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Journalistin Judyta Smykowski im Gespräch: „Behinderte Menschen sollen sichtbar werden"

von Laura Theuer

Frau Smykowski, viele Menschen sind unsicher, wenn sie über Behinderung sprechen. Was ist ein guter Umgang mit dem Begriff?

Die Unsicherheit gibt es, weil wir das Wort „behindert“ noch zu oft als Schimpfwort hören. Auch viele Menschen mit Behinderung sagen, dass sie so nicht bezeichnet werden möchten. Das ist verständlich. Wir als Leidmedien finden den Begriff dennoch wichtig, da er hilft, gewisse Nachteile zu offenbaren. Liegt eine anerkannte Schwerbehinderung vor, stehen der Person Rechte zu. Natürlich gelingt es nicht, Diskriminierung und Nachteile vollständig aufzuheben. Es ist aber ein Versuch. Sprachlich gesehen ist dabei sehr wichtig zu unterscheiden: behindert sein und behindert werden. Denn Behinderung ist nicht nur eine Diagnose, mit ihr gehen eben auch Diskriminierung und Ausgrenzung wie bauliche Barrieren oder fehlende Untertitel einher.

Sie setzen sich für „Disability Mainstreaming“ ein. Was bedeutet das?

Unser Hauptziel dabei ist, dass behinderte Menschen in der Gesellschaft sichtbar werden – und zwar mit all ihren Eigenschaften.

Wie meinen Sie das?

Behinderte Menschen können nicht nur zu ihrer Behinderung, sondern auch zu anderen Themen sprechen und befragt werden. Sie sind Menschen mit vielen Eigenschaften und Fähigkeiten. Aber wenn es nicht gerade um Themen wie Inklusion oder Soziales geht, kommen behinderte Menschen in der öffentlichen Wahrnehmung zu wenig vor. Ich bin zum Beispiel Journalistin, Frau, ich habe bestimmte Hobbys und verschiedene Eigenschaften. Behinderung ist nur eine davon. Ich bin Bürgerin dieses Landes und sollte auch als solche auftauchen. Ein weiteres Beispiel: Ich kann eine behinderte Künstlerin porträtieren und nur über ihre Kunst sprechen. Man sollte sich in solchen Fällen immer fragen: Spielt die Behinderung überhaupt eine Rolle?

Wie weit sind wir da in Deutschland?

Es gibt noch viel zu tun. Hierzulande haben etwa zehn Prozent der Menschen eine Behinderung. Wer sich im eigenen Umfeld umschaut, findet diese Menschen häufig nicht. Das liegt an den sehr exklusiven Systemen hierzulande. Gerade wenn man von Geburt an behindert ist, ist ein Weg abseits häufig schon vorgezeichnet – zum Beispiel, was das Arbeiten und Wohnen angeht. Mit Kommunikation können wir mehr Sichtbarkeit, mehr Bewusstsein schaffen. Wir müssen behinderte Menschen miteinschließen, indem wir sie explizit nennen und zeigen – und Angebote für sie schaffen.

Was bedeutet das für die Kommunikation von öffentlichen Institutionen?

Ein weiterer Aspekt von Disability Mainstreaming ist, dass mediale Angebote und Informationen von Anfang an barrierefrei und inklusiv gestaltet werden. Für Institutionen gibt es verschiedene Möglichkeiten: von Alternativtexten und Untertiteln in den sozialen Medien bis hin zu rollstuhlgerechten Veranstaltungsorten und Übersetzungen in Gebärdensprache. All das sollte aber nicht nur Formate betreffen, bei denen es um Behinderung geht, sondern allgemein gelten.

Und bei der Sprache?

Hier ist mir wichtig, neben Sprache auch Bildsprache zu berücksichtigen. So sollte man nicht nur weiße, nicht-behinderte Menschen zeigen, sondern auch dann vielfältig bebildern, wenn Vielfalt nicht explizit Thema ist. Dazu gehört, nicht immer das Motiv des Rollstuhlfahrers zu zeigen. Das ist zwar ein trainiertes Bild und die Algorithmen der Bilddatenbanken schlagen es oft vor, doch es ist wichtig, auch andere Behinderungen darzustellen. Bei der Sprache sollten Floskeln und Klischees vermieden werden.

Inwiefern?

Ob ich sage „an einer Behinderung leiden“ oder „mit einer Behinderung leben“, macht einen großen Unterschied. Hat die Person etwa keine Lebensfreude? Das ist häufig eine Annahme. Ein anderes Beispiel ist die Floskel „an den Rollstuhl gefesselt“. Die Menschen, um die es geht, sagen häufig eher, dass sie den Rollstuhl benutzen oder ihn brauchen. Sie fühlen sich nicht gefesselt. Es mag aber trotzdem Menschen geben, die das nach einem Unfall so empfinden. Das zeigt, wie wichtig es ist, mit den Betroffenen ins Gespräch zu gehen. Als Kommunikateur*innen ist das unser Job. Nur wenn wir die Perspektiven von behinderten Menschen einbinden, können wir solche Narrative aufbrechen. Auch klischeehafte Redewendungen wie „blinde Flecken“ sind problematisch, weil Behinderung nur im negativen Kontext vorkommt. Es ist wichtig, sich mit der eigenen Sprache auseinanderzusetzen und sich als nicht-behinderter Mensch auch selbst zu informieren, damit wir alle eine Sprache entwickeln, die mehr Menschen anspricht.

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