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Wem gehört der öffentliche Raum? Was uns das „Neue Frankfurt“ heute lehren kann

von Julia Sprügel

Florian, was interessiert dich an den 1920er Jahren?

Die 1920er Jahre sind die Zeit, die unserer heutigen Zeit stark ähnelt. Vielleicht nicht eins zu eins, aber doch gibt es gewisse Parallelen – gesellschaftlich und politisch. Damals herrschte ein großer Aufbruch, in Architektur, Literatur, Malerei. Auch das Thema Emanzipation war sehr stark und es gab eine sehr lebendige queere Szene. Diese Parallelen haben mich verblüfft.

Und warum Frankfurt?

Weil ich hier lebe und einen direkten Bezug zur Stadt habe. Im Gegensatz zu gehypten Städten wie Berlin, Leipzig oder Hamburg ist Frankfurt immer ein bisschen unterrepräsentiert. Man kennt Frankfurt oft nur vom Hauptbahnhof, und alles wirkt schrecklich, aber die Stadt hat auch sehr schöne Seiten. Man muss nur vom Bahnhof ein Stück runter an den Main gehen und schon ändert sich das Bild. Frankfurt hat zudem eine reiche Geschichte. Das Stadtplanungsprogramm, das ich im Buch beschreibe, das „Neue Frankfurt“, war eines der größten Stadtplanungsprogramme in Europa.

Was macht die Architektur des „Neuen Frankfurt“ aus?

Die Architektur des „Neuen Frankfurt“ war stark von der Schule des Bauhaus inspiriert. Sie ist bekannt für ihre klaren Linien, einfachen Strukturen, nichts Verkünsteltes oder Ornamentales, alles sehr klar und funktional. Das Konzept „Form Follows Function“ wurde im „Neuen Frankfurt“ auch angewendet, von den großen Bauten bis hin zu den Türklinken. Es ging darum, schnell Wohnraum zu schaffen – ein Problem, das wir auch heute haben. Das „Neue Frankfurt“ entstand nicht, weil man Kunst schaffen wollte, sondern weil es in der Stadt ein riesiges Wohnungsproblem gab. Der Bürgermeister holte sich Ernst May, den Stadtplaner, der vom Bauhaus und von englischen Gartenstädten beeinflusst war, um dieses Problem anzugehen.

Wichtige gesellschaftliche Fragen wie Wohnraum, Radwege, Autobahnen, klimagerechte Städte liegen oft im Bereich Stadtentwicklung. Wo könnte uns das Frankfurter Modell heute helfen?

Heute hat Frankfurt, wie jede Großstadt, Probleme mit Wohnraum. Es gibt wenig Platz, daher wird eher in die Höhe als in die Breite gebaut. In den 20er Jahren war das „Neue Frankfurt“ ein innovatives Modell, das durch parteiübergreifende Zusammenarbeit und den Einsatz moderner Baumethoden möglich wurde. Man könnte sich heute einiges davon abschauen, besonders im Hinblick auf Bürokratie und schnelle Umsetzung von Projekten. Und die Stadt Frankfurt versucht auch gegenzusteuern – zum Beispiel mit Radinfrastrukturen. Um den Hauptbahnhof wurde beispielsweise eine halbe Fahrspur weggenommen und den Fahrradfahrer*innen gegeben. Aber das führt natürlich zu Konflikten. Dahinter steht ja die Frage: Wem gehört der der öffentliche Raum? Aber das ist der Geist, der damals in den 1920er Jahren in Frankfurt auch herrschte.

Deine beiden Protagonistinnen, Ella und Franziska, führen in den 1920er Jahre ein recht freies und selbstbestimmtes Leben, bevor mit Aufkommen des Nationalsozialismus alles abbricht. Wie hast du dich diesem Lebensgefühl angenähert?

Es ist immer ein Problem, wenn man als Autor historisch schreibt, denn man kann sich nicht ins Mittelalter oder in die 20er Jahre beamen. Zum Glück ist die Weimarer Republik gut dokumentiert und es gibt viel Literatur aus dieser Zeit. Ich habe Autorinnen wie Vicki Baum und Irmgard Keun gelesen, die damals sehr erfolgreich waren, aber mit Beginn des Krieges komplett verschwunden sind. Auch Filme und Tagebücher haben mir ein lebendiges Bild vermittelt. So habe ich mich der Zeit angenähert. Der Rest ist schriftstellerische Arbeit.

Ella widersetzt sich den Erwartungen ihres Vaters. Siehst du heutige Parallelen zwischen dem Wunsch nach individueller Freiheit und dem gesellschaftlichen Druck hin zu traditionelleren Familienmodellen?

Ja, fast erschreckend stark. Wenn man sich heute auf Instagram umschaut, gibt es Coaches, die Männern sagen, wie sie sich verhalten sollen. Oder Mütter, die wieder so richtige 50er-Jahre-Mamis werden und für ihren Mann das Essen vorbereiten oder stricken. Ich denke, die Pandemie hat dazu einen Teil beigetragen. Es war bemerkenswert, wie schnell Frauen wieder zu Hause waren, um sich um Kinder und Haushalt zu kümmern, während Männer weiterhin zur Arbeit gingen. Dieser Rückschritt erinnert stark an die 1920er Jahre. Heute sehen wir Ähnliches: Einerseits gibt es progressive Bewegungen, andererseits junge Menschen, die überraschend konservativ sind. Das hat wohl auch mit der multi-krisenhaften Zeit zu tun, in der wir leben. Die Menschen suchen nach Sicherheit und ziehen sich in ihre eigenen vier Wände zurück.

Das Motiv der Freiheit ist zentral in deinem Buch – vor allem die Frage der Kunstfreiheit. Warum treibt dich das Thema als Autor um?

Kunst steht von vielen Seiten unter Druck. Es wird oft gefragt, welchen Wert Kunst in der Gesellschaft hat und ob sie sich monetarisieren muss. Es gibt auch Diskussionen darüber, ob man neue Theater bauen sollte, während gleichzeitig Wohnraum knapp ist. Diese Fragen, wie Kunst und Soziales sich überschneiden, sind relevant. Auch weltweit ist Kunst unter Druck, sei es in Amerika oder Deutschland. Kunstfreiheit wird infrage gestellt, und es gibt Diskussionen darüber, wer was schreiben darf. Solche Fragen sind berechtigt, aber sie können auch dazu führen, dass Kunst ärmer wird. Ich habe mich beim Schreiben des Romans auch gefragt: Darf ich als männlicher Autor über zwei Frauen schreiben? Und die Antwort lautete in diesem Fall: Ja! Das ist doch auch das schöne an Literatur, die Erkundungen und Erfahrungen von Welten, die mir erst einmal fremd sind. Kunst sollte nicht zu stark eingeschränkt werden.

Du bist nicht nur Autor, sondern auch UX-Designer. Was sind die Prinzipien, die dir bei der Web-Entwicklung wichtig sind?

Ich mag klare, übersichtliche Webseiten, die Barrierefreiheit und Performance im Blick haben. Es geht darum, dass auch Nutzer*innen mit langsamen Internetzugängen eine gute Erfahrung haben. Ästhetik ist mir wichtig, ich bevorzuge einfache Strukturen und klare Designs. Webseiten müssen nicht überladen sein mit Animationen und Effekten. Ich bin ein Freund von Bauhaus-ähnlichen Designs: klar, funktional und ästhetisch ansprechend.

Über das Buch

Florian Wackers Roman „Zebras im Schnee“ spielt in den 1920er Jahren zur Zeit des „Neuen Frankfurt“ und erzählt die Geschichte der Fotografin Ella Burmeister und der Malerin Franziska Goldblum. Beide Frauen bewegen sich in der Avantgarde-Szene, treffen auf historische Persönlichkeiten und erleben das kulturelle Aufblühen der Stadt. Doch der Nationalsozialismus zwingt sie, ihre künstlerischen Karrieren aufzugeben. Jahrzehnte später forscht Franziskas Sohn nach Ellas Spuren, was die Vergangenheit der beiden Frauen wieder aufleben lässt.

Erschienen im Piper Verlag

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