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Gendern – für alle gerecht?
Der Versuch, Sprache möglichst inklusiv zu gestalten

von Levi Kersting

Viele Menschen sind mit dem generischen Maskulinum aufgewachsen. Wenn wir über eine Gruppe an Menschen sprechen, benutzen wir die männliche Bezeichnung und männliche Pronomen. Das Geschlecht gilt nur rein grammatisch (Genus) und hat nichts mit dem biologischen Geschlecht (Sexus) zutun. Demgegenüber steht die gendersensible, also die geschlechtersensible Sprache. Im Kern geht es beim Gendern darum, alle Geschlechtsidentitäten (Gender) gleichermaßen anzusprechen. So viel zur Theorie. Hierbei stoßen wir jedoch schnell auf Grenzen: Wie lesbar ist eine geschlechtergerechte Sprache? Wie steht es um die Verständlichkeit? Und wenn Genus und Sexus beim generischen Maskulinum getrennt sind, warum wird das Thema Gendersensibilität dann so heiß diskutiert?

Das generische Maskulinum – eine genderneutrale Sprache?

Zum Einstieg ein Rätsel:

Vater und Sohn erleiden einen Autounfall. Der Vater stirbt noch am Unfallort. Als der Sohn in die Notaufnahme und zum diensthabenden Chirurgen gebracht wird, erschrickt dieser und verkündet: „Ich kann nicht operieren – das ist mein Sohn!“ Wie kann das sein? In einer Studie aus dem Jahr 2004 kam nur ein Drittel der befragten Studierenden auf die Lösung: Der Chirurg ist nicht etwa der zweite Vater, sondern die Mutter des Patienten, also eine Chirurgin, die unter der Bezeichnung „Chirurg“ mitgemeint ist. Bereits hier wird das Problem mit dem „Mitmeinen“ deutlich: das generische Maskulinum ruft bei vielen Menschen eben kein geschlechtsneutrales Bild hervor, sondern begünstigt die männliche Lesart.

Der Diskurs um geschlechtergerechte Sprache ist durchaus nicht neu: er lässt sich bis ins Mittelalter verfolgen. Auf dem Weg dahin zeigt sich, dass die bloße Nennung der männlichen Form in der Aufklärung aufkam und mit ihr auch ein hierarchisches Geschlechterverhältnis. Bis in die Barockzeit (17. bis 18. Jahrhundert) war es hingegen selbstverständlich, die männliche und die weibliche Form zu nennen. Rechtshistorisch lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen, dass mit männlichen Personenbezeichnungen Männer adressiert und erfasst wurden und es für Frauen eigene Bezeichnungen gab, wie Fürstin, Gesellin oder Doctrin (Doktorin) [1]. Erst ab der Neuzeit verschwammen diese Grenzen allmählich und es wurden rein männliche Berufs- und Statusbezeichnungen verwendet. Allerdings mit einer anderen Begründung als der des „Mitmeinens“ (welche bei genauerer Betrachtung etwas radikaler, aber vielleicht gar nicht so unterschiedlich ist): Frauen galten als nachrangig und bedeutungslos [2].

Das generische Maskulinum, wie wir es heute kennen, hatte seine Geburtsstunde erst 1962 in der Geschichte der deutschen Grammatik. Damals wurden männlichen Personenbezeichnungen erstmalig eine geschlechtsneutrale Grundbedeutung zugesprochen. 1995 fand der Terminus Einzug in den Duden, drei Jahre später dann mit dem Zusatz, dass die Verwendung für Berufsbezeichnungen und Personen zunehmend abgelehnt werde. Auch in den damaligen Handbüchern der Rechtsförmlichkeit wird der Begriff diskutiert, da die Häufigkeit an männlichen Personenbezeichnungen den Eindruck erwecke, dass Frauen übersehen werden. Auf sprachwissenschaftlicher Ebene ist der Terminus allerdings gar nicht richtig: eine generische Bezeichnung ist nämlich nur dann generisch, wenn es keinen komplementären Ausdruck gibt. Das Individuum, der Mensch oder die Person sind solche generischen Begriffe. Hierbei sind Genus und Sexus tatsächlich getrennt. Bei Personen- oder Berufsbezeichnungen liegen hingegen komplementäre Formen vor, da es sie in männlicher und in weiblicher Ausführung gibt.

Sprachliche Ausgrenzung

Zahlreiche sprach- und sozialwissenschaftliche Studien belegen, dass die Verwendung des (gar nicht so-) generischen Maskulinums Frauen benachteiligt [3]. Nicht nur Frauen, auch queere Menschen wie nicht-binäre, trans* oder intergeschlechtliche Personen werden nicht repräsentiert.

Zum Verständnis: Nicht-binäre Personen verorten ihre Gender-Identität außerhalb des binären, also männlich-weiblichen Geschlechtersystems. Ihre Geschlechtsidentität kann nicht ganz oder weder weiblich noch männlich sein. Sie kann auch zwischen den binären Geschlechtern wechseln. Viele verorten sich im trans*-Spektrum, also im Spektrum der Menschen, die sich nicht mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren können. Intergeschlechtliche Menschen werden mit geschlechtlichen Merkmalen geboren, die sich nicht eindeutig den binären Geschlechterkategorien zuordnen lassen. Weiterführende Informationen finden sich im LSBTQI-Lexikon der Bundeszentrale für poltische Bildung.

Nur „mitgemeinte“ Menschen werden nicht nur benachteiligt, sondern können dadurch zusätzlich erheblich psychisch belastet werden. Die Nicht-Nennung von Menschen führt dazu, dass sie nicht nur sprachlich, sondern eben auch gedanklich nicht aufgeführt werden (an dieser Stelle möchte ich an das Chirurgen-Rätsel erinnern). Auf lange Sicht führt das nicht nur zu einer Fehladressierung, sondern auch zu einer Unsichtbarmachung der betroffenen Personengruppen, wie in einem rechtswissenschaftlichen Gutachten zu geschlechtergerechter Amtssprache 2021 festgestellt wurde.
Übrigens: Aus diesem Grund ist seit fünf Jahren verfassungsrechtlich festgeschrieben, dass das Personenstandsrecht einen weiteren Geschlechtseintrag als nur „männlich“ oder „weiblich“ zulassen muss. Die allgemeinen Persönlichkeitsrechte schützen nämlich auch diejenigen Menschen, die sich weder als männlich noch weiblich identifizieren.

Kurz: Sprachlich nicht genannte Menschen werden erwiesenermaßen ausgegrenzt. Wenn das für das Personenstandsrecht deutlich geworden ist, warum dann nicht für unsere Amts- und Alltagssprache?

Sprachliche Inklusion von Menschen abseits der männlichen oder weiblichen Geschlechtsidentität – aka Gendern

Um die sprachliche Ausgrenzung nicht nur von Frauen, sondern auch von nicht-binären oder intergeschlechtlichen Menschen zu umgehen (und damit auch den Persönlichkeitsrechten gerecht zu werden), werden heute zahlreiche Versuche unternommen, die deutsche Sprache inklusiver zu gestalten. Das kann ganz einfach durch die Verwendung neutraler Personenbezeichnungen erfolgen. Die genderneutrale Sprache ist zunächst nicht an ein Geschlecht gebunden und hebt die Funktion einer Person hervor. Ein paar Beispiele: Studierende, Besuchende oder sozialberuflich Tätige.

Eine weitere Option ist die Verwendung von Sonderzeichen wie etwa der Genderstern, der streng genommen gar kein Stern, sondern ein Asterisk ist. Der Asterisk steht dabei stellvertretend für nicht-binäre Geschlechtsidentitäten. In der Aussprache dient dafür die kleine Pause, der sogenannte Glottisschlag. Dieser kommt auch in Wörtern wie „Spiegelei“ oder „Wohnort“ zur Sprache. In einer repräsentativen Befragung von nicht-binären Menschen gab die Mehrheit an, sich von neutralen Bezeichnungen oder Varianten mit Genderstern bzw. Glottisschlag am ehesten mit einbezogen zu fühlen. Auch die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik (BFIT) spricht sich für die Nutzung des Asterisks aus und stützt sich dabei auf eine Befragung von Menschen mit Behinderungen. Die Vorteile der gendersensiblen Sprache sieht er demnach in der gesellschaftlichen Sensibilisierung und der Achtung der Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie der Anerkennung von Diversität.

Neben dem Stern werden einige weitere orthographische- oder Sonderzeichen für die geschlechtersensible Sprache verwendet, wie der Unterstrich oder Gendern mit Doppelpunkt. Hiergegen hat sich allerdings der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) ausgesprochen. Der Grund: Screenreader und Vorleseprogramme unterdrücken den Doppelpunkt als längere Pause. Hierdurch kann der Eindruck entstehen, dass der Satz zu Ende sei und der Lesefluss wird gestört. Der DBSV empfiehlt deshalb bei der Verwendung von Sonderzeichen auf den Asterisken zurückzugreifen. Dieser wird als kurze Pause vorgelesen und hat den höchsten Bekanntheitsgrad, wenn es um geschlechtergerechte Sprache geht.

Gendern in Leichter Sprache – geht das?

Bei der Verwendung von Sonderzeichen für Screenreader-optimierte Texte klingt schon an, dass gendergerechte Sprache vielleicht doch nicht die inklusivste Lösung ist. Auch, wenn viele Programme das Sternchen als solches erkennen und dementsprechend vorlesen, ergeben sich in weiteren Bereichen der Verständlichkeit Probleme: nämlich für Menschen, die die deutsche Sprache nicht sehr gut beherrschen. Das sind zum Beispiel Menschen, die gerade Deutsch lernen oder Menschen mit Lernschwierigkeiten.

Zur besseren Verständlichkeit gibt es die sogenannte Leichte Sprache. Diese folgt klaren Regeln, zu denen unter anderem auch das Vermeiden von Gendern durch Sonderzeichen zählt. Das liegt daran, dass Sonderzeichen den Text schwerer verständlich machen. Um in Leichter Sprache zu gendern, gibt es zwei Möglichkeiten: Die Verwendung neutraler Formulierungen oder die Paarnennung der binären Geschlechter (also die männliche und die weibliche Form). Einige Expert*innen empfehlen, die männliche Form zuerst zu nennen, weil sie kürzer und den meisten Leser*innen bekannter ist. Andere wiederum empfehlen aus diesem Grund, die weibliche Form erst gar nicht zu nennen.

Zur Verständlichkeit gendergerechter Sprache

Wie verständlich kann geschlechtergerechte Sprache sein? Sprachwissenschaftlich wurde inzwischen bewiesen: Gendern, auch mit Sonderzeichen, schränkt die Lesbarkeit eines Textes in Standardsprache (Amts- und Alltagssprache) nicht ein. Der Duden hat hierzu bereits ein Handbuch herausgegeben. Der Asterisk ist die am häufigsten verwendete Form von gendergerechten Formulierungen mit Sonderzeichen [4]. Sie ist auch die bekannteste, wodurch sie leichter verständlich als andere Sonderzeichen ist. Trotzdem kann auch Letztere für einige Menschen eine sprachliche Hürde darstellen. Neutrale Formulierungen als weitere Form des Genderns umgehen etwaige Verständlichkeits-Probleme für die Leichte Sprache. Auch der DBSV rät von Sonderzeichen ab und empfiehlt die neutrale Formulierung. Für Screenreader ist die genderneutrale Sprache am meisten barrierefrei, genau wie für Texte in Leichter Sprache.

Doch auch hier ergeben sich Hürden: Nicht für alle Bezeichnungen existieren neutrale Formen. Landwirt*innen oder Sportler*innen werden nicht einfach zu Landwirtenden oder Sportenden. Für die Standardsprache oder für Screenreader würde sich „landwirtschaftlich tätige Person“ oder „sportlich aktive Person“ als Alternative eignen. Sprachästhetisch eine Sache der Gewohnheit. Doch für Texte in Leichter Sprache wird wiederum gegen die Regel der kurzen und verständlichen Bezeichnungen verstoßen.

Das Problem mit der Verständlichkeit kann übrigens auch beim sogenannten generischen Maskulinum auftreten. Es bringt eine sprachliche Unschärfe mit sich, da es spezifisch Männer ansprechen und gleichzeitig allgemeingültig sein soll. Ein Beispiel: Es fehlen Grundschullehrer. Fehlen explizit männliche Grundschullehrer oder fehlen allgemein Lehrer*innen an Grundschulen? Eine Frage, die sich nur durch genügend Kontext beantworten lässt.

Sprache beeinflusst unsere Wahrnehmung

Wie lässt sich Sprache nun für alle Menschen gerecht gestalten? Wie zu vermuten, fällt die Antwort auf die Frage eher ernüchternd aus: Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, gendersensibel zu schreiben, allerdings bedeuten diese häufig eine Belastung für andere Menschen. Eine einzige Variante als Lösung für alle wäre zum aktuellen Zeitpunkt also eher ein Kompromiss. Das kann besonders dann verunsichern, wenn es um Öffentlichkeitsarbeit oder Kommunikation geht. Kommunikation im öffentlichen oder politischen Bereich bedeutet Repräsentation und gleichzeitig auch Vermittlung von Wissen oder Haltung. Bei einer Fülle an Themen und Zielgruppen die passende Sprache zu finden, ist eine Herausforderung.

Für ein mögliches Fazit wird die anfängliche Frage noch einmal aufgegriffen: Warum ist das Thema so heiß diskutiert? Die gesetzlichen Veränderungen, wie die Änderung des Personenstandsregisters stellen die bisherige, binäre Grundordnung in Frage. Dadurch verändern sich natürlich auch die Sprachgewohnheiten, denn Sprache und Wahrnehmung beeinflussen sich gegenseitig. Das stößt auf Ablehnung, denn gelernte Perspektiven und Traditionen werden in Frage gestellt.

Das führt zur finalen Frage: Warum sollten wir dennoch weiter nach einer inklusiveren und gerechteren Sprache suchen? Kommunikation spielt bei dem gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Gerechtigkeit eine große Rolle. Wenn wir dabei einen Kompromiss eingehen müssen, warum nicht diesen: Die meisten Unstimmigkeiten werden durch genderneutrale Sprache beseitigt. Sollte diese einmal nicht greifen, wenn etwa keine neutrale Form existiert und ein Text möglichst barrierefrei geschrieben werden soll, sollten wir uns Zeit nehmen, über mögliche Vor- und Nachteile der gewählten Sprache nachzudenken: Mit wem spreche ich? Was möchte ich vermitteln? Wen schließt meine Sprache ein? Wen grenze ich mit meiner gewählten Sprache aus? Mit ein wenig Reflexion gelingt es, individuell die inklusivste, der Situation entsprechende Sprache zu wählen.

Eine ausführliche Diskussion einzelner Formulierungsstrategien findet sich im Kompendium Gendersensible Sprache des BdKom.

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