Als Vollzeit-Texter bei neues handeln darf ich täglich die richtigen Lines und Wordings für Dinge, Botschaften und Ideen finden. Und: Ich bin immer auch angehalten, Lines und Wordings zu hinterfragen, die mir vor Augen kommen. Bei Absoluten wie „kompromisslos“ fangen meine internen roten Lämpchen daher automatisch an, im Takt zu blinken. Viel zu leicht ist es meist, solche Behauptungen als absurd zu entlarven. Wer also mit extremen Formulierungen ohne Interpretationsspielraum um sich wirft, der schmeißt seine Glaubwürdigkeit oft gleich mit über Bord.
Ich mach's mal mit ein paar Beispielen schmerzhaft sichtbar, angefangen mit der „wohl längsten Praline der Welt“. Hier zunächst etwas Text-Wertschätzung: Dieser Claim hat sich nachhaltig durch meine Synapsen gebrannt – clever. Die limitierte weiße Edition wurde dann 2013 aber noch mit folgender Line ergänzt: „Kompromisslos lecker“. Ich bin irritiert. Welche Kompromisse, die ich beim Naschen sonst so eingehe, erspart mir der Genuss der Duplo White Edition? Ist diese Praline kosten- und kalorienfrei? Bespielt sie alle meine Lieblings-Geschmacksnerven gleichzeitig und ist dabei auch noch gesund? Kann ich sie mit in meine heiß geliebte Wanne nehmen, ohne dass sie schmilzt? Unwahrscheinlich.
Nächstes Beispiel: Cillit Bang Power. „Power“ sagt eigentlich schon alles. Sofort sehe ich den verschwitzten und ölverschmierten Archetypen eines Action-Helden der 90er-Jahre vor mir – natürlich nur in meinem Kopf, eine tatsächliche Verabredung ist nicht geplant. Wenn ich dann auch noch höre: „Kompromisslos bei großen Flächen“, weiß ich, dass jeder Widerstand zwecklos ist. Aber okay, der Reiniger macht Flächen rückstandslos sauber? Das ist doch erst mal schön und hätte mich fast soweit, mich wie der Schmutz zwischen den Küchenfliesen zu ergeben. Doch ein paar meiner roten Warnlämpchen halten weiter den Takt. Der Reiniger reinigt also mühe-, ausnahms- und geruchlos, ja? Seine Inhaltstoffe sind zu 100 Prozent natürlich, nachhaltig und hautverträglich? Die Verpackung nicht so sperrig wie die all der anderen Reiniger, die mit dem Klopapier in meiner kleinen Abstellkammer um jeden Zentimeter kämpfen? Dass ich hier mit gar keinen Kompromissen leben muss, wage ich ernsthaft zu bezweifeln. Okay, vielleicht gehe ich die Sache etwas zu verkopft an. Aber Wordings zu Ende zu denken ist eben Teil meiner Jobbeschreibung.
Was genau fasziniert die Werbebranche überhaupt so an der Kompromisslosigkeit? Was motiviert sie dazu, sie immer und immer wieder als Mehrwert oder gar Alleinstellungsmerkmal zu inszenieren? Steile These: Es ist das Ego. Auf dem Markt will jede:r die oder der Größte, Beste, Stärkste sein. Niemand gibt gerne zu, auch nur in einem einzigen Aspekt der Konkurrenz nachzustehen. Wer nachgibt, verliert, denn erfolgreich sein heißt, sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. Und sich maximal durchzusetzen ist eben die Definition von Kompromisslosigkeit. Doch ist die Unfähigkeit, Kompromisse einzugehen, wirklich etwas, mit dem man hausieren gehen sollte? Spontan würde ich sagen: Nein.
Was sagt denn der Duden dazu? Leider nicht viel. Kompromisslos: „ohne [Bereitschaft zu einem] Kompromiss; keine Kompromissbereitschaft zeigend“. Die gelisteten Synonyme sind da schon deutlich aufschlussreicher: „eisern, erbarmungslos, fest, gnadenlos“. Empfinde nur ich die als so wertend? In der Welt, wie sie in meinem Kopf stattfindet, sind Gnade und Erbarmen durchaus erstrebenswert.
Da meine Rechercheergebnisse noch keine eindeutige Signifikanz aufweisen, forsche ich empirisch weiter – und überprüfe, welche Bilder mir Google ausspuckt, wenn ich um Kompromissloses bitte. Ich sehe Life Coaches, die mir zeigen, wie ich Millionen machen kann – noch heute. Ich sehe Menschen beim Armdrücken, Waffen und Zäune. Sportler*innen, die sich aggressiv anstarren, und einen Herrn, der Sportler*innen über seinen Fernseher beim aggressiven Anstarren anstarrt, während seine Partnerin – frustriert vom Anstarrenanstarren – an die Decke starrt. Auch optisch ist Kompromisslosigkeit also nicht sonderlich verführerisch.
Ich, für meinen Teil, werde auch in Zukunft liebend gern vermeintliche Schwäche zeigen und den ein oder anderen Kompromiss eingehen. Bloß bei einem bleib ich eisern: „Kompromisslos“ geht gar nicht.