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Geld oder Leben: Welchen Wert haben Werte? Das war der SocialSummit 2023

von David Denne und Julia Sprügel

„Innerer Reichtum ist die Währung der Zukunft. Aber allein reicht das nicht.“

Düzen Tekkal, Menschrechtsaktivistin und Gründerin von HAWAR

Keynote: Welchen Wert haben Werte und was ist ihr Preis?

Auf dem SocialSummit 2023 zeigte sich klar: Unsere Zukunft braucht Werte – egal, ob wir Wohlstand sichern, Klimawandel bewältigen oder Freiheit erhalten wollen. Und es braucht einen Gegenwert in Form von Geld, um werteorientiert handeln und leben zu können. Die Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal führt uns das mit ihrer Keynote auf dem SocialSummit eindringlich vor Augen. Tekkal ist Gründerin der Menschenrechtsorganisation HÁWAR und der Bildungsinitiative German Dream. Sie berichtete unter anderem als Journalistin von einer Reise in den Irak 2014, als Terroristen des Islamischen Staats den Genozid an Jesidinnen und Jesiden verübten. Diese Reise prägte Tekkal, ihre Werte und ihre Arbeit: „Nur wer nah am Tod ist, ist nah am Leben.“ Werte bedeuteten, diese zu vertreten. Auch bei Gegenwind. Auch, wenn man mit dem Rücken zur Wand stehe.

Werte des Wirtschaftens: Auf was kommt es an?

Auf die Frage „Geld oder Leben?“ antwortet Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin): „Natürlich Leben. Die wichtigen Dinge kann man nicht kaufen. Aber Sie brauchen Geld, um gewisse Dinge möglich zu machen.“ Fratzscher plädiert dafür, dass wir unsere deutsche Sparkultur und unser Verhältnis zum Geld überdenken: „Durch unsere Obsession mit Geld vergessen wir häufig, was wirklich wichtig ist.“ Denn was bringt ein gut gefülltes Bankkonto am Ende des Lebens, wenn wir das Geld nicht besser investieren könnten? Der Blick ins Ausland lehre: Nicht überall sei es so hoch angesehen ein Vermögen zu vererben wie in Deutschland. In den USA beispielweise zähle mehr, mit dem Vermögen einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. „Fortschritt, Innovation und Veränderung entstehen nur, wenn Menschen Risiko eingehen. Als Gesellschaft sollten wir das fördern und nicht das Stigma des Scheiterns nach vorne stellen“, so Fratzscher.

„Fortschritt, Innovation und Veränderung entstehen nur, wenn Menschen Risiko eingehen. Als Gesellschaft sollten wir das fördern und nicht das Stigma des Scheiterns nach vorne stellen.“

Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)

Weitergedacht: Best Practice aus der Wirtschaft

Werte vertreten oder Wohlstand ansammeln? Christian Kroll hat sich für die erste Variante entschieden. „Ich will nur ein normales Gehalt haben“, sagte der Gründer der nachhaltigen Suchmaschine Ecosia, deren gesamte Gewinne in Klimaprojekte fließen. Kroll ist sicher: Wenn Google oder Microsoft das Geschäftsmodell von Ecosia nachmachen würden, wären wir im Kampf gegen die Klimakatastrophe schon ein ganzes Stück weiter. Kroll hat eine Mission für das Unternehmen entwickelt, die die Mitarbeitenden teilen: „Wir zahlen normale Marktgehälter“, so Kroll. Natürlich könnten viele der Mitarbeitenden woanders mehr verdienen, aber sie bleiben trotzdem.

„Wir leben von unserer Reputation, von den Werten, die uns wichtig sind.“

Mario Klütsch, Geschäftsführer von Viva con Aqua

„BWL und Ethik gehören untrennbar zusammen“, sagt Mario Klütsch, Geschäftsführer von Viva con Agua. Der gesamte Gewinn des Sozialunternehmens fließt in internationale Trinkwasserprojekte. Auch ein Sozialunternehmen muss abwägen. Aber auf der Habenseite steht bei Viva con Agua, dass seit 2006 3,8 Mio. Menschen weltweit mit Wasser, Hygieneartikeln und Sanitäranlagen versorgt werden konnten. Und: Der gemeinnützige Verein wird von vielen Ehrenamtlichen getragen, die die Mission unterstützen, Menschen weltweit mit Trinkwasser zu versorgen. Der zentrale Wert von Viva con Agua sei die Gemeinnützigkeit, so Klütsch. Aber er sagt auch: „Wir leben von unserer Reputation, von den Werten die uns wichtig sind.“

Wohlstand, was ist das überhaupt?

„Geld ist da, um die Welt zu gestalten. Wir müssen den Mut haben, die notwendigen Diskussionen zu führen", sagt Aysel Osmanoglu und unterstützt damit Prof. Fratzschers These, dass wir Geld brauchen, um sinnvoll zu investieren. Osmanoglu, ist Vorstandssprecherin der GLS Bank. Die Bank setzt auf ein nachhaltiges Bankgeschäft für verantwortungsvolles Wirtschaften. Nachhaltigkeit sei unausweichlich, weshalb die Konkurrenz im Bankensektor jetzt teilweise nachziehe. Osmanoglu wundere sich dennoch: In Präsentationen spreche sie über Werte bei der Kreditvergabe der GLS und kann belegen, dass die finanzierten Objekte beispielsweise alle deutlich unter dem Mietpreisspiegel liegen. Hängen blieben trotzdem häufig nur die absoluten Zahlen.

Für und Wider: Zivilgesellschaft und Politik

„Wir wollen eine Community aufbauen, die mit ihrem sozialen Engagement vorangeht“, sagt Susanna Krüger, Co-CEO von bcause. Auf der Plattform können Interessierte unkompliziert Geld in die „gute Sache“ investieren. Aber: Was ist die „gute Sache“? Krüger rät dazu, nicht in den Kategorien Gut und Böse zu denken, wenn es um freie Wirtschaft und Nicht-Regierungsorganisationen gehe. „Das Geld muss irgendwo herkommen“, so Krüger. Egal ob NGO oder nicht, es komme auf die Wirkung an. Besonders wichtig sei auch, dass Menschen, die von einem Problem betroffen sind, selbst zu Wort kämen.

Weitergedacht: Best Practice Zivilgesellschaft

Nikolas Migut, Vorsitzender von StraßenBLUES e.V. vertritt eine ähnliche Position „Ohne Geld gibt es kein Leben“, so Migut. Sein Verein hilft Menschen aus der Armut und Obdachlosigkeit. Für Obdachlose gehe es um die Existenz, wenn kein Sozialsystem mehr da sei. Welche Werte stehen für ihn im Zentrum? Gesundheit und Liebe – Selbstliebe und Nächstenliebe. Das zu erkennen, hat ihn die Begegnung mit einem obdachlosen Mann gelehrt, den er für eine Dokumentation im NDR begleitete. Damit war die Idee für StraßenBLUES e.V. geboren. Aber: Als Journalist weiß Migut auch, dass mediale Aufmerksamkeit enorm wichtig ist, um Obdachlosigkeit in der Gesellschaft überhaupt sichtbar zu machen.

"Wir müssen uns unabhängigen Journalismus leisten. Die Frage ist, wie finanzieren wie das?"

Maria Exner, Gründungsintendantin von Publix

„Wir müssen uns unabhängigen Journalismus leisten. Die Frage ist, wie finanzieren wir das? Wir müssen mit neuen Modellen experimentieren“, sagt Maria Exner, Journalistin und Gründungsintendantin von Publix. Exner tritt mit Publix für unabhängigen Journalismus mit seiner Vermittlungs- und Aufklärungsfunktion ein. Bei Publix geht es um die Teilhabe am öffentlichen Diskurs und den Zugang zu Informationen. Das neue Gebäude an der Herrmannstraße in Berlin-Neukölln wird vor allem der Arbeitsplatz für Journalist*innen, darunter das unabhängige Recherchenetzwerk Correctiv. Um einen öffentlichen Raum zu schaffen, lädt das Publix-Haus alle Interessierten zu Ausstellungen und Veranstaltungen oder einem Besuch in der öffentlichen Kantine ein. Auch das war ein Grund, das Haus in Neukölln zu bauen – und nicht in den Berliner Stadtteilen, in denen sich Medienhäuser üblicherweise ansiedeln.

Wie wichtig öffentliche Räume für unser Zusammenleben sind, weiß auch Jan Kamensky. Der Hamburger Künstler schafft visuelle Utopien und zeigt, wie sich autozentrierte in menschenfreundliche Räume verwandeln. Denn der Raum ist Lebensgrundlage. „Wir müssen ihn schützen und heilen. Die Kunst kann gesellschaftlichen Wandel sichtbar machen“, so Kamensky. Durch seine Arbeit möchte er einen Impuls geben, damit wir in Zukunft mit anderen Augen durch unsere Straßen gehen und Stadtplanung mehr am Menschen orientieren.

Blick nach vorne: Können wir über Wert und Werte verhandeln?

„Unsere Werte werden uns vor allem durch unsere Sozialisation mitgegeben“, sagt Zukunftsforscherin Aileen Moeck bei der Abschlussdiskussion. Menschen und ihre Werte veränderten sich zudem sehr langsam – anders als beispielsweise unser technisches Wissen. Soziale Innovationen seien aus diesem Grund auch viel schwieriger zu realisieren als technische Innovationen. Für Benjamin Mikfeld, Politiker und Abteilungsleiter für politische Planung und Grundsatzfragen im Bundeskanzleramt, entstehen Werte auch aus der Gegenwart – im Sozialen und Gemeinschaftlichen. Deshalb sehe er auch keinen Großakteur, der das Wertegerüst der Bevölkerung verändern könne: „Wir können den Menschen schließlich nicht vorschreiben, nach welchen Werten sie leben.“ Politik könne daher nur Verhalten verändern, keine Werte. Aber: Veränderungen zu erzwingen, sei keine Lösung. Vielmehr gelte es Brücken zu anderen Wertvorstellungen zu bauen, so Mikfeld weiter. Armin Steuernagel, Geschäftsführer bei der Stiftung Verantwortungseigentum kritisiert, dass gerade Menschen, die etwas bewegen wollten, zum Beispiel im Klimaschutz, oft Steine in den Weg gelegt bekämen. Hier gälte es aufzuräumen. Er betonte: "Wenn wir Partizipationsmöglichkeiten schaffen, kann Wertewandel entstehen."

Wohin zeigt also die Nadel unseres gesellschaftlichen Wertekompasses? Der SocialSummit 2023 hat gezeigt: Werte, nach denen wir leben, sind sehr persönlich und unterschiedlich. Für die einen ist es die Liebe, für die anderen Wohlstand oder die Gemeinnützigkeit. Ein Fazit ist dennoch: Wir müssen Menschen empowern, um Werte leben zu können – sei es um Chancengerechtigkeit zu stärken, die Klimakrise zu bekämpfen oder demokratische Werte zu schützen. Dafür braucht eine gute Balance zwischen Geld und Leben. Deshalb müssen wir dringend über Geld sprechen.

Wir freuen uns auf den SocialSummit 2024.
Mehr Infos rund um den SocialSummit und zum Vormerken für 2024 gibt's hier!

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