erwartung ist dann nicht, dass man selbst eine absolut hohe Expertise im Gaming oder bei anderen Themen hat. Aber es gibt die Möglichkeit, über die eigenen Themen zu sprechen. Und man bekommt die Zeit, die eigene Position auch mal zu erklären. Also mehr in die Breite und nicht auf Reichweite zu gehen – dafür dann aber deutlich mehr in die unterschiedlichen Communities hinein.

Über Julius van de Laar

Julius van de Laar ist Kampagnen- und Strategieberater mit. Im US-Wahlkampf leitete er als Regional GOTV Director den Bereich Wählermobilisierung für Barack Obama im damaligen Swing State Ohio. Zuvor hatte er auch schon 2007 und 2008 Obama als hauptamtlicher Wahlkämpfer unterstützt. Heute berät er unter anderem zu strategischer Kommunikation und Storytelling und analysiert politische Geschehnisse als Podcaster für Medien wie ARD und ZDF, Welt, Spiegel, FAZ oder Deutschlandfunk.

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